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INTERVIEW

Bogner-Strauß: „Man muss Frauen Mut machen, aus der Gewaltspirale auszubrechen“

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„Es muss zu einem gesellschaftlichen Umdenken kommen und Normalität werden, dass sowohl der Vater als auch die Mama zu Hause bleibt“, unterstrich Bogner-Strauß. (FOTO: Amel Topčagić)

Apropos Schule und Jugendliche: ein Phänomen, das mit der steigenden Digitalisierung einhergeht ist Gewalt und Hass im Netz. Wie möchten sie dem Cyber-Mobbing entgegenwirken?
Wir haben die Jugendstrategie um ein viertes Thema erweitert: Medien und Informationen. In unserem Portfolio befinden sich bereits viele Projekte, wie „Digi for family“, „No hate speech“, „Schön ohne Photoshop“ usw. Wir versuchen hier viel für Jugendliche zu tun. Allerdings wissen viele gar nicht, an wen man sich bei Fragen wenden kann. Was kann ich überhaupt tun, wenn so etwas passiert? Aus diesem Grund gibt es eine eigene Seite des Bundeskanzleramtes „Netzberatung“, wo man einen Überblick über alle Anlaufstellen findet. Eine rezente Studie zeigte auch, dass 30 Prozent der Jugendlichen genervt von ihren Mobiltelefonen sind, da sie die Sozialen Netzwerke und ständige Erreichbarkeit auch unter einen gewissen Druck setzen, bzw. eine große Ablenkung von der Schule darstellen. Allerdings sind hier auch die Eltern stark gefragt, die den Kindern vorleben sollten, dass das Handy nicht ein essentieller Bestandteil des Alltages ist und man nicht immer und überall erreichbar sein muss.

„Wie lange werden Sie den Frauenmorden in Österreich noch untätig zusehen?“, kritisierte Sie die SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende und Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek. Wie entgegnen Sie diesem Vorwurf?
Wir haben das neue Maßnahmenpaket gegen Gewalt an Frauen kurz nach diesem Vorwurf präsentiert, was bedeutet, dass bereits mindestens ein Jahr Vorarbeit geleistet wurde. Wir haben das Problem recht- und frühzeitig erkannt. Wir haben uns intensiv seit acht oder neun Monaten mit den Themen beschäftig, noch bevor es, leider, zu denFrauenmorden kam. Ich hoffe, dass die Häufung vom Jänner nicht die Gesamtjahresstatistik widerspiegelt. Unser größtes Ziel ist es, Frauen mit dem neuen Maßnahmenpaket dazu zu motivieren, aus der Gewaltspirale auszusteigen. Wir wollen eine niederschwellige Lösung anbieten. Hierzu gehören auch Männerberatungen. Ich kann Ihnen ein Bespiel aus der Steiermark geben. Die Erfahrungen der Beratungsstelle „Neustart“ zeigen, dass 80 Prozent der beratenen Männer nicht zu Wiederholungstätern werden. Man muss auf vielen Ebenen frühzeitig eingreifen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich die betroffenen Personen auch an jemanden wenden.

Frauenhäuser sind großartig in Notsituationen, jedoch muss man Frauen auch dabei unterstützen, wieder in den Alltag zurückzufinden.

Sie bezeichneten kürzlich die Neue Mindestsicherung „als Chance für Migrantinnen“. Andere sehen darin jedoch eine Art Hartz4-Abwärtsspirale für die Bezieher…
Ich habe diesbezüglich in den vergangenen Monaten zahlreiche Diskussionen geführt und habe auch zahlreiche Beispiele, die meine Aussage bekräftigen. Die meisten davon stammen aus meinem Privatleben. Oft können zum Beispiel Patientinnen die Sprache nicht gut genug, um sich mit den Ärzten zu verständigen. Wenn dann der Ehemann übersetzt, stellt sich immer die Frage, ob er tatsächlich synchron übersetzt oder vielleicht das fragt oder sagt, was er möchte.Ohne Sprache kann man sich nicht integrieren. Sie ist der Schlüssel. Wie soll man ohne Deutschkenntnisse eine Arbeit finden? Und hier sind wir auch wieder bei der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Wenn ich die Sprache nicht kann und deswegen nicht arbeiten gehen kann, bin ich mein Leben lang abhängig – in einem fremden Land, wo ich womöglich keine oder nur wenige Freunde und Freundinnen haben. Aus diesem Grund sehe ich in der neuen Mindestsicherung eine Chance, die von den Frauen genützt werden kann. In Wien sehen wir oft, dass Frauen erst gar nicht die Erlaubnis von ihren Männern bekommen, Sprachkurse zu besuchen. Wenn ich jedoch monatlich 300 Euro weniger Mindestsicherung bekomme, dann bin ich mir sicher, dass der Großteil von ihnen Sprachkurse besuchen wird und dann können Frauen auch diese Chance nützen.

Statistiken zeigen, dass trotz der Möglichkeit bei der Vaterkarenz nur wenige Männer diese in Anspruch nehmen. Sind große Gender Gaps der Grund, weshalb statistisch gesehen eher Frauen in Karenz gehen?
Ein großer Faktor ist mit Sicherheit das gesellschaftliche Denken in Österreich. Wir haben immer noch ein tradiertes Familienbild. Lange Zeit über wurde ein Gehalt als ausreichend empfunden, später dann eineinhalb Gehälter. Frauen gehen nach dem ersten Kind oft in die Teilzeit und bleiben in solch einem Beschäftigungsverhältnis auch sehr lange. Hierbei darf man jedoch nicht die Realität von 40 Prozent Scheidungsrate vergessen. Ich denke hier einen Schritt weiter: Altersarmut, schlechte Pension und nicht nur an den Gender Pay Gap. Man muss hier jedoch schon sagen, dass es vor dem ersten Kind kaum eine Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen gibt. Viele Dinge aus diesem Bereich sind jedoch noch nicht angekommen.

Derzeit wird über den Papamonat für alle diskutiert. Gemeinsam mit Bundesministerin Schramböck und Bundesministerin Hartinger-Klein werde ich ein Modell ausarbeiten. Wir haben seit Jahrzehnten einen Rechtsanspruch auf Väterkarenz und trotzdem verzichtet die Mehrheit Familien auf das Geld, dass der Vater bekommen würde, den nicht-transferierbaren Anteil von 20 Prozent. Im Durchschnitt haben wir nur 19 Prozent Väterbeteiligung, was sehr gering ist. Hier muss es zu einem gesellschaftlichen Umdenken kommen und Normalität werden, dass sowohl der Vater als auch die Mama zu Hause bleibt. Gleiches gilt für Unternehmen. Wenn eine Frau schwanger wird, dann gratulieren ihr alle und finden das wunderbar, wenn jedoch ein Mann in Karenz gehen möchte, dann „bricht die Firma zusammen.“ Warum bricht bei der Frau nicht die Firma zusammen? Hier sieht man, dass es am gesellschaftlichen Denken mangelt. Dies ist auch bei der Elternteilzeit der Fall, auf welche beide Elternteile gleichen Anspruch haben. Viele Männer werden in Zeitmanagementseminare geschickt. Wenn man ein paar Monate zu Hause mit dem Kind ist, dann weiß jeder was Zeitmanagement ist.

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„. Wenn man ein paar Monate zu Hause mit dem Kind ist, dann weiß jeder was Zeitmanagement ist“, unterstrich Bogner-Strauß, die sich für mehr Väterbeteiligung bei der Karenz wünscht. (FOTO: Amel Topčagić)

Was muss im Bereich der Arbeitgeber, um diese „perfekte Vereinbarkeit“ zu erreichen?
Viele Arbeitgeber tun bereits viel. Wir haben ein eigenes Netzwerk mit dem Namen „Unternehmen für Familien“, welchem sich bereits österreichweit 500 Unternehmen, Schulen, Hochschulen und Gemeinden angeschlossen haben. Diese haben erkannt, dass die Familienfreundlichkeit nur Vorteile für das Unternehmen bringt. So bekommt man die besten Köpfe, die Arbeitnehmer sind glücklicher, motivierter und zufriedener. Männer brauchen auch keine Ausreden, wie „Ich hole mein Auto aus der Werkstatt ab“, sondern können offen sagen, dass sie das Kind von der Kinderbetreuung abholen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf bringt allen was und entstresst vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn dies die Unternehmen erkennen, dann könnte man zum Beispiel den vorherrschenden Fachkräftemangel großteils mit den vielen Frauen kompensieren, die sich in langjähriger Teilzeitbeschäftigung befinden.

„Eltern sind stark gefragt, den Kindern vorzuleben, dass das Handy nicht ein essentieller Bestandteil des Alltages ist und man nicht immer und überall erreichbar sein muss.“

Selbstverständlich sind die Firmen auch gefordert, denn sie müssen Frauen ein besseres Angebot unterbreiten. Das Problem ist oft, dass Frauen bei ihrer Rückkehr aus der Teilzeit weniger verdienen, eine schlechtere Position bzw. ein weniger wichtiges Aufgabengebiet zugesprochen bekommen und dergleichen. Das motiviert mit Sicherheit niemanden, die Stundenanzahl freiwillig aufzustocken. Unternehmen müssen das Potential der Frauen erkennen und Vätern ermöglichen auch an der Familienarbeit teilzuhaben, während Frauen gleichzeitig ihr eigenes Potential besser nützen müssen. Rund 70 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 Jahre arbeiten teilzeit. Und nicht 30 Stunden wöchentlich, sondern 20 oder gar weniger. Wegen der oben erwähnten Probleme tun dies viele freiwillig und nur wenige wünschen sich mehr Stunde. Dies geht jedoch nur so lange gut, so lange die Beziehung zum Partner hält. Sollte diese in die Brüche gehen, so sind wir wieder beim Punkt der wirtschaftlichen Abhängigkeit.