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INTERVIEW

„Wir halten uns für unverwundbar, sind es aber nicht!“

„Ich kann nicht raus aus meiner Haut und somit bleibt mir nur, das Beste aus dem zu machen, was ich habe – und das ist viel“, so Nikola. (FOTO: Radule Bozinovic/KOSMO)

Kampfgeist

„Ich habe mein Schicksal provoziert, mich im Straßenverkehr jahrelang aufgeführt, wie ein Verrückter und dann platzt mir auf einer schnurgeraden, trockenen Strecke der Reifen und ich lande im Rollstuhl“, offenbart mir Nikola während er in Gedanken immer wieder über sein Lenkrad streicht. Fast zwei Monate verbrachte er im Krankenhaus, davon allein 24 Tage auf der Intensivstation. Sein Brustkorb war geplatzt, ein Großteil seiner Rippen gebrochen, seine rechte Schulter samt Schlüsselbein zum Teil abgerissen. Heute lebt er mit 30 Zentimeter langen Schienen im Rücken, Teile seines Brustkorbs wurden verplattet. Die Schrauben, die alles zusammenhalten, haben sich mit der Zeit gelöst, was mit tagtäglichen Schmerzen verbunden ist.

Das Autofahren löst bei mir Glück aus.
Das Leben ist schön.
Ein Traum von mir ist ein eigenes Haus mit Pool
und ein oder zwei wunderschöne Autos.
Mein Rollstuhl ist mein Fortbewegungsmittel.
Mein größter Wunsch sind gesunde Kinder.

Und dennoch, Nikola ist froh, am Leben zu sein. Er ist dankbar für seine Arme und seinen klaren Verstand. „Das ist nun mal mein Schicksal und mein Weg, den ich glücklicherweise nicht alleine gehen muss. Ich suche keinen Schuldigen, damit verschwende ich meine Zeit nicht mehr. Ich kann nicht raus aus meiner Haut und somit bleibt mir nur, das Beste aus dem zu machen, was ich habe – und das ist viel“, sagt Nikola ohne den Blick von seiner Verlobten abzuwenden.

Rückhalt

„Die Diagnose war für alle ein Riesenschock und die Zeit danach komplettes Neuland. Ich bin unglaublich dankbar für die Unterstützung meiner Familie. Das Ganze hat uns letztendlich nur noch mehr zusammengeschweißt“, erzählt der Älteste von drei Geschwistern. Was seine Verlobte Martina zudem alles für ihn tut, sei mit Gold nicht aufzuwiegen, beteuert der 29-Jährige immer wieder.

Nikolas Familie und seine Verlobte waren eine riesen Stütze für ihn. (FOTO: Radule Bozinovic/KOSMO)

„Sie war damals 24 Jahre alt, sie ist schön und klug. Sie hätte gehen können, aber sie entschied sich dafür, bei mir zu bleiben, obwohl ich für den Rest meines Lebens ein Pflegefall bleibe. Das ist alles andere als selbstverständlich. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht mehr vorstellen. Sie ist mein Rückzugsort“, sagt Nikola über seine schüchterne Beifahrerin. Die beiden sind bereits seit zehn Jahren ein Paar und wollten eigentlich 2014 – dem Jahr des Unfalls – heiraten. Ihre Hochzeitspläne hat das Paar fürs erste aufgeschoben, eine Familie wollen sie eines Tages aber auf jeden Fall gründen.

Böses Erwachen

„Mir ist wichtig, dass sich etwas tut. Dass langsam das Gefühl wieder kommt und das ist definitiv der Fall. Viele Ärzte wollten mir weismachen, dass es sich dabei nur um Phantomschmerzen handle, doch dem ist nicht so“, berichtet mein sympathischer Gesprächspartner überzeugend.

„Ich hasse niemanden auf dieser Welt.
Aber selbst meinem schlimmsten Feind
würde ich dieses Schicksal nicht wünschen!“

– Nikola

Nach dem Unfall hatte der gebürtige Serbe die Situation erst einige Tage später halbwegs realisiert, als er in einem Wiener Krankenhaus aufwachte und seine Beine nicht mehr spürte. Auf seine Frage hin, warum er ab der Brust abwärts kein Gefühl mehr habe, antwortete ihm ein Pfleger mit einem einfachen Hinweis auf den Rollstuhl, der in der Ecke des Krankenzimmers stand. „Siehst du den dort? Das ist ab jetzt deine Zukunft, mein Freund“, war sein einziges Statement dazu.

„Ich wollte das alles einfach nicht wahrhaben, das ganze Zimmer fing an sich zu drehen und ich stellte mir immer wieder dieselbe Frage: ‚Warum ich?!‘. Lange habe ich mit mir selbst gekämpft, aber nach einer gewissen Zeit lernte ich es zu akzeptieren“, so Nikola. Unter Depressionen litt er nach eigenen Angaben nicht. Wenn ihn aber eine schlechte Phase einholte, dann machte er das meistens mit sich selbst aus. Der Rückhalt seiner Familie spielte dabei immer eine wichtige Rolle.

„Der Staat war keine Hilfe“

Im Allgemeinen habe ihn aber der Staat komplett hängen lassen. In einem Rehabilitationszentrum in der Nähe von Wien sei er nach eigenen Angaben psychisch fertig gemacht worden. „Sie wollten mir durch fragwürdige Methoden den Ernst der Lage verdeutlichen, sagten mir meine Verlobte würde mich verlassen, ich würde nie wieder etwas spüren und ich solle mir bloß keine Hoffnungen machen. Je positiver ich war, desto härter lenkten sie gegen“, erzählt mir Nikola sichtlich aufgewühlt. Sie hätten ihn längst abgeschrieben, während er weiterhin versuchte zu kämpfen.

„Wir machen alles, was andere Paare auch tun. Es ist nur eine Frage der Organisation“, so Martina. (FOTO: Radule Bozinovic/KOSMO)

Erst in Serbien bekam der 29-Jährige, die Hilfe, die er sich erhofft hatte. „Dort wird anders therapiert. Man hat tatsächlich den bestmöglichen Weg für den Patienten im Sinn und sie bemühen sich wirklich“, so Martina, die ihrem Verlobten von Anfang an zur Seite stand.

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