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REPORTAGE

Božidar Spasić: „Ich war ein jugoslawischer Agent“

FOTO: Zoran Lončarević

Als Diplomjurist begann Božidar Spasić (67) seine Karriere in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei der Jugoslawischen Wirtschaftskammer, war dann Sekretär des Instituts für die Internationale Arbeiterbewegung und wurde schließlich vom stellvertretenden Staatssekretär des Innenministeriums in den Staatssicherheitsdienst Jugoslawiens berufen.

„Das war 1979. Ich konnte zwischen dem analytischen und dem operativen Sektor wählen und entschied mich natürlich für den operativen. Sechs Monate verbrachte ich dort in einem Spezialkurs für Agenten und trat dann meinen Dienst in der Zweiten Sicherheitsverwaltung des Innensekretariats an, deren Aufgabe es war, feindliche und terroristische Emigranten im Ausland zu beobachten. D.h., am Anfang war meine Arbeit auf Terroristen aus Ustaša- und Četnikkreisen im Ausland sowie aus der albanischen und jeder anderen Emigration bezogen, die einen terroristischen Anschlag planen könnten“, sagt Herr Spasić zu Beginn seines Gesprächs mit KOSMO und fügt hinzu, dass er schon bald Hauptinspektor wurde.

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Die Wurzeln des Terrorismus
Bis zu dem Moment, in dem er seinen Dienst antrat, waren von Emigranten im In- und Ausland etwa 11.000 terroristische Akte gegen Jugoslawien verübt worden. Bei diesen Taten waren mehrere tausend jugoslawische Bürger getötet worden.

„Der damalige Standpunkt der Partei und der Politik war, dass über die Angriffe nicht öffentlich gesprochen werden sollte, denn das schien als Schande zu gelten. Vor der Touristensaison wurden in Dalmatien Wälder angezündet, es geschahen Morde an unseren Diplomaten: In Schweden starb der Botschafter Vladimir Rolović und in Deutschland Konsul Edvin Zdovac, sie warfen Bomben auf die Clubs unserer Arbeiter im Ausland… Unsere Landsleute, die heute in aller Welt leben, wissen nicht, wie gefährlich diese Zeit war, aber wir haben uns den Terroristen mit allen Mitteln entgegengestellt. Besonders wichtig war das in Australien, wo es eine Ustaša-Basis gab, und in Chicago, das die Četniks als ihr Territorium betrachteten“, erzählt der erfahrene Agent.

Terroristen legten Sprengsätze an Eisenbahngleise, in Kinos und an andere Orte in ganz Jugoslawien, an denen viele Menschen zusammenkamen. Die Agenten waren bemüht, ihnen immer einen Schritt voraus zu sein, aber das gelang ihnen nicht immer.

„Zum ersten Mal wusste unser Dienst 1972 nichts von den Plänen der Terroristen, weil diese von den Ländern, die sie unterstützten, streng geheim gehalten wurden. Aus Australien kam die Gruppe ‚Raduša‘, die aus 19 Terroristen bestand. Sie kamen, um unser Land vom Kommunismus zu ‚befreien‘ und Kroatien die Unabhängigkeit zu bringen. Nach vier Tagen wurden sie entdeckt und verhaftet. In dem Jahr begann die Entwicklung einer ernstzunehmenden terroristischen Bewegung, daher wurde in einer Ratssitzung zum Schutze der Verfassungsordnung der Beschluss gefasst, die Operation ‚Razarač‘ einzuleiten. Tito befahl, gegen alle Terroristen, die unsere Bürger töteten, unsere Güter vernichteten und Jugoslawien übelwollten, Operationen im Sinne des Wortes ‚razarač‘ (‚Zerstörer‘) durchzuführen“, berichtet Božidar über die Aktivitäten feindlicher Gruppen und die Reaktion des Staates. Er selbst trat in die Operationen zu dem Zeitpunkt ein, an dem sie anfingen, Resultate zu zeigen.

Unser Gesprächspartner betont, dass er in Jugoslawien keine Antiterroraktionen durchgeführt hat, sondern ausschließlich im Ausland aktiv war. Zwischen 1979 und 1992 waren es etwa 90 Einsätze.

„Dass wir uns richtig verstehen: Das heißt nicht, dass der Dienst 90 Menschen getötet hat, sondern er hat auch Beschlagnahmungen durchgeführt. Zum Beispiel sind wir in fremde Wohnungen eingedrungen, haben Dokumente an uns genommen, um zu erfahren, wer die Mitglieder der Organisationen waren, und haben Sprengstoff sichergestellt, aber wir haben ihn nicht nach Jugoslawien gebracht, sondern in den Genfer See oder bei München in die Donau geworfen. Da wir ausschließlich als Jugoslawen gehandelt haben, sind wir jeder Emigration gegenüber gleich vorgegangen, je nach Schwere der Fälle. Einige Zeit hatten wir es mit einer Četnik-Emigration zu tun, dann wurde sie so schwach, dass wir uns von ihr abgewendet haben. Danach haben wir uns auf die Ustaša und die albanischen Migranten konzentriert, die zu unserer Priorität wurden“, führt uns Božidar Spasić in seine operativen Aktivitäten ein.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.