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REPORTAGE

Verschlingt die digitale Revolution unsere Kinder?

FOTO: iStockphoto

DILEMMA. Schadet der allzu frühe Einstieg in die digitale Welt der Entwicklung unserer Kinder? Macht er sie glücklicher oder süchtig? Ist es schwer, die Nutzung von elektronischen Geräten richtig zu dosieren, wehren sich die Kinder dagegen? Eltern antworten!

Während sie noch kaum die ersten Sätze bilden können, schalten die heutigen Kinder schon fehlerfrei Zeichentrickfilme und Lieder auf dem Handy oder Tablet ein. Auch die unruhigsten Kleinen beruhigen sich leicht und schnell, wenn man ihnen ein elektronisches Gerät in die Hand gibt. Zahlreiche Studien wurden zu dem Thema, wie richtig oder gefährlich das ist, bereits geschrieben. Während einige Eltern behaupten, dass ihre Kinder durch die Inhalte von YouTube unwahrscheinlich schnell Englisch lernen, sind andere der Meinung, dass man die Kleinen so lange wie möglich von den Segnungen der modernen Technologie fernhalten sollte.

Wahr ist, dass die Kinder gleichzeitig mit der allgemeinen Alphabetisierung auch digital alphabetisiert werden müssen, um bereits von den ersten Schultagen an zu funktionieren. Leider lässt der moderne Lebensrhythmus immer weniger Zeit für die traditionellen familiären Beziehungen, es findet immer weniger Kommunikation statt, und bis die Eltern bemerken, dass ihre Kinder schon tief in die Welt der Computerspiele mit ihren teilweise wenig empfehlenswerten Inhalten abgetaucht sind, lässt sich das Problem nur noch schwer lösen. Übrigens hat die Weltgesundheitsorganisation die Abhängigkeit von diesen Spielen unlängst in ihre Liste ernsthafter Erkrankungen aufgenommen, was bei allzu nachgiebigen Eltern die Alarmglocken schrillen lassen sollte. KOSMO hat mit Mamas gesprochen, die sich bemühen, die Kinder mithilfe ihrer Autorität, durch Gespräche, aber auch mit Verboten unter Kontrolle zu halten.

Dr. Silvia Nadjivan:

„Ich spreche Verbote aus“

Dr. Silvia Nadjivan, Politologin, sagt, dass ihr Sohn Damian (11) mit elektronischen Geräten aufgewachsen ist, weil ihr Mann und sie auch zu Hause Computer für die Arbeit brauchen.

„Er hat mit der Computermaus gespielt und die Effekte auf dem Bildschirm aufmerksam beobachtet. Ich erinnere mich, dass er zwei Jahre alt war, als mein Mann ein Smartphone mit nach Hause brachte. Damian begann, mit dem Finger auf dem Display herumzufahren, als ob er das jeden Tag täte. Er registrierte, was Papa machte, und schaffte es beim ersten Versuch, den Code zu treffen“, erzählt Silvia.

YouTuber. Mit neun Jahren erstellte Vuk seine eigene Website.

Bis zu seinem sechsten Geburtstag, als er sein erstes Tablet von seinem Vater bekam, suchten die Eltern für Damian auf YouTube Zeichentrickfilme aus, die seinem Alter entsprachen.

„Alles war auf Englisch und mithilfe der Kindergartengruppe lernte er immer mehr, was sich heute in der Schule niederschlägt. Ich dachte, dass es zu früh für ein eigenes Tablet war, aber seine Zeit war beschränkt und so ist es auch heute noch. Während der Woche darf er es nicht benutzen, nur am Wochenende darf er für eine oder zwei Stunden in die Welt abtauchen, die alle Kinder lieben“, ist Damians Mama unnachgiebig.

Nur am Wochenende darf Damian ein bis zwei Stunden in die digitale Welt eintauchen. (FOTO: Diva Shukoor)

Einmal hat Damians Vater die Verwendung des Tablets und des Handys wegen eines Vierers in Deutsch für zwei Monate verboten.

„In dieser Zeit hat er mehr Deutsch gelernt und geübt und seine Note mit ein bisschen mehr Einsatz verbessert. Also hat die Erziehungsmaßnahme Früchte getragen und die Strafe hat ihn gelehrt, dass seine Pflichten an erster Stelle stehen. Unser Sohn hat sein Handy mit acht Jahren bekommen, denn es war mir wichtig, dass wir uns jederzeit erreichen konnten, aber es hatte keinen Internetzugang. Zu Hause verwendet er unter unserer Aufsicht das WLAN. Da die Schule eigene Internetprogramme hat, in die sich die Kinder einloggen, um Fragen zu beantworten, deren Resultate bewertet werden, hat Damian zu Weihnachten einen Laptop bekommen, denn solche Aufgaben wird es in Zukunft immer häufiger geben“, erklärt uns Dr. Nadjivan.

Der Bub trainiert in der Ganztagsschule Basketball und spielt Klavier, und am Wochenende geht er mit seinen Eltern in Vergnügungsparks, in die Natur, ins Theater oder ins Kino.

„Wir beschäftigen uns wirklich intensiv mit unserem Kind. Meine Einstellung ist, dass man ihm unbedingt das Lesen näherbringen muss, denn das kann man durch nichts ersetzen. Ich habe Damian schon vorgelesen, als er noch ein Baby war, aber jetzt macht er das schon selbständig regelmäßig. Dass wir uns richtig verstehen: Die elektronischen Medien dürfen kein Ersatz für einen Babysitter sein, auch wenn das manchmal einfacher wäre, weil Mama keine Zeit hat. Das ist nur ein Teil seiner Kindheit, und die Kinder müssen ein Teil dieser Welt sein, aber es darf auf keinen Fall die einzige Beschäftigung sein, die man ihnen anbietet. Für die Entwicklung ihrer Kreativität und für ihre Erziehung gibt es viele Möglichkeiten, und die muss man nutzen“, betont Silvia und unterstreicht, dass die regelmäßige und hochwertige Kommunikation der Eltern mit dem Kind das Wichtigste ist und dass sie durch nichts zu ersetzen ist.

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Damian:

„Ich beschwere mich nicht“

„Wenn Mama und Papa mir sagen, dass ich das Tablet weglegen soll, ärgere ich mich nicht, denn das würde mir auch nichts nützen. Ich weiß, dass ich das, was mich interessiert, am Wochenende haben kann, wenn ich es benutzen darf. Ein bisschen habe ich mich gewehrt, als Papa mir das Tablet und das Telefon verboten hat, aber ich habe gesehen, dass das keinen Zweck hatte. Als die zwei Monate vorbei waren, war meine Note besser. Ich spiele gerne Denkspiele, in denen man schnell sein muss, aber als ich begonnen habe zu lesen, haben mir auch Assoziationsspiele gefallen. Ich mag auch Lego, Autos und andere Spielsachen. Ich mag es, wenn wir uns in den Biostunden über das Telefon in Tests einloggen und Fragen beantworten, und zu Hause mache ich auf meinem neuen Laptop Englischtests. Mit meinen Eltern spiele ich gerne Karten und genieße unsere Ausflüge.“

Ana Trajković Stojanović

„Die Grundlagen wird zu Hause gelegt“

Gleich zu Beginn unseres Gesprächs betont Ana Trajković Stojanović, von Beruf Sonderpädagogin, dass ihre Kinder Vuk (11), Una (8) und Mia (2,5) verschiedene Wünsche haben, wenn es um elektronische Geräte geht, was in Anbetracht ihres Alters auch verständlich ist.

„Wir Eltern müssen unseren Kindern den Weg vorgeben, und die Grundlagen werden zu Hause gelegt. Als ich Vuk bekommen habe, habe ich ihn lange von allem ferngehalten, was strahlt, und er ist erst mit fünf Jahren mit elektronischen Geräten in Berührung gekommen. Als er in die Schule kam, bekam er ein Handy, damit wir in Kontakt bleiben konnten, und er hat es nicht missbraucht. Aber ab der dritten Klasse hat er begonnen, die Grenzen auszutesten. Da konnte er schon gut schreiben und begann, uns Eltern SMS-Botschaften zu senden. Dann entdeckte er Google, wo er über alles nachforschte, was ihn interessierte. Mir hat seine Neugier damals gut gefallen, aber es hörte auf, mir zu gefallen, als er anfing, intensiv YouTube zu schauen“, erzählt Ana ehrlich.

Mit neun Jahren gestaltete Vuk seine eigene Website und wurde Blogger und YouTuber.

„Wenn ich zu Hause bin, beschränke ich die Zeit, die er mit diesen Hobbys verbringt, auf eine Stunde pro Tag. Ich habe Seiten blockiert, die für sein Alter nicht geeignet sind, aber ich überprüfe dennoch regelmäßig, wo er im Internet unterwegs ist. Er wehrt sich dagegen nicht, denn das traut er sich nicht, aber ich weiß, dass es ihm nicht recht ist“, vertraut sich Vuks Mama uns an und fügt hinzu, dass sie den Sohn dazu anleitet, den Laptop für die Hausübungen und zum Lösen von online-Tests für die Wissensüberprüfung zu verwenden. Anschließend bittet er immer um Erlaubnis, sich mit seinem Telefon beschäftigen zu dürfen.

Anders als ihr Bruder schauen Una und Mia lieber Zeichentrickfilme und Programme mit „süßen“ Inhalten. Aber die Mama stört es, dass auch dort viel Aggression und viele unangenehme Dinge vorkommen, die die Kinder imitieren.

Im Unterschied zu Vuk sehen Una und Mia mehr Zeichentrickfilme und Programm mit „süßen“ Inhalten. (FOTO: DIva Shukoor)

„Als Mia zwei Jahre alt wurde, erhielt sie die Erlaubnis, mit ihrer älteren Schwester eine Stunde täglich Zeichentrickfilme zu sehen. Aber sie hat unwahrscheinlich schnell begriffen, was Una tat und dass sie auch selber zu den Angeboten kommen konnte, die sie interessierten. Ich glaube, dass meine Kinder die elektronischen Geräte übertrieben viel benutzen, aber ich kann sie nicht aus der Welt ausschließen, in der sie leben, und ich kann ihnen nicht alles verbieten, was ihre Altersgenossen benutzen“, ist sich die dreifache Mutter bewusst, die ihre Kinder dreimal in der Woche zum Schwimmtraining bringt und deren ältere Tochter auch Flöte spielt.

Als Sonderpädagogin sagt Ana zu diesem Thema:

„Die übertriebene Verwendung elektronischer Geräte unter Kindern halte ich wegen der Strahlung, der Schädigung von Konzentration und Aufmerksamkeit, aufgrund der geringen Qualität der Kommunikation unter den Altersgenossen und der vermehrten Hyperaktivität und Aggression unter Kindern für schädlich. Aber wenn man ihnen die Nutzung einschränkt, werden sie nervös und intolerant. Natürlich gibt es da eine Abhängigkeit, die zum ernsthaften Problem werden kann.

Allerdings kommen Kinder heute viel leichter und schneller zu Informationen, die sie interessieren, während wir damals noch in Enzyklopädien nachschlagen mussten. Meine Una hat mit den Zeichentrickfilmen sogar hervorragend Englisch gelernt.“

Vuk:

„Ich habe 900 Follower auf YT“

„YouTuber bin ich mit neun Jahren geworden. Mit meinen Clips unterhalte ich meine Freunde, wenn sie in der Schule einen schlechten Tag haben. Sie sagen, dass ich ihre Stimmung verbessere, und dass sie das sagen, verbessert meine Stimmung. Auf YT finde ich lustige Clips und veröffentliche sie auf meinem Kanal, und manche Szenen nehme ich mit meinem Telefon auch selber auf. Täglich bekomme ich mehr als hundert Klicks, denn ich habe derzeit ca. 900 Follower. Für meinen Blog nehme ich mit meiner Schwester Clips darüber auf, wie sich Mädchen schminken und wie sie spielen. Keiner von meinen Freunden macht das, darum bin ich unter ihnen etwas Besonderes. Ich ärgere mich oft über meine Mama, wenn sie sagt, ich soll das Telefon weglegen, aber das hilft mir nicht viel. Wenn ich erwachsen bin, möchte ich neben dem Studium auf YT Geld verdienen und ein Telefon und Technik mit der besten Qualität kaufen.“

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.