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REPORTAGE

Vollblut-Ingenieur: Der Mann, der sich weigert, alt zu werden!

FOTO: Radule Bozinovic

PHÄNOMEN. Er ist volle 87 Jahre alt, aber arbeitet noch immer an anspruchsvollen Konstruktionsprojekten in der Flugzeugindustrie. Trotz seines fortgeschrittenen Alters fährt er aus Wien mit dem Zug zur Arbeit nach Wiener Neustadt. Mit KOSMO sprach er über seine Karriere, die bereits seit 70 Jahren andauert.

„Mein Name ist Mihail Stevanović. Ich bin 1929 in Ražanj in Südserbien geboren. Mein Vater hat in Frankreich, Wien und Zagreb Medizin studiert und war als Freiwilliger an der Front in Thessaloniki, wo er verwundet wurde. Meine Mutter war Griechin, sie war Hausfrau und hat sich um meinen Bruder und mich gekümmert. Als Kind habe ich Flugzeuge geliebt. Mein Bruder und ich haben Papier- und Holzflugzeuge gebastelt und sind später richtige Modellbauer geworden. 1948 habe ich mich an der Maschinentechnischen Fakultät in Belgrad eingeschrieben, aber da mein Vater während meines Studiums starb, verlor ich meine finanzielle Unterstützung. Ich war sehr arm und bekam dennoch keinen Platz im Studentenwohnheim, denn dieses Privileg hatten nur Arbeiterkinder. Da ich jedoch ein besonders guter Student war, erhielt ich ein Stipendium und bestand mein Diplom in der Abteilung für Luftfahrt 1956 mit der Note ausgezeichnet. Das waren schwere Jahre und ich schwelgte in unrealistischen Träumen und in der Erwartung, dass wir alle nach Abschluss der Fakultät besser leben würden, nicht mehr am Rande des Hungers und an der Schwelle zur Tuberkulose. Ich dachte damals nicht darüber nach, dass es vielleicht irgendwo außerhalb des Rahmens, in dem wir lebten, eine andere, bessere Welt geben könnte. Nur selten konnten wir einen Blick hinter den Eisernen Vorhang werfen, alle Filme wurden streng zensiert.

Die erste Arbeit erhielt ich zwei Monate nach dem Abschluss der Fakultät in der militärischen Flugzeugfabrik ’Soko’ in Mostar, wo am ersten jugoslawischen Flugzeug für die Pilotenausbildung, der ’522’, gearbeitet wurde. Obwohl ich Anfänger war, erhielt ich die Aufgabe, am Schleudersitz zu arbeiten, der zum ersten Mal aus heimischen Materialien und nach meinem Plan gebaut werden sollte. Aber nach Abschluss der Arbeit fiel niemandem ein, meinen Einsatz und meinen Erfindungsgeist zu loben. Es war einfach alles selbstverständlich. Ein großes Problem jener Zeit waren die ungebildeten Menschen in Führungspositionen. Sie hatten keine Ahnung vom Fach, mussten aber für jede Kleinigkeit grünes Licht geben. Neben der regulären Arbeit musste man ihnen die Dinge erklären, die sie nicht verstanden.

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Ein ukrainischer Ingenieur veröffentlichte nun Pläne für eine lebensrettende Maßnahme, die im Falle einer Flugzeugkatastrophe zum Einsatz kommen könnte.

 

 

Die Ignoranz hat mich umgebracht

Ich erinnere mich, dass einmal in der Zeitung eine Ausschreibung für die Planung von militärischen Werkstätten erschien, die keine Fundamente hatten. Unsere Fabrik war interessiert und uns Ingenieuren wurde gesagt, wenn wir wollten, könnten wir uns privat bewerben. Ich erhielt den ersten Platz für die Konstruktion, aber als Angestellter in einer Militärfabrik konnte ich die Stelle nicht bekommen. Das war 1956 und meine erste große Enttäuschung.

Auf Ignoranz bin ich auch während meines Militärdienstes in Rajlovac bei Sarajevo gestoßen, wo ich in der Militärtechnischen Akademie als Ausbilder für zukünftige Piloten eingesetzt war. In der ganzen Zeit fragte mich niemand, ob diese Burschen etwas lernten. Niemanden interessierte die Qualität. Wichtig war nur, dass ich unterschrieb, dass sie bestanden hatten. In mir wuchs langsam ein Widerstand gegen das System.

Nach der Rückkehr vom Militär nach Mostar erhielt ich die Aufgabe, einen kleinen Teil für einen Flugzeugmotor zu konstruieren, und das tat ich auch. Leider kam es zu einem Zwischenfall bzw. zu einem Unfall, denn meine Konstruktion hielt den Vibrationen während des Fluges nicht stand. Zum Glück kam der Pilot unverletzt davon, aber zu mir kam die Militärpolizei. Ich hatte keine Probleme, alles wurde unter den Tisch gekehrt, wie es damals üblich war, aber ich wusste auch, dass die Fehler des Systems, in dem ich lebte und arbeitete, irreparabel waren.

Der Endspurt in diesem Rennen kam, als mir der Direktor sagte, ich sollte Teil einer Arbeitsgruppe werden, die einen Hubschrauber konstruierte. Weder er noch die Leute um ihn herum hatten eine blasse Ahnung davon, dass bei uns in Jugoslawien damals die Voraussetzung für die Umsetzung dieses Wunsches der Partei- und Militärführung überhaupt nicht vorhanden waren. Ich erklärte ihnen, dass wir keine Erfahrung, keine Materialien und keine Maschinen dafür hätten. Und wenn wir sie im Ausland kaufen würden, denn könnten wir sie in Jugoslawien nicht einmal zusammenbauen. Da wurde entschieden, dass ich mit einem Kollegen nach Paris zu einer großen Ausstellung von militärischem Gerät fahren sollte, um alles anzuschauen und Materialien über Hubschrauber zu sammeln. Ich sagte ihnen, dass man aus Prospekten nichts Wesentliches lernen könnte, aber es war, als würde ich gegen eine Wand reden. Also machte ich mich schweigend fertig für Frankreich.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.