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REPORTAGE

Erstklässler als politische Versuchskaninchen: Sara (9) & Maša (6)

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(FOTO: Amel Topčagić)

Die Grundlage des Bildungssystems ist die Sprache, und seit Jahren wird darüber diskutiert, dass die Schüler in Österreich in diesem Unterrichtsfach nicht gerade brillant sind. Seit diesem Schuljahr gilt ein neues Gesetz für Erstklässler.

Die neue österreichische Regierung hat zu Beginn ihres Mandats Änderungen im Bildungsgesetz bzw. eine Intensivierung des Deutschunterrichts angekündigt, und die angekündigten Veränderungen wurden von vielen Schuldirektoren und Lehrern als unfair gegenüber den Kindern und als übertriebener Eingriff in die Schulautonomie kritisiert, und es gab scharfe politische Kommentare, für die in diesem Text kein Platz sein soll. Es ging so weit, dass 300 Direktoren eine Petition gegen die Gesetzesänderung einreichten, aber vergebens. Die Erstklässler trugen am 3. September auf ihrem Rücken auch die Last, die erste Generation zu sein, an der das neue Gesetz erprobt wird.

Im Wunsch zu erfahren, was Eltern unserer Herkunft davon halten und wie ihre Erfahrungen in den ersten Schultagen waren, hat KOSMO drei Familien besucht. Ihre Geschichten sind sehr unterschiedlich, was darauf hinweist, dass das neu verabschiedete Gesetz in seiner elementaren Form nicht in allen Schulen umgesetzt wird.

Was sagt das Gesetz?


Für Kinder, die aufgrund eines Mangels an deutschen Sprachkenntnissen dem regulären Unterricht nicht folgen können, wird zusätzlicher Deutschunterricht angeboten. Nach dem ersten Halbjahr findet eine Testung statt, und wenn ein deutlicher Fortschritt erkennbar ist, können die Kinder im Weiteren den regulären Unterricht besuchen, wobei sie mit je sechs zusätzlichen Deutschstunden in der Woche unterstützt werden können. Die übrigen Kinder wiederholen den Test am Ende des Schuljahres. Der Zusatzunterricht in Deutsch kann maximal vier Semester bzw. zwei Schuljahre andauern. Das Bildungsministerium hat Lehrpläne für die Volks- und Mittelschule erstellt, deren Ziel es ist, dass die Schüler zur Beherrschung der mündlichen und schriftlichen Kommunikation in deutscher Sprache geführt werden.

Sandra Spirić Živanović – Mama von Sara und Maša

Diese Geschichte ist ein echter Indikator, wie schwer es für Kinder und Eltern ist, wenn sie ohne Sprachkenntnisse in dieses Land kommen. Sandra, diplomierte Ökonomin und Fitnesstrainerin, ist vor drei Jahren mit ihren beiden Töchtern nach Wien gekommen. Sie sprachen kein Deutsch. „Mein Mann hat als Elektroingenieur Arbeit gefunden und ist anderthalb Jahre vor uns nach Wien übersiedelt. Die Kinder und ich sind genau am 6. September angekommen, einen Tag nach Beginn des Schuljahres. Sara (9) hat damals sofort einen Platz in einer Vorschulklasse bekommen und Maša (6) ist in den Kindergarten gekommen. In den ersten sechs Monaten ist Sara weinend in die Schule gegangen und nach Hause gekommen, denn sie dachte, dass sich die Lehrerin ärgerte und sie anschrie. In ihr bildete sich ein Widerstand gegen die Schule und der hielt an, bis sie anfing zu verstehen, was um sie herum geschah. Wir haben Bücher gekauft und zu Hause gemeinsam Deutsch gelernt. Leider konnte ich dem Kind nicht helfen und konnte auch von der Lehrerin keine Hilfe für Sara fordern“, erinnert sich Sandra traurig an diese ersten sechs Monate.

Obwohl sie lauter Einser hatte, hat die Lehrerin empfohlen, dass Sara wegen der deutschen Sprache in die erste Klasse zurückversetzt würde. (FOTO: Amel Topčagić)

Als sie sich zum Masterstudium an der Universität einschrieb und begann, einen Deutschunterricht zu besuchen, fand sich auch Sandra schon nach sechs Monaten besser zurecht. Aber am Ende des Schuljahres hatte Sara noch immer Schwierigkeiten, Deutsch zu verstehen.

„Sie hat die erste Klasse wiederholt und erst ab dem zweiten Halbjahr der zweiten Klasse wurden in der Schule einmal pro Woche zusätzliche Deutschstunden organisiert. Saras Problem waren das Lesen und Schreiben, aber am Ende des ersten Semesters der zweiten Klasse hatte sie positive Noten. Der Schock folgte, als mir die Lehrerin am Ende des Schuljahres ankündigte, dass mein Kind eine negative Note hätte, denn in den Diktaten machte sie viele Fehler. Sie forderte, dass wir einen Legasthenietest machen sollten, aber zum Glück stellte sich heraus, dass es sich nur um unzureichende Sprachkenntnisse handelte“, fährt diese Mama fort.

Sandra Spirić Živanović:

„Wenn es nötig wäre, dass Maša zusätzliche Sprachstunden besucht, würde ich das unterstützen.“

Obwohl Sara in allen anderen Fächern Einser hatte, empfahl die Lehrerin, dass sie wegen der deutschen Sprache noch einmal in die erste Klasse gehen sollte, was gesetzlich jedoch unmöglich war. „Sara hat dann unter der Bedingung, dass ich sie in eine private Deutschschule einschreibe, doch eine positive Note bekommen, um in die dritte Klasse aufzusteigen. Ich habe einen Jahresvertrag gemacht, den ich der Lehrerin zur Einsicht vorgelegt habe, und jetzt besucht mein Kind zweimal wöchentlich für zwei Stunden einen Deutschunterricht. Der kostet uns fast 3.300 Euro, aber wir sind zu allen Opfern bereit, damit Sara in diesem wichtigen Schuljahr in Deutsch besser wird und den anspruchsvollen Stoff erlernen kann“, ist Sandra entschieden.

In der Zwischenzeit ist auch die jüngere Maša in die Schule gekommen. In einem Test im Kindergarten wurden ihre Deutschkenntnisse als vollkommen zufriedenstellend bewertet.

„Was Maša betrifft, bin ich viel entspannter, denn ich würde sagen dass sie die Sprache besser gelernt hat als ihre ältere Schwester und dass es ihr unvergleichlich leichter gefallen ist, denn sie kommuniziert entspannter in Deutsch. Maša geht in eine staatliche Schule, aber wenn es nötig wäre, dass sie zusätzliche Deutschstunden besucht, würde ich das unterstützen“, sagt Sandra und fügt hinzu, dass sie auch selber das Niveau B2 erreicht hat und jetzt zu Hause viel besser mit den Kindern lernen kann. So verbessern sie jetzt gemeinsam ihr Deutsch. In Mašas Schule ist das Modell des Zusatzunterrichts anders. „Nach den Worten der Lehrerin werden alle Kinder getestet, und die, die Probleme mit der deutschen Sprache haben, haben zwei Jahre lang jeden Tag zwei Stunden Deutsch und noch zwei weitere, in denen sie den Stoff der anderen Fächer durchgehen. Die Testungen finden einmal im Quartal statt, damit man den Fortschritt der Kleinen erkennen kann. Wir wurden darauf hingewiesen, dass diese Stundenzahl vielleicht nicht ausreicht, um auch Mathematik zu lernen, und dass wir Eltern nicht überrascht sein sollten, wenn eines der Kinder die zweite Klasse wiederholen müsste. Die Lehrerin ist zu dem Schluss gekommen, dass Mašas Deutschkenntnisse gut sind, und sie erwartet, dass sie den Test bestehen wird. Aber auch ohne das weiß ich, dass ich mit beiden Töchtern zu Hause viel arbeiten muss“, sagt uns Frau Spirić Živanović zum Ende unseres Gesprächs.