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INTERVIEW

Rendi-Wagner: „Mindestlohn würde vor allem Frauen helfen“

Pamela Rendi-Wagner Interview 2017
(FOTO: Diva Shukoor)

Die österreichische Gesundheits- und Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner sprach im im exklusiven Gespräch für KOSMO über häusliche Gewalt, Mindestlohn, Unterhaltszahlungen und Hass im Netz.

KOSMO: GREVIO hat in seinem aktuellen Bericht unter anderem Verbesserungsbedarf bei Frauen mit Migrationshintergrund in Österreich festgestellt. In bestimmten Communities ist die häusliche Gewalt besonders stark präsent. Solche Gruppen sind jedoch oft in sich geschlossen. Wie kann man da vorgehen?
Rendi-Wagner: Es ist ein ganz wichtiges Thema, welches wir schon seit einigen Jahren am Radar haben und tatsächlich unterstreicht der GREVIO Bericht das noch einmal. Unserer Meinung nach, ist es ganz wichtig mit den Menschen zu arbeiten. Anstatt Maßnahmen bzw. Projekte ohne die Community selbst zu erstellen, ist es wichtig alle Personen einzubeziehen. Ein ganz wichtiger Punkt ist die Bewusstseinsstärkung für dieses Thema – und zwar nicht nur bei den Frauen, sondern bei allen Mitgliedern der betroffenen Gruppen. Das ist etwas, was ich persönlich intensiv verfolge. Unabhängig davon, ob es um Familien mit Migrationshintergrund geht oder nicht, müssen wir die Arbeit mit Männern aber auch die Jugendarbeit bei diesem Thema ganz stark im Fokus haben. Wir wollen in den Gewaltschutz noch mehr investieren. Ein weiterer wesentlicher Faktor in diesem Zusammenhang ist eine effektive und geglückte Arbeitsmarktintegration. Wenn eine Frau finanziell und ökonomisch unabhängig ist, dann fällt es ihr natürlich leichter, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen.

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Frauen mit Migrationshintergrund gehen oft zu Ärzten, die ihre Muttersprache sprechen. Sind in diesem Bereich Projekte angedacht?
Das Erkennen der ersten Anzeichen von häuslicher Gewalt ist etwas, was wir jetzt in die Ausbildung der Gesundheitsberufe aufgenommen haben, da wir erkannt haben, dass dies ein wichtiger Ausbildungsbestandteil aller Gesundheitsberufe sein muss. Die erste Anlaufstelle bei Verletzungen sind oft Ärzte und diese müssen so geschult werden, dass sie Gewaltsituationen erkennen und gezielte Gespräche mit Betroffenen suchen und führen. Gesetzlich haben wir das schon verankert, und die Ausbildungsinhalte liegen bereits vor und wurden vor etwa einem Monat vorgestellt. Es ist ganz wesentlich, den Gewaltschutz in die Ausbildung hineinzunehmen, unabhängig davon, ob das Ärzte mit Migrationshintergrund sind oder nicht.

Werden in diesem neuen Ausbildungscurriculum auch interkulturelle Kompetenzen vermittelt?
Das ist das zweite große Thema, welches seit Jahren im Fokus steht und auch in den Ausbildungsinhalten verankert ist. Es ist zwar in den Ausbildungsinhalten schon berücksichtigt, soll jedoch noch verstärkt werden. Das sind Themen, die sicher in der Zukunft noch weiter bearbeitet gehören.

(FOTO: Diva Shukoor)

Das Phänomen Online-Gewalt nimmt in sozialen Medien sukzessiv zu – oft bei den Jugendlichen. Bedarf es verstärkter Aufklärung in den Bildungseinrichtungen?
Das Thema Hass im Netz ist leider eines, welches in den letzten Jahren sehr rasch zum großen Problem wurde. Gemeinsam mit Staatssekretärin Muna Duzdar sind wir äußerst bemüht diesem Problem effektiv zu begegnen. Wichtig ist vor allem die Aufklärung und die beginnt bereits in den Bildungseinrichtungen. In diesem Bereich bestehen sinnvolle Initiativen wie Safer Internet, die sich genau diesem Thema widmen.

Mir geht es dabei speziell um das Thema Hass im Netz gegen Frauen. Aus unseren Gesprächen mit den Beraterinnen und Expertinnen aus den Frauenberatungsstellen und Gewaltschutzzentren in den letzten Monaten, haben wir festgestellt, dass die Beraterinnen sich Unterstützung bei diesem Thema wünschen. Sie begegnen einer komplett neuen Art von Gewalt, die eine besondere Art von Beratung erfordert. Aus diesem Grund haben Muna Duzdar und ich gemeinsam ganz gezielte Workshops initiiert. Diese werden jetzt kreiert und sollen ab 2018 starten, sodass die Beraterinnen und Berater der Anlaufstellen gut auf diese neue Art von Gewalt, nämlich Hass im Netz, reagieren und die Frauen beraten können.

Den Entwurf von Familienministerin Sophie Karmasin für eine Verlängerung 15a-Vereinbarung mit den Ländern zum Ausbau der Kinderbetreuung finden Sie “halbherzig und ohne Weitblick”. Was genau fehlt Ihnen an diesem Vorschlag?
Es ist in den letzten Jahren viel passiert. Wir haben erreicht, dass 60.000 neue Kindergartenplätze in Österreich geschaffen wurden, jedoch österreichweit sehr unterschiedlich. Vor allem im ländlichen Bereich gibt es Gebiete, wo nachmittags kein Kindergarten geöffnet hat. Tatsache ist, dass wir vor allem bei den Kleinkindern ein Problem haben, denn hier fehlen konkret 18.000 Kindergartenplätze. Hier ist eine Ausbauoffensive notwendig und das war im Regierungsprogramm auch so vereinbart. Wir haben das letzte halbe Jahr darauf gedrängt. Die Länder und Gemeinden, die diese Kindergartenplätze schaffen und ausbauen, brauchen eine Finanzierungs- und Planungssicherheit, um ab 01.01.2018 diese 18.000 Plätze über die nächsten drei Jahre zu schaffen. Der Finanzminister hat den Ausbau der Betreuungsplätze auf die lange Bank geschoben, erst auf starken Druck reagiert und, aus meiner Sicht, eine sehr halbherzige Lösung auf den Tisch gelegt. Drei konkrete Kritikpunkte: Erstens ist die Laufzeit zu kurz. Es geht nämlich um eine einjährige Finanzierungslösung, obwohl wir eine Lösung für drei Jahre brauchen. Zweitens wird zu wenig investiert. Und der wesentliche Bestandteil, nämlich die Qualitätskriterien, haben komplett gefehlt. Qualitätskriterien im Sinne von Richtlinien zu Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel, Schließtage und Öffnungszeiten. Diese sind ganz wesentlich, um die Qualität der Betreuung gewährleisten zu können. Wir brauchen ganztägige Kinderbetreuung, damit Frauen, aber auch Männer, eine volle Wahlfreiheit haben.

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Sie setzen sich für einen Mindestlohn von 1.500 Euro und wollen damit die Einkommensschere zwischen Männer und Frauen verringern. Glauben Sie nicht, dass dadurch noch mehr Frauen teilzeitbeschäftigt werden?
Zwei Drittel derer die monatlich unter 1.500 Euro verdienen sind Frauen – das sind konkret 200.000 Frauen. Wir müssen hier ansetzen und diesen 200.000 Frauen helfen, damit sie ein Einkommen zum Auskommen haben. Damit dies wirklich gewährleistet ist, möchten wir, dass die 1.500 Euro steuerfrei sind. Außerdem sind 80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten Frauen. Und wir wissen, dass viele unfreiwillig in der Teilzeit sind – weil z.B. die Kinderbetreuung fehlt. Frauen, die Teilzeit arbeiten, dürfen dafür nicht noch bestraft werden. Wir wollen daher eine faire Entlohnung für Teilzeitarbeit. Derzeit ist der Überstundenzuschlag in der Teilzeit nur 25 Prozent, während in der Vollerwerbstätigkeit ein Zuschlag von 50 Prozent gebührt. Außerdem wissen wir von vielen Fällen, wo Frauen nach einiger Zeit wieder Vollzeit arbeiten wollen, dies jedoch nicht so einfach ist. Deswegen wollen wir für jene teilzeitbeschäftigten Frauen einen Rechtsanspruch auf Erhöhung der Stundenanzahl, sofern der Stundenbedarf im Betrieb gegeben ist.

Wie Sie schon erwähnt haben, sind 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten weiblich. Oft ist die Familienplanung der Grund dafür. Wie kann man Väter dazu bewegen in die Teilzeit zu gehen?
Es ist ganz wichtig die Väter daran zu erinnern, dass sie die Verantwortung der Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen. Daher fordern wir einen gesetzlichen Anspruch auf den Papamonat. Die Erfahrung zeigt, dass diejenigen Väter, die den Papamonat in Anspruch genommen haben, später auch öfter in Karenz gehen. weil sie einfach eine höhere Bindung zu dem Kind haben. Aber auch nach der Karenz braucht es partnerschaftlich geteilte Kinderbetreuung. Hierfür schlagen wir einen Elternteilzeitbonus vor. Diesen erhalten Eltern dann, wenn sie beide eine Zeitlang etwas weniger als Vollzeit – mindestens 28 Wochenstunden – arbeiten. So wird gewährleistet, dass nicht nur Mütter in Teilzeit gehen und ein Anreiz für Väter geschaffen, sich stärker einzubringen.

(FOTO: Diva Shukoor)

Die SPÖ verlangt eine Unterhaltsgarantie vom Staat, wenn der Unterhaltspflichtige die Zahlungen nicht leistet. Wie soll diese Garantie genau aussehen und wie soll sie finanziert werden?
Wir kämpfen darum und fordern das, weil wir wissen, dass 40 Prozent aller Alleinerzieher und Alleinerzieherinnen armutsgefährdet sind. Das betrifft natürlich auch die Kinder, die in dem Haushalt wohnen. Aus meiner Sicht darf es in einem reichen Land wie Österreich nicht passieren, dass Kinder armutsgefährdet sind. Hier muss der Staat alles daran setzen, dass Kinder und ihre existenziellen Bedürfnisse abgesichert sind. Deswegen haben wir den Entwurf einer Unterhaltsgarantie vorgelegt, für Fälle wo kein Unterhalt gezahlt wird, weil es zum Beispiel keinen Unterhaltsschuldner gibt. Dieser Entwurf wurde gemeinsam mit ExpertInnen und Betroffenen ausgearbeitet. Wir stellen uns hier eine monatliche Summe zwischen 200 und 500 Euro –je nach Alter des Kindes – vor. Diese Unterhaltsgarantie soll aus dem Familienlastenausgleichsfonds bezahlt werden.