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REPORTAGE

Zeugen Jehovas: „Wir verbreiten Liebe unter den Menschen“

(FOTO: Diva Shukoor)

Sie haben an meine Tür geklopft
Aleksandar Vujišić (44) aus Montenegro, gebürtig aus Sarajevo, lebt seit 1991 in Österreich. Er ist verheiratet, Vater zweier Töchter und arbeitet in der Planung und im Verkauf von Industrieanlagen. Zeuge Jehovas ist er mit 20 Jahren geworden.

„Auf Wunsch meiner Mutter bin ich mit 16 Jahren im Kloster Ostrog getauft worden, obwohl ich zu diesem Akt gar nicht bereit war und auch nicht wusste, was das für mich bedeutete. Von meiner Tante erhielt ich die Heilige Schrift als Geschenk, die ich dann gelesen habe. Da entstanden in mir religiöse Gefühle und Erwartungen, obwohl ich nicht regelmäßig in die Kirche ging. Mit dem Beginn des Krieges ist meine Welt zerfallen und ich kam nach Österreich. Eines Tages kamen Zeugen Jehovas an meine Tür und so hat alles begonnen. Sie erzählten mir vieles, was bei mir einen tiefen Eindruck hinterließ. Besonders beeindruckt war ich von der Tatsache, dass sie keinen Militärdienst leisten und nicht an Kriegen teilnehmen, dass sie von Friedfertigkeit geleitet sind. Nach meinen Erfahrungen in B-H war das eine Offenbarung“, erinnert sich Aleksandar daran, wie alles begann, und betont, dass er besonders von der Weigerung der Zeugen Jehovas fasziniert war, in Hitlers Armee zu dienen, obwohl sie dafür in die Konzentrationslager geschickt wurden und dort starben.

Auch seine beiden Töchter sind unter den Zeugen Jehovas aufgewachsen. Auf die Frage, wie er reagieren würde, wenn ihm eine von ihnen erklärte, sie hätte sich in einen Burschen aus einer anderen Glaubensgemeinschaft verliebt, sagt er, dass er sich wünschen würde, dass das jemand mit hohen moralischen Grundsätzen wäre, und dass er versuchen würde, ihr zu erklären, dass es besser wäre, sie würde jemanden aus derselben Religionsgemeinschaft auswählen. „Aber bei all ihren Entscheidungen, egal wie sie ausfallen würden, bliebe sie immer meine geliebte Tochter“, unterstreicht der Vater.

Ich gehe nicht zur Slava meines Vaters
Rade Matić (49) stammt aus Serbien, ist selbständiger Unternehmer, verheiratet und Vater eines Sohnes. Den Zeugen Jehovas schloss er sich 1988 an. Vorher war er als Kind auf Beschluss seiner Eltern orthodox getauft worden. „Als junger Mensch war ich nicht besonders religiös, aber ich glaubte schon, dass es Gott gab. Meine Eltern sprachen über Bräuche und über dieses ‚man muss‘, aber nicht über den Glauben selbst, was mir nicht genügte. Eines Tages klopften Zeugen Jehovas an meine Tür und erzählten mir, dass es einen Gott gäbe, der sich Jehova nennt. Von ihnen bekam ich echte Antworten und Erklärungen und das war mir Grund genug, ihnen beizutreten, nachdem ich aus der serbisch-orthodoxen Kirche ausgetreten war“, erzählt uns Rade, der Priester einer der Wiener Versammlungen der Zeugen Jehovas ist.

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Sex oder gar Kinder vor der Ehe? – Um Himmels Willen! Hochzeit mit jemandem, der nicht der eigenen Glaubensrichtung angehört? – Verabschiede dich schon mal von deiner Familie! Etwas in Frage stellen, das der Priester oder Imam von sich gibt? – Begrab dich am besten gleich selbst! – Unsere Bloggerin Jelena über die Unschuldslämmchen vom Balkan…

 

Zu Beginn war Rades Familie wütend auf ihn wegen der Änderung seiner Religion, aber das hat sich bald gelegt.
„Mit meinem Vater habe ich viel gesprochen. Auch ihm hat das neue Verhältnis gefallen, das ich zu ihm hatte, ohne Streit und Grobheiten, und er hat meine Entscheidung respektiert. Mein Vater feiert seine Slava, aber ich besuche ihn an diesem Tag nicht, auch nicht zu Ostern oder Weihnachten. Wir nehmen an religiösen Festen anderer Gemeinschaften nicht teil, denn die Heilige Schrift sieht das nicht vor. Wir feiern auch keine Heiligen, denn sie sind eigentlich Menschen, und aller Ruhm und alle Ehre gebühren ausschließlich Gott.“, betont Matić.

Die Zeugen Jehovas haben keine klassischen Kirchen, sondern Andachtsräume, in denen ihre Versammlungen stattfinden. In Wien gibt es neun dieser Orte für die Versammlungen der Menschen unseres Sprachraums.

„Bei uns ist die Mitgliedschaft nicht verpflichtend und es gibt auch keine finanziellen Beiträge. Jeder gibt, so viel er kann, und das ist nicht öffentlich. Wenn jemand nichts geben kann, muss er sein ganzes Leben lang keinen Cent in die Spendenbox werfen. Wenn sich jemand entschließt, aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas auszutreten, kann er das ohne Probleme tun. Das ist genauso freiwillig wie der Beitritt. Die Brüder werden mit ihm reden und versuchen, ihn auf den rechten Weg zurückzuführen. Aber wenn seine Entscheidung unwiderruflich ist, vor allem, wenn sie getroffen wurde, damit er sich einer anderen Religion anschließen kann, werden auch alle privaten Verbindungen abgebrochen“, unterstreicht unser Gesprächspartner.

Ich habe mit Jugoslawen zusammengearbeitet
Esther Klein (67) aus Baden hat mit ihren Eltern die Bibel gelesen und sich mit 12 Jahren entschieden, auch selbst diesen Weg zu gehen. Die Brüder haben sie 1973 gebeten, Serbokroatisch zu lernen, damit sie in Wien mit den Jugoslawen arbeiten konnte.
„Als wir uns kennenlernten, waren sie begeistert, dass jemand ihre Sprache lernt, um ihnen eine wichtige Botschaft zu überbringen. Einige haben sie angenommen, andere nicht. All die vergangenen Jahre hindurch besuche ich mit anderen Schwestern und Brüdern die Wohnungen von Mitbürgern. An Unfreundlichkeit, sogar Grobheit sind wir gewöhnt, auch wenn das nicht angenehm ist. Wir wollen ihre Überzeugungen nicht ändern, sondern ihnen eine Botschaft anbieten, die aus der Bibel kommt, und sie dazu anregen, selber weiter zu forschen. Jesus hat den Befehl gegeben, dass die Botschaft der Bibel in der ganzen Welt verbreitet werden muss, und wir tun das, das ist unsere Aufgabe“, erzählt Frau Klein, die unsere Sprache hervorragend spricht.

FRIEDFERTIGKEIT. Sie leisten keinen Militärdienst und nehmen nicht an Kriegen teil.

Über die Ehe hat Esther genau definierte Standpunkte, und ihr Ehemann ist ebenfalls Jehovas Zeuge.
„Wenn jemand eine Ehe schließt und große Probleme vermeiden will, muss er einen Partner mit denselben Interessen finden. Es ist uns nicht verboten, einen Ehepartner aus einem anderen Land zu nehmen, aber mir ist es wichtig, dass wir in Fragen der Religion dieselben Überzeugungen teilen, denn unser Schöpfer Gott hat in der Heiligen Schrift gewollt, dass wir uns gegenseitig nehmen“, unterstreicht sie.

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Auf die Frage, ob sie sich in Moskau schlecht fühlen würde, weil die Zeugen Jehovas dort verboten sind, antwortet Klein:
„Jesus hat gesagt, dass wir in einer Welt leben, in der uns nicht jeder lieben wird, und wir haben das akzeptiert, aber wir müssen das Werk vollenden, das uns Gott aufgetragen hat, egal, unter welchen Umständen. Meine Brüder leben in Moskau und bekennen sich zu ihrem Glauben. Sie riskieren ihre Freiheit und ich würde dasselbe tun.

Blut ist keine Garantie, dass ein Leben gerettet wird
Manuela Jović (44) hat die Höhere Medizinische Schule und die Akademie als zertifizierte Wundmanagerin abgeschlossen. Sie arbeitet bei der WGKK und hat eine eigene Ordination. Sie ist in Österreich geboren, ihre Mutter stammt aus Kroatien, der Vater aus Serbien. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. „Mein Mann ist ebenfalls Jehovas Zeuge und unser Kind geht mit uns in die Versammlungen. Er findet das ein wenig langweilig, weil er unsere Sprache nicht genügend spricht, aber wenn er die Vorträge auf Deutsch hört, macht er sich sogar Notizen und hat Spaß daran. In der Schule wissen sie, dass seine Eltern Zeugen Jehovas sind, weil wir nicht an Geburtstags-, Weihnachts- und Osterfeiern teilnehmen, wie das in Österreich üblich ist. Diese Entscheidung hat er selber getroffen, denn er will nichts tun, was unserem Gott Jehova nicht gefällt“, erzählt uns Manuela und fügt hinzu, dass sie zwei Schwestern hat, von denen eine Jehovas Zeugin ist. Die andere hat sich gegen eine Taufe entschieden und ist heute religionslos, was aber die familiären Beziehungen und die Liebe unter den Schwestern nicht beeinträchtigt hat.

Manuela betont, dass die Zeugen Jehovas, wenn es um Lebensmittel geht, nichts essen, was Blut enthält so wie Beefsteak auf englische Art, Beef Tartar, Blutwurst u.Ä. Da sie in einem medizinischen Beruf arbeitet, hat uns ihre Haltung zu Bluttransfusionen interessiert.

„In unserer Religion sind Bluttransfusionen verboten und daran würde ich mich immer halten. Ich war selbst in der Situation, als mein Sohn geboren werden sollte. Mein Leben war tatsächlich in Gefahr. Es wurde ein Notkaiserschnitt vorgenommen und der Anästhesist sagte mir, dass ich nur wenige Chancen hätte, denn er wusste, dass ich Jehovas Zeugin war. Zum Glück fand sich ein guter Arzt, der mich operiert hat, und Gott-sei-Dank habe ich es überlebt. Wenn es um mein Kind geht, wünsche ich ihm natürlich das Beste, aber ich halte mich strikt an die biblischen Grundsätzen. Blut ist keine Garantie, dass ein Leben gerettet werden kann.“

Aleksandar Vujišić: „Wenn sich meine Tochter in einen Burschen aus einer anderen Glaubensgemeinschaft verlieben würde, würde sie doch in all ihren Entscheidungen meine geliebte Tochter bleiben. (FOTO: Diva Shukoor)

Unmoral wird nicht geduldet
Zoran Milovanović (47) kommt aus Ruma, ist von Beruf Medizintechniker und arbeitet in einem Operationssaal als Assistent. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und alle sind Zeugen Jehovas. Über seinen religiösen Weg sagt er:
„Auf Drängen meiner Großmutter wurde ich mit 12 Jahren in der orthodoxen Kirche getauft. Jehovas Zeuge bin ich mit 23 geworden. Meine Mutter hat mit Zeugen Jehovas die Bibel studiert und ich habe, als ich mich auf die Fakultätsprüfungen vorbereitete, zugehört, wie sie das machen, und es hat mir gefallen. Meine Mutter hat keinen Druck auf mich ausgeübt, aber sie, mein Vater und ich haben uns gemeinsam taufen lassen.“

Weder Zoran noch seine Frau haben in religiösen Fragen Druck auf ihre Söhne ausgeübt, weil sie der Meinung waren, dass das ihr Leben sei und dass sie selber ihren Weg wählen müssten.

„Sie haben selber entschieden, sich taufen zu lassen. Natürlich hatten sie während ihrer Schulzeit Gelegenheit, verschiedene Lebenseinstellungen kennenzulernen. In Österreich gibt es noch keinen Religionsunterricht für Zeugen Jehovas. Unsere Kinder haben von uns Eltern und in den Versammlungen vieles gelernt, aber vielleicht werden sie eines Tages auch in der Schule diese Möglichkeit haben. In Geschichtsstunden passiert es oft, dass die Lehrer von dem breiten Wissen der Kinder aus unserer Gemeinschaft positiv überrascht sind. All das lernen sie in unserem Kreis“, erklärt er sanft.
Heute ist Herr Milovanović Priester der Versammlung, die wir besucht haben, und neben der Kommunikation mit den Medien ist er auch für die Unterstützung von Brüdern und Schwestern bei gesundheitlichen Problemen zuständig. Er ist mit den Wiener Krankenhäusern und vielen Ärzten in Kontakt.

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„Ich betone immer, dass es sich um Zeugen Jehovas handelt, und sie wissen sofort, dass sie einen Patienten bekommen, der genau weiß, was er will und was er nicht will. Unsere Leute sind hervorragend informiert über die Möglichkeiten alternativer Behandlungen und medizinischer Methoden, die keine Bluttransfusionen erfordern. Jeder Zeuge Jehovas hat einen medizinischen Ausweis, auf dem steht, was er bei einer eventuellen Krankheit an medizinischen Leistungen akzeptiert. Wir halten in den Versammlungen darüber Vorträge und informieren unsere Leute über alles im Detail“, berichtet er von seiner Arbeit.
Häufig sehen wir Zeugen Jehovas an bevölkerten Plätzen in der Stadt, die Literatur anbieten und mit Passanten sprechen. Das tun sie freiwillig.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.