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INTERVIEW

Auf Spurensuche: zwei Historiker digitalisieren die Geschichte der Serben in Wien

Warum haben Sie eben den Zeitraum von 1741 bis 1918 ausgewählt? Warum ist er besonders für die Geschichte der Serben in Wien wichtig?
Es hat damit zu tun, dass der Reichtum an Quellen aus dem 19. Jhdt. der größte ist. Es ist eine interessante Phase, weil in den 1860er Jahren die serbische Kirchengemeinde zum Hl. Sava in Wien gegründet wurde. Bis 1893 wird die Kirche im dritten Bezirk errichtet. Der Zeitraum von 1800 bis 1850 ist von einer Symbiose der Orthodoxen in den griechischen Kirchen (Hl. Georg und Hl. Dreifaltigkeit) geprägt. Dort kann man in den Tauf- und Sterberegistern sehen, wer in die Kirche gegangen ist, wer getauft wurde, wer geheiratet hat etc. Ab 1890 werden Bücher ausschließlich über die Wiener Serben in der Kirche zum Hl. Sava geführt. Ab dann beginnt die selbständige  Führung der Wiener Serben. Die eigentliche Vision ist, dass wir mit den orthodoxen Serben beginnen und dann in der Zukunft das Ganze auf die Orthodoxe in Wien ausweiten.

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„Es wäre schön, wenn die Wiener Serben mehr über ihre Geschichte in Wien wissen würden, wodurch sich die Wahrnehmung der eigenen Geschichte in dieser Stadt zeigt. Und in die Gegenrichtung auch – bei der Stadt Wien und Wienern das Bewusstsein zu erwecken, dass nicht alles 1960 begonnen hat.“

Das Goldene Buch
Das Goldene Buch der serbisch-orthodoxen Gemeinde in Wien (FOTO: http://orthodoxes-wien.oeaw.ac.at/)

Wie ist die Einstellung von SerbInnen gegenüber ihrer eigenen Geschichte in Österreich heute und was können wir aus dem Geoportal der Projektes in der Zukunft lernen?
Es wäre natürlich sehr gut, wenn sich alle heutigen Wiener SerbInnen ihres kulturellen Erbes in Österreich bewusst wären. Ich hoffe, dass sie in Zukunft mehr in die Tiefe ihrer Geschichte gehen werden. Alle wissen z. B., wer Vuk Karadžić war, und das sollte so sein. Er ist in der Tat eine sehr wichtige Person. Es wäre aber auch schön, wenn die Menschen mehr über andere historische Personen wissen würden, wodurch sich die Wahrnehmung der eigenen Geschichte in dieser Stadt zeigt. Und in die Gegenrichtung auch – bei der Stadt Wien und den WienerInnen das Bewusstsein zu erwecken, dass nicht alles ab 1960 begonnen hat, sondern dass diese Geschichte eine sehr lange, gemeinsame Geschichte ist. Ich finde, das dies ein sehr schönes Aspekt des Projekts ist.

Wie ist die serbische Community heutzutage in Wien organisiert im Vergleich zu damals? Welche Trends sind bemerkbar?
Ich habe das Gefühl, wenn ich das 19. Jhdt. betrachte, dass die SerbInnen in der Gesellschaft sehr stark verwurzelt waren. Dies hatte natürlich auch mit der Zahl zu tun. Man muss dazu sagen, dass die Zahl der SerbInnen in Wien damals kleiner war als heute. Ich will darauf hinaus, dass die Organisation von 2000 oder 5000 Personen in kulturellen Vereinen, in der Kirchengemeinde etc. viel leichter ist als die Organisation von mehreren Zehntausenden von Menschen. Im 19. Jhdt. sind es ein paar Tausend, die aktiv sind. Wir sehen bei der Gründung der serbischen Kirche 1860 ca. 2000 Personen verschiedener Profile. Es gab eigene Gesangsvereine, eigene akademische Zeitschriften, einige Vereinigungen auf einem hohem Niveau etc. Heutzutage ist es sehr schwer, die Wiener SerbInnen zu koordinieren, weil das Lebenstempo sehr hoch ist. Um sich einer Sache zu widmen, muss man sich Zeit nehmen. Ich habe das Gefühl, dass es schon Initiativen gibt, die auf verschiedenen Ebenen passieren. Ich glaube jedoch, die Problematik ist oft, dass bestimmte Vereine nicht wissen, was die anderen machen. Mir scheint, dass ein Verein in Wien keine Vorstellung davon hat, was ein Verein in Graz macht. Außerdem fehlt es an Koordination. Es gibt schon Dachverbände von Tanzgruppen, aber die Vernetzung wäre wichtig. Das obliegt einem Kulturattaché des  jeweiligen Heimatlandes oder den Präsidenten bestimmter Vereine.

„Die Bedeutung der SerbInnen für das Haus Habsburg war sehr groß. Einerseits im Rahmen der Militärgrenze, andererseits über die Händler, die Rohstoffe aus dem Osmanischen Reich in das Habsburger Reich importierten… Durch diese Migration der Serben und auch Griechen hat die Orthodoxie hier in Wien Fuß gefasst.“

Grab_Vuk-Stefanović-Karadžić
Grab von Vuk Stefanović Karadžić am St. Marxer Friedhof (FOTOS: http://orthodoxes-wien.oeaw.ac.at/)

Welche Position in der Geschichte Österreichs nehmen die SerbInnen im Vergleich zu anderen orthodoxen Völkern in Österreich ein?
Die gemeinsame Geschichte des Hauses Habsburg mit den Orthodoxen beginnt sehr früh, eigentlich schon im 16. Jhdt. und zwar auf ihrem eigenen Territorium. Das heißt nicht im Sinne einer Gesandschaft nach Konstantinopel (Istanbul), sondern durch Interaktion mit der Bevölkerung. Im 17. Jhdt., nach den erfolgreichen Kriegen der Habsburger gegen das Osmanische Reich ist dieser Kontakt noch unmittelbarer. Ich denke, dass das 17. Jhdt. und der Beginn des 18. Jhdts. sehr schlecht erforscht sind. Es gibt viele viele wichtige Aspekte wie die „Velika seoba“, die Geschichte der Serben in der Vojvodina etc., also unheimlich viel Potential in Zukunft für die Forschung. Die Bedeutung der SerbInnen für das Haus Habsburg war sehr groß. Einerseits im Rahmen der Militärgrenze, andererseits über die Händler, die Rohstoffe aus dem Osmanischen Reich in das Habsburger Reich importierten und in das Osmanische Reich zurücktransportierten. Das ist eine Dimension, die sehr wichtig ist, weil durch diese Migration der Serben und auch Griechen die Orthodoxie hier in Wien Fuß gefasst hat. Der Moment, in dem Kaiser Leopold I die Orthodoxie tatsächlich in seinem Kernland auf einer breiten Basis akzeptiert hat, was vorher in der Form nicht gegeben war, war entscheidend. Dann beginnt diese Rolle der Orthodoxen. Man kann sagen griechisch und serbisch geprägt.

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Vuk Stefanović Karadžić zählt als wichtigster Sprachreformator der serbischen Sprache und verbrachte einen Großteil seines Lebens in Wien, wo er vor 1846 verstarb.

Das Projekt läuft bis zum 31.12.2018. Was erwarten Sie danach, wenn das Portal fertig ist?
Es wird an mir liegen, die jungen HistorikerInnen für die historische Geographie zu animieren. Ich werde schauen, dass wir ein Folgeprojekt machen können. Das Geoportal wird im Jänner 2019 freigeschaltet, und jeder Mensch auf der Welt wird den Zugang zu diesem Geoportal haben. Ich habe auch überlegt, eine kleine Veranstaltung zu machen, um es offiziell zu verkünden. Im Herbst dieses Jahres werde ich zusammen mit Zlatan Stojadinović einen Vortrag über das Projekt halten, wo wir es mit den ersten Resultaten vorstellen werden. Mein Wunsch für die Zukunft wäre auch, eine App zu entwickeln. Ich denke daran, eine Querverbindung zu der Datenbank herzustellen und es den Menschen zu ermöglichen, bei der Bewegung durch Wien verschiedene Orte bzw. Punkte zu finden. Dies wäre auf jeden Fall eine weitere Ebene, die ich gerne erreichen möchte.

Weitere Infos zum Projekt sowie das Geoportal findet ihr hier.