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INTERVIEW

„Wir müssen ein neues Bild von Sarajevo zeigen!“ (GALERIE)

FOTO: Eugénie Sophie Berger

Die Fotografin Eugénie Sophie Berger mit französisch-österreichischen Wurzeln führte ein Interview mit Zulejha Kečo – einer 20-jährigen Ballerina des Nationaltheaters in Sarajevo. Als „zweites Standbein“ (was für eine passende Metapher für eine Ballerina) studiert Zulejha Germanistik an der Universität von Sarajevo, weil sie von Literatur und der deutschen Sprache begeistert ist.

Im Alter von neun Jahren entdeckte Zulejha die Liebe zum Tanzen und startet ihre Ausbildung zur Balletttänzerin. Nach der Grundschule wurde ihr klar, dass sie auch beruflich auf den Brettern, die die Welt bedeuten, reüssieren will – denn auf der Bühne fühlt sich Zulejha am Wohlsten. KOSMO ist das erste Medium, das dieses exklusive Interview samt Fotostrecke „Sarajevo Ballerina“ veröffentlicht – lasst es euch auf keinen Fall entgehen!

Die Fotografin Eugénie Sophie Berger führte sowohl das Interview als auch die Fotostrecke mit Ballerina Zulejha durch.

Eugénie: Warum tanzt du? Was möchtest du den Menschen vermitteln, die dir zusehen?
Zulejha Kečo: Ein Ausdruck von Gefühlen, ein Ausdruck von mir selbst in der Welt in der ich mich umgebe, so wie wenn ich Worte benutzen würde. Ich drücke mich mit dem Tanzen aus. Tanz ist die Sprache, die jeder beherrscht, jeder versteht, was man mit Tanz ausdrücken will. Ballett ist eine Kunstform die seit Jahrhunderten besteht, ohne Kulturunterschiede, ohne Sprachbarriere, Tanz ist eine universale Sprache. Ballett fasziniert mich vollkommen, weil du stets zur Perfektion neigst und du sie gleichsam aber niemals erreichst, denn du weißt, dass du immer besser werden kannst. Ballett ist eine Kunst für einen Augenblick. Tanz ist Teil meines Lebens, ein Identität-stiftender Teil meiner Persönlichkeit. Erziehung, Leben, Ereignisse machen bewusst, was man eigentlich liebt, was man machen will, wozu man auch fähig ist! Warum tanze ich? Ich muss – mein Körper und mein Geist brauchen es – das ist die einfache Antwort!

„Ich kenne keine so diverse und kontrastreiche Stadt wie mein Sarajevo!“
– Zulejha

Menschen, die mir zusehen, möchte ich die Liebe zum Tanzen vermitteln. Was in der Show, im Besonderen in der Choreographie, vorkommt, ist ein unsichtbares Band, das die Tänzer mit dem Publikum verbindet. In Bosnien und generell am Balkan ist Ballett nicht sehr populär. Es bedarf einiges an Anstrengung, Menschen bewusst zu machen, was Ballett eigentlich ist. Klar ist: Ballett ist nicht jedermanns Geschmack. Viele Menschen stecken Ballett in eine bestimmte Schublade oder verurteilen diese wunderbare Kunstform sogar, allerdings ohne sich wirklich damit auseinandergesetzt zu haben. Sie wissen nicht wie viel Arbeit dahintersteckt, und was für eine besondere Art des Kommunizierens und welche Art der Ausdrucksweise sich dahinter verbirgt. Sie verbauen sich selbst den Blick auf die Schönheit und Ästhetik, die mit einem hohen Maß an Komplexität und Schwierigkeit gepaart ist. Meine Mission ist es, den Menschen Ballett näher zu bringen. Meine Vision ist es, neues Publikum dafür zu begeistern, jungen Kindern, Ballett zu vermitteln, mitzuhelfen eine neue Generation aufzubauen. Wir Künstler leben davon, dass uns jemand sieht, der Applaus ist unsere virtuelle Nahrung und Ausdruck der Anerkennung für das, was wir machen.

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TALENT. Olivera Tičević ist aufgrund zweier großer Leidenschaften Opernsolisten geworden: der für die Musik und der für die Schauspielerei. Über sich selbst sagt sie, dass sie nicht Operngesang betreibt, sondern die Oper lebt. Hinter der glamourösen Bühne hat KOSMO die junge Künstlerin getroffen.

 

 

Du zählst zur ersten Generation nach dem Krieg – wann wurde es dir bewusst?
Ich zähle zur ersten Generation nach dem Jugoslawien-Krieg, das ist richtig. Mir wurde es nicht gleich bewusst. Realisiert habe ich es, als ich neun oder zehn Jahre alt war, durch die Schule, insbesondere durch den Geschichtsunterricht, durch die Medien, durch meine Familie und mein soziales Umfeld. Es ist ein allgegenwärtiges Thema – heute genauso aktuell wie in meiner Kindheit. Man redet viel darüber, es ist ein Teil der Geschichte, der sehr schmerzhaft ist. Auch wenn mich diese Thematik überaus traurig macht, ist es aber gleichzeitig wichtig, nicht zu vergessen. Zugleich muss man darauf achten, die Zukunft nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Die jüngste Geschichte meines Landes ist ein Teil von uns, wir wissen darüber Bescheid und wir sollten den nachfolgenden Generationen darüber berichten, aber nicht in der Vergangenheit verharren. Wir müssen nach vorne schauen und etwas Neues, etwas Anderes von Sarajevo und dem Land zeigen als nur Krieg und Zerstörung. Sarajevo ist eine so wunderschöne Stadt, reich an Geschichte mit einer speziellen multikulturellen Atmosphäre, die man nicht überall finden kann. Die Wahrnehmung im Ausland beschränkt sich leider oft auf die Kriegsjahre. Wir müssen endlich ein neues Bild zeichnen und positive Geschichte schreiben – Ansätze dazu gibt es bereits!

Hier geht’s zum ersten Teil der Galerie (6 Bilder):

Was wünschst du dir für dein Land?
Wir dürfen uns als Land und Gesellschaft nicht verschließen, wir sollten immer offener werden. Wir waren es bisher und sind nach wie vor ein offenes Land. Ich habe schon erwähnt, dass Vergangenheitsbewältigung essentiell ist. Für uns Jugendliche sollte es mehr Perspektive geben, dass wir etwas Neues und Besseres erschaffen, dass wir besser mit den Ländern aus der Region und mit der Welt im Allgemeinen zusammenarbeiten. Bisher zählte das Ergreifen von Eigeninitiative und Übernehmen von Selbstverantwortung nicht unbedingt zu unseren Stärken, leider auch in der jüngeren Generation. Viele hoffen auf eine Veränderung, aber tun nicht viel dafür, und das politische Establishment profitiert davon, das eigene Interesse über das des Gemeinwohls zu stellen.


Eine Religion sollte dich grundsätzlich nicht in dem begrenzen,
was du in deinem Leben machen willst.“

– Zulejha

Du bist Muslimin, wie kombinierst du deine Traditionen mit deinem Alltag?
Ich bin beides: Muslimin und Balletttänzerin, wurde westlich und weltoffen erzogen. Bei uns ist Religion wichtig, aber sie beschränkt uns nicht. Wir interpretieren Religion nicht als konservatives Element, vielmehr kann man beides miteinander verbinden – mein Sein als Muslimin und mein Tänzerinnen-Dasein. Sarajevo war immer eine multiethnische Stadt und der Umgang mit Religion war stets offen. Eine Religion sollte dich grundsätzlich nicht in dem begrenzen, was du in deinem Leben machen willst. Es geht vielmehr darum zu machen, was du liebst und an was du glaubst. Ich habe dabei die absolute Unterstützung von meiner Familie und von meinem Umfeld. Ich hoffe, Sarajevo wird weiterhin so westlich und offen sein wie wir es von früher und jetzt kennen.

Hier geht’s zum zweiten Teil der Galerie (6 Bilder):

Wie war es für dich, das Projekt „Sarajevo Ballerina“ zu realisieren?
Ich habe Eugénie Sophie via Instagram kennen gelernt. Wir haben uns auf einen Kaffee getroffen und Eugénie erzählte mir von ihrer Konzeptidee. Ein paar Tage später haben wir das Projekt in Angriff genommen, und machten am Dach von der Skenderija das erste Shooting. Es war kalt, aber Eugénie und ich haben uns wunderbar verstanden und waren zufrieden mit unseren ersten Aufnahmen. Uns war sofort bewusst, dass das Projekt eine neue, andere Perspektive zu Sarajevo eröffnet. Danach haben wir das Shooting in einer alten Wienerstraßenbahn fortgesetzt – passend, denn Eugénie hat ja Wiener Wurzeln. Während der Fahrt, hat Eugénie fotografiert und ich getanzt, die Fahrgäste waren begeistert. Wir hatten unsere Bühne und ein dankbares Publikum!

In unseren Fotos zeigen wir Elemente Sarajevos: die schönen, die weniger schönen und diejenigen, die einmal schön waren, die österreichischen, die osmanischen oder die jugoslawischen. Ich kenne keine so diverse und kontrastreiche Stadt wie mein Sarajevo! Ich möchte durch mein Ballett, mithilfe meiner grazilen Bewegungen und Ausdrücke die Stadt in einem anderen Licht zeigen und dabei die Leute einladen, die Stadt kennenzulernen oder neu zu entdecken. Die durchwegs positiven – wenn nicht sogar überschwänglichen – Reaktionen der Menschen und die Faszination für das Projekt machen mich glücklich. Die Kunst ist ja schließlich für die Menschen da, um sie glücklich zu machen und zu inspirieren. Das Projekt „Sarajevo Ballerina“ ist eine einzigartige tolle Möglichkeit, um meine Heimatstadt in all ihren reichen Facetten zu zeigen. Tanz und Fotografie sind eine wunderbare Symbiose eingegangen, wo der Augenblick der Bewegung für immer eingefangen wird.

Was sind deine Wünsche für die nächsten Jahre?
Vor allem wünsche ich mir, weiter zu tanzen und keine gravierenden Probleme mit meinem Körper zu bekommen. Ich habe mich gefunden, ich weiß, was ich liebe und möchte die Liebe zum Ballett weiter pflegen. Durch den Tanz hoffe ich, auch in anderen Ländern zu performen und etwas Neues zu lernen und zu entdecken – Ballett als Türöffner in eine neue Welt, in Sarajevo und anderswo!

Autorin: Eugénie Sophie Berger ist bekennende Kosmopolitin, mit derzeitigem Sitz in Sarajevo. Sie studierte sowohl Fotografie an der Graphischen in Wien, als auch Internationale Wirtschaft in Strassburg.
Weitere Fotos aus der Fotostrecke „Sarajevo Ballerina“ und andere Projekte der Fotografin Eugénie könnt ihr hier finden.
Im Web: www.eugeniesophie.com,
Auf Facebook: Eugénie Sophie Photography
Instagram: Zulejha Kečo