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INTERVIEW

Jovana Rogulja: „In jedem Part entdecke ich mich selber neu“

Jovana Rogulja
(FOTOS: Miloš Mitić/zVg.)

Jovana Rogulja (31), Diplom-Musikerin, Konzert- und Opernsolisten aus Novi Sad, tritt als festes Mitglied des Philharmonia Chors Wien und des weltbekannten Arnold Schönberg Chors in renommierten Opernhäusern, auf Festivals und in Theatern auf und gibt Konzerte in ganz Europa. Im Moment lebt und arbeitet sie in Wien. Sie ist nicht nur für ihre volle Stimme und ihr Charisma bekannt, sondern auch für ihre sehr emotionalen Interpretationen.

KOSMO: Warum gerade Oper?
Jovana Rogulja: In die Welt der Musik, und damit auch in die der Oper, bin ich ganz zufällig hineingeraten. Schon als kleines Mädchen habe ich die älteren Damen aus der Umgebung eingeladen und Schauspiel- und Gesangs-„Perfomances“ gegeben, bis die Nachbarn meine Eltern überzeugt hatten, dass sie mich in die Musikschule einschreiben sollten. Die wunderbare Welt der Musik habe ich zuerst durch das Klavierspielen kennengelernt und bin dann in der Musikmittelschule „Isidor Bajić“ immer mehr zur Musikerin geworden. Dort habe ich die theoretische Fachrichtung besucht und habe dann zufällig, so wie bis dahin alles Zufall war, das Privileg gehabt, in die Klasse der berühmten Opernsängerin und hervorragenden Pädagogin Prof. Vera Kovač Vitkai an der Akademie der Künste in Novi Sad aufgenommen zu werden, denn sie glaubte, dass in mir etwas „Verborgenes“ schlummerte. Je mehr ich in die Welt der Oper eingedrungen bin, umso hungriger und begieriger wurde ich. Das war so faszinierend für mich.

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Miljana Zarić (24) ist eine junge Dichterin aus Ugljevik (Bosnien-Herzegowina). Ihr Studium der serbischen Sprache und Literatur hat sie an der Philosophischen Fakultät in Novi Sad abgeschlossen. Ihre neue Heimat hat sie erst kürzlich in Wien gefunden, wohin die Liebe sie verschlagen hat. Ihre Gedichte berühren die Menschen in unserer ganzen Region, denn sie zeichnen sich durch Ehrlichkeit und Einfachheit aus.

 

Warum hast du dich entschlossen, nach Österreich zu kommen?
Ich habe die Universität schon früh abgeschlossen und dann stellte sich die Frage: “Was jetzt?”. Damals habe ich noch nicht über Chancen zum Arbeiten nachgedacht, sondern darüber, wie ich möglichst viele Fertigkeiten und Erfahrung erwerben konnte. Ich war eine aussichtsreiche junge Sängerin und habe meine Ausbildung im Ausland fortgesetzt, wo ich die Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz abgeschlossen habe und dann in Wien Musikwissenschaft studiert habe. Der Weg als Solosängerin ist sehr lang und mühsam und erfordert ständigen Einsatz, vor allem als dramatischer Sopran, dessen Rollen wesentlich schwerer sind als die anderer Stimmen. Meine Stimme hat, so sagt man, eine große Reichweite und „Masse“, und während mit den anderen Studenten daran gearbeitet wurde, ihre Stimmen zu entwickeln, musste meine „gezähmt werden wie ein wildes Pferd“. So ist mein Temperament und darum singe ich vielleicht auch so (lacht).

Was bedeutet es für dich, eine Operndiva zu sein?
Diese Bezeichnung hat meiner Meinung nach in der heutigen Zeit einen eher etwas negativen Beigeschmack, denn so nennen sich nicht selten Damen, die mit kapriziöser Kleidung, Schminke und einem großen Ego versuchen, ihre musikalischen Mängel zu überdecken und damit das Laien-Publikum zu beeindrucken, denn das echte Publikum erkennt die Lüge immer. Echte Diven sind Künstlerinnen großen Kalibers wie die berühmte Maria Callas, Mirella Freni, Renata Tebaldi oder Leontyne Price. Die haben der Opernszene nicht nur mit ihren Stimmen, sondern auch mit ihrem außergewöhnlichen schauspielerischen Talent, ihrer beneidenswerten Technik, ihrer Musikalität und vor allem ihrer einzigartigen Interpretation eine unauslöschliche Prägung verliehen. Entscheidend ist, gleichzeitig private Emotionen „auszuschließen“ und doch emotional so offen zu bleiben, dass man die Personen „erspürt“ und sie dem Publikum emotiv nahebringt. Darin liegt die echte Professionalität.

Erfordert dieser Beruf einen bestimmten Lebensstil und eine Vorbereitung?
Und wie! Ein gesunder Lebensstil, guter Schlaf, das Vermeiden verrauchter Räume und kohlensäurehaltiger Getränke… Das ist individuell, aber was allen gemeinsam ist, ist eine enorme Arbeit an sich selbst, ständiger Einsatz und ununterbrochenes Üben, denn Singen ist wie Sport. Wenn man nur ein paar Tage auslässt, werden die stimmlichen Instrumente und der Körper schlaff und es erfordert noch mehr Einsatz, wieder „in die richtige Spur“ zu kommen. Wenn ich eine neue Rolle bekomme, setze ich mich zuerst ans Klavier, lese die Noten und lerne den Text und natürlich beschäftige ich mich intensiv mit dem literarischen Werk, auf dem die Oper basiert, und versuche, die Person möglichst gut zu verstehen (Wenn ich die Tatjana aus Eugen Onegin bin, werde ich natürlich Puschkin lesen und analysieren). Die Vokalkunst erfordert hohe physische und auch psychische Stabilität, und darum ist es mir vor jedem Auftritt wichtig, alleine zu sein und mich mental gut vorzubereiten.

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Was ist das Schönste an dieser Arbeit?
Das Schönste ist die Möglichkeit, den Menschen Emotionen zu vermitteln, etwas Zeitloses und Unbeschreibliches zu erschaffen, das „Gute“ und das „Schöne“ zu wecken, vor allem in den heutigen, „vergifteten“ Menschen. Sie Schönheit liegt auch in der Vielfalt der Charaktere aller Figuren, in jeder von ihnen liegt eine Jovana, die etwas Neues über sich und in sich entdeckt, egal ob sie zärtlich, wild, sensibel oder stark ist. Darum liebe ich die Oper auch so, denn sie ist komplex, eine Verbindung aus Schauspiel, Gesang und Tanz, eine Sprache von Körper und Seele. Ich bin von Natur aus eine sehr unruhige Seele, ich mag keine Schablonen und nichts Statisches. Ich hätte keinen besseren Beruf wählen können (lacht).

 

Worin liegt deine Besonderheit?
Ich bin niemand, der gerne über sich selber redet, und ich glaube auch nicht, dass ich etwas Besonderes bin. Das sollen andere beurteilen. Was ich aufgrund der häufigen Kritiken, die ich bekomme, sagen kann, ist, dass meine Stärke wahrscheinlich darin liegt, dass ich mich während der Aufführungen, manchmal sogar ganz unkontrolliert, meinen Emotionen hingebe und zulasse, dass sie mich überwältigen, was nicht immer wünschenswert ist. Mit Worten kann man diese Euphorie nicht beschreiben, die mich ergreift, wenn ich Teil dieses Mosaiks aus Musik, Bühnenregie, Kostümen, Tanz… bin. Das erfüllt mich so sehr, dass alles Private in den Hintergrund rückt, ich bin nicht länger ich, sondern ich werde zu Toska, Liza, Tatjana…

Ist das ein steiniger Weg und ist er es wert, gegangen zu werden?
Wir leben leider in einer Zeit, in der es nicht mehr, so wie früher, alleine wichtig ist, gut zu sein und sein Handwerk zu beherrschen, sondern wie auch in der Pop- und Folkszene spielen das Aussehen, die Kontakte und andere Faktoren eine große Rolle. Die Menschen sind übersättigt und wir alle versuchen, Aufmerksamkeit zu erregen und das Publikum auf jede mögliche Weise für uns zu gewinnen. Da rückt der Fokus vom eigentlichen Interpreten weg. Aber wir dürfen nicht so weit gehen, dass wir die Musik und den Solisten vernachlässigen. Das ist etwas, das mich sehr stört. Dieser Weg ist überhaupt nicht leicht, aber all diese Probleme und Schwierigkeiten, die mir auf dem Weg begegnen, vergesse ich sofort, wenn ich zu einer Gesangsstunde gehe. Selbst das genügt schon, um all die Löcher zu stopfen, derentwegen ich an meinem Weg zweifle. Dann sage ich mir: Er ist es wert. Diese Liebe, diese Musik, die etwas Unbeschreibliches und Zeitloses ist, halten mich auf dem Weg.

Und wohin führt dieser Weg in Zukunft?
Die Musik ist ein außerordentlich fruchtbarer Boden, der dir unzählige Möglichkeiten eröffnet. Ich würde gerne weiter Opern singen, aber auch im Bereich der Jazzmusik experimentieren. Die ist neben der Oper meine große Leidenschaft. Mein Ziel ist es, ständig weiter an mir zu arbeiten, möglichst viel Wissen zu erwerben und zu lernen, lernen, lernen. Ich möchte mir selber und meinen Prinzipien treu bleiben, denn ich möchte gut sein in dem, was ich tue. Ich stimme Hesse völlig zu, der sagt: „Das Ziel ist dies: mich immer dahin zu stellen, wo ich am besten dienen kann, wo meine Art, meine Eigenschaften und Gaben den besten Boden, das größte Wirkungsfeld finden. Es gibt kein anderes Ziel.“

Autorin: Jelena Mihajlović Ignjatović