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KOMMENTAR

Balkan: ein Landstrich des Hasses?

„Bosna je divna zemlja (…) zemlja mržnje i straha.“
„Bosnien ist ein wunderbares Land (…) ein Land des Hasses und der Angst“ – diese zwei Satzteile gehören zu den wohl meist zitiertesten aus diesem Werk Andrićs. Und dies kommt nicht von ungefähr, denn der große Literat hat bereits vor rund 100 Jahren eine Definition des Problems der gesamten Balkanregion abgegeben, welche meiner Meinung nach zutreffender nicht sein kann – den ganzen Westbalkan betreffend.

Andrić schreibt, dass selten wo anders die Bevölkerung über so festen Glauben, einen starken Charakter, Liebe und Wärme, Hingabe und dem Wunsch nach Gerechtigkeit verfüge. Gleichzeitig würde sie auf tiefen Schichten von Sprengstoff leben, welche aufgrund genau der Funken ihrer Liebe hochgehen.

„Eure geliebten Heiligtümer sind hinter dreihundert Flüssen und Bergen, und eure Gegenstände des Ekels und Hasses sind hier neben euch, in der gleichen Stadt, oftmals auf der anderen Seite eurer Gartenmauer. So verlangt eure Liebe nicht viele Taten und euer Hass wird schnell in die Tat umgesetzt.“ (Ivo Andrić – „Pismo iz 1920.)

Weiters schreibt er, dass jeder am Balkan seine Heimat heiß liebe, allerdings auf drei-vier verschiedene Arten, welche sich untereinander ausschließen, bis zum Tod hassen und kollidieren.

Lügen und Mythen entlarven und dekonstruieren!
Es ist nur abstrus zu sehen, was sich nicht nur heute, sondern bereits seit mehreren Jahrzehnten am Balkan abspielt. In den letzten Tagen erschütterten mich folgende Nachrichten: Dodik möchte eine Separation der Republika Srpska und möglichen Anschluss an Serbien, die Kroaten fühlen sich durch serbische Schokolade provoziert und Belgrad schickt Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ in den Kosovo.

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Unser Redakteur Manuel “Maki” Bahrer über das Wirrwarr der Ethnien bzw. sogennanten “Nationen” innerhalb Bosnien-Herzegowinas, welche für jeden Außenstehenden wie ein riesiges und unbegreifliches Rätsel wirken.

 

Wohin soll das ganze den bitte noch führen? Richtig, nirgendwohin. Der von Andrić beschrieben Hass und die Angst sind Alltag des Balkans. Und genau jener Hass ist aber auch die Grundlage, Treibstoff, bzw. Legitimation für das Forcieren des sogenannten „Eigenen“. Ein Teufelskreis, welcher endlos erscheint.

Wie kann man jedoch das Problem lösen? Eine Frage, auf welche es wohl keine einfache Antwort gibt, bzw. geben kann.
Auch wenn ich persönlich keine separatistischen Bestrebungen befürworte, so sind diese, sollten die Völker am Balkan zu keiner Einigung kommen, wohl die einzige Möglichkeit um weitere Aggressionen oder gar Blutvergießen zu stoppen.

Ein anderer Lösungsansatz wäre es, die interethnischen Beziehungen vom oberflächlichen und primitiven Niveau zu lösen und diese etwas tiefgründiger zu analysieren bzw. aufzuarbeiten. Hierzu fallen unter anderem die Geschichtsaufarbeitung, bzw. eine objektive Betrachtung der Historie des Balkans.

Hier beißt sich jedoch für die Balkanspitze die Katze in den Schweif, da dies bedeuten würde, dass das über Jahrhunderte gepflegte und gewobene Netz aus Lügen, Angstschüren, Mythen und Ähnlichem einfach etwas weichen würde, wovor viele am Balkan Angst haben – nämlich der Wahrheit, dass alle in einem Boot sitzen, die gleichen Probleme haben und alle gleich wenig oder gleich viel Schuld daran tragen.

Die Lösung dieser liegt in einer gemeinsamen, Bottom-up-Herangehensweise (von unten nach oben). Hierfür müssten allerdings auch alte ethno-nationalistische Strukturen abgebaut werden und am Stuhl der eingesessenen Nationalisten gesägt werden. Klingt leichter gesagt als getan…