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EINE SCHANDE FÜR DEN STAAT

Der Handel mit Babys – ein Verbrechen ohne Strafe

Als wir drei Kinder bekamen, schlug meine Frau vor, meine biologischen Eltern zu suchen und kennenzulernen, damit es nicht passieren könnte, dass unsere Kinder morgen aus Unkenntnis einen Blutsverwandten heirateten. Und da beginnt die schreckliche Geschichte. Als wir die angeforderten Dokumente nicht bekommen konnten, wandten wir uns an Radiša Pavlović, ein Mitglied der Regierungskommission für verschwundene Babys und Vorsitzenden der Vereinigung für Wahrheit und Gerechtigkeit für die Babys. Erst auf seine Intervention hin erhielt ich einen Auszug aus dem Matrikelbuch der Geborenen und machte eine schreckliche Entdeckung. Schon auf den ersten Blick war klar, dass das Dokument gefälscht war. Angeblich bin ich am 3. März 1981 in der Geburtenstation in Kruševac geboren, aber im Krankenhausprotokoll stand der Name der Mutter, Snežana Stojanović aus unserem Nachbardorf Prćilovica, Mädchenname Milojević, geboren 1951. Sie war also gar nicht minderjährig, wie behauptet worden war. Als Vater ist Siniša Stojanović aus unserem Dorf angegeben und unter seinem Namen war die erste Anmeldung meiner Geburt erfolgt. Allerdings hatte das Krankenhaus noch am selben Tag eine neue Meldung geschickt, in der der Familienstand der Eltern und das Vorhandensein eines Vaters gelöscht waren, und ich hatte angeblich nur eine Mutter und den Namen Nenad Milojević. Auf keinem einzigen Dokument gibt es eine Unterschrift meiner leiblichen Mutter. Dennoch hatte der Standesbeamte in das Matrikelbuch der Geborenen den 10. März eingetragen, während der Auszug aus dem Krankenhaus erst einen Tag später eingetroffen war. Offiziell wurde ich am 2. Oktober 1981 adoptiert und erhielt meinen heutigen Namen und Vornamen.

Als ich mich auf die Suche nach meiner Mutter machte, stellte sich heraus, dass es sie in den Matrikelbüchern nicht gab, ebenso wenig wie meinen biologischen Vater, und auch ihre Ehe ist nirgendwo eingetragen. Die weiteren Nachforschungen führten uns in das Zentrum für Sozialarbeit Aleksinac, wo die Direktorin nach vielen Ausflüchten zugab, dass es für mich keine Akte gab. Es fehlen noch 28 weitere Akte über Adoptionen im Zeitraum von 1975 bis 1985. Als meine Geschichte erstmals ohne Preisgabe meiner Identität in den Medien veröffentlicht wurde, meldeten sich zwei Familien bei der Vereinigung, deren Kinder in diesem Frühling in der Geburtenstation in Kruševac verstorben waren und die den Verdacht hegten, sie seien entführt worden. Um die Ironie noch zu vergrößern, wurde mir in der Geburtenabteilung gesagt, dass bei ihnen kein einziges Baby gestorben sei. Ich bin sehr ungeduldig, die DNA-Analysen zu bekommen, denn es kann sein, dass eine der beiden Familien meine ist. Mama Verica unterstützt mich bei der Suche nach der Wahrheit, denn sie weiß, dass ich für immer ihr Sohn bleiben werde.

„Sie wollten mich überreden, ein Baby zu kaufen“
Marko Markić Ivić (62)
Von Beruf bin ich Kellner, und meine Frau Ana (59), mit der ich schon 42 Jahre verheiratet bin, ist Köchin. Wir sind Inhaber eines Restaurants in Deutschland. In diese Geschichte bin ich ganz zufällig hineingeraten, nach dem 25. Mai dieses Jahres, als ich eine Fernsehsendung über entführte Babys in Serbien gesehen habe. Da wurde mir plötzlich alles klar, da habe ich begriffen, dass ich aus Unkenntnis in das schlimmste Verbrechen hätte verwickelt werden können. Es waren Monster, die meinen Wunsch, ein Kind zu adoptieren, als mögliche Geldquelle ausnutzten.

1988 waren Ana und ich im Urlaub. Als mein Stiefvater sagte, ich sollte ihn nach Bugojno fahren, stimmte ich zu, ohne nachzudenken. Aber statt seinen Geschäften nachzugehen, machte er mich mit einem Mann bekannt, der sich als Dragan, von Beruf Rechtsanwalt, vorstellte. Er erzählte mir, dass er ein Kind adoptiert hätte und dass ihn das glücklich mache, und schlug mir dann vor, mich in Belgrad mit Leuten zusammenzubringen, die auch mir helfen könnten. Er betonte sofort, dass ich für ein Baby 10.000 Deutsche Mark zahlen müsse und für Zwillinge 15.000, was ich akzeptierte, weil ich dachte, das Geld käme der Waisenfürsorge zugute. Dragan versprach ich aus Dankbarkeit eintausend Mark für ein Kind und zweitausend für Zwillinge.

Marko Ivić: „Ich hatte erwartet, in das legale Adoptionsverfahren aufgenommen zu werden.“ (FOTO: zVg.)

Als ich in Belgrad war, erwartete ich, in den legalen Adoptionsprozess für Kinder einzutreten, und mir war klar, dass das drei Jahre dauern würde. Ich wollte wissen, wie das Verfahren abliefe, und dann mit meiner Frau gemeinsam kommen, denn das musste eine gemeinsame Entscheidung sein. Der erste Zweifel wurde in mir geweckt, als ich in ein Krankenhaus gebracht wurde, denn ich nahm an, dass man Kinder aus einem Waisenheim adoptieren würde. Der Arzt, den mir Dragan vorstellte, sagte sofort, dass das Geld, das ich zahlen würde, dem Waisenheim zugutekäme, obwohl ich den Verdacht hatte, dass sich jemand auch privat um einige Tausender aus der Summe bereichern würde. Das ist Teil unserer Mentalität. Der Arzt behauptete, ich würde ungewollte Babys von Minderjährigen und Studentinnen aus dem Landesinneren sehen, und beklagte, dass diese normalerweise in Heimen untergebracht würden und, wer weiß wie lange, auf Eltern warten müssten. Ich fragte, wie die Kinder in die Papiere eingetragen würden, und er antwortete ohne nachzudenken, dass man überall schreiben würde, dass meine Frau sie geboren habe. Er bot mir drei Optionen an: das Baby sofort zu übernehmen, mit meiner Frau wiederzukommen und das Kind dann mitzunehmen oder der Familie zu sagen, dass sie schwanger sei, und in neun Monaten wiederzukommen. Er garantierte mir, dass auf der Geburtsurkunde stehen würde, dass meine Frau und ich die leiblichen Eltern des Kindes seien.

„Sie forderten für ein Baby 10.000 Deutsche Mark und für Zwillinge 15.000.“

Nach diesem Gespräch, während dessen mir große Zweifel kamen, brachte mir die Schwester einen Kittel und der Arzt und ich gingen auf die Geburtenstation. Während wir in den ersten oder zweiten Stock gingen – das weiß ich nicht mehr genau -, sagte mir der Arzt, ich sollte die Hand auf das Bett einer Frau legen, die meiner Frau etwas ähnelte. In einem Zimmer sah ich ein Mädchen, dass meiner Ana wirklich ähnlich sah, und ich legt die Hand auf ihr Bett. Anschließend führte er mich in das Zimmer mit den Babys. Ich blieb bei einem Baby stehen, seine langen Wimpern hatten mich angezogen. Sie war ein Engel, das sagte ich ihm auch. Er antwortete, dass das genau das Baby der Gebärenden war, auf deren Bett ich meine Hand gelegt hatte. Und dann wiederholte er dreimal „Ivić, wähle!“ Da blieb ich stehen. Wie sollte ich ein Baby wählen? Ich hatte gesehen, dass das keine Geburtenstation nur für Studentinnen war, sondern dass hier auch ältere Frauen waren. Ein Schauer durchlief mich, ich fühlte einen Druck in der Brust und mir blieb der Atem weg, konfrontiert mit dem Verdacht, dass da etwas nicht stimmte. Daher sagte ich dem Arzt, ich müsse erst mit meiner Frau reden.

ZEUGE. Sie haben versucht, mir ein Baby zu verkaufen.

Natürlich wollte meine Ana auch nicht an einem Verbrechen beteiligt sein und wir verdrängten diese Episode in unser Unterbewusstsein. Ich bin mit meiner schweren Erfahrung nicht an die Öffentlichkeit gegangen, um jemanden anzuschwärzen, sondern um bei der Aufklärung der Baby-Affäre zu helfen. Ehrlich gesagt bin ich auch tief gekränkt. In dem Moment, in dem mich der Arzt in das Babyzimmer führte, habe ich zum ersten und letzten Mal im Leben echte väterliche Liebe gespürt. Ich wusste, dass ich ihr nicht nahekommen durfte und sie nicht berühren durfte, aber ich wollte sie von ganzem Herzen in den Arm nehmen und sie meine Tochter nennen. Ich habe sie niemals vergessen. Über dieses Ereignis habe ich eine Erklärung geschrieben, sie beim Notar in Belgrad beglaubigen lassen und sie an die Staatsanwaltschaft übergeben. Bisher hat mich noch niemand eingeladen, eine Aussage zu machen. Wenn sie mich vorladen, werde ich natürlich hingehen und alles in dem Wunsch erzählen, dass mein Fall zur Aufklärung der Affäre der geraubten Babys beitragen kann.

FOTO: iStockphoto

Schreckliche Fakten
Von 2002 bis heute wurden bei den Staatsanwaltschaften in Serbien mehr als 900 Anzeigen aufgegeben. In ganz Serbien laufen 165 Vorermittlungen zum eventuellen Verschwinden von Babys. Nach offiziellen Angaben besteht der Verdacht, dass mehrere tausend Babys aus Geburtskliniken in Serbien geraubt wurden.

Zorica Jovanović hat den Staat Serbien beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verklagt und das Gericht hat am 9. September 2013 einen rechtskräftigen Beschluss gefasst, in dem festgestellt wird, dass Serbien das Recht auf Privatsphäre und Familienleben der Klägerin verletzt hat, der eine Entschädigung von 10.000 Euro zugesprochen wurde.

49 Jahre nach der Geburt glaubt Radmila Smiljanić, Primadonna der Belgrader Oper, noch immer, dass ihre erstgeborene Tochter als Baby in der Geburtsanstalt Narodni Front gestohlen wurde. Sie erinnert sich, wie beunruhigt sie war, als sie hörte, dass das Baby im Inkubator sei. Der Arzt, der die Geburt geleitet hatte, besuchte sie erst am dritten Abend und zuckte mit den Schultern. Er sagte, er wisse nicht, was geschehen sei und wage es nicht, ihr unter die Augen zu treten.

Die Malerin Ljiljana Marić aus Pančevo behauptet, sie sei die leibliche Tochter der berühmten, 2009 verstorbenen Malerin Olja Ivanjicki. Sie sagt, dass mehrere Menschen diese Information bestätigt hätten, obwohl sie keine konkreten Beweise anführt. Sie behauptet, dass die berühmte Malerin erpresst wurde und dass sie sie als Baby an eine andere Familie abgeben musste.