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REPORTAGE

Kinder der Diaspora: „Österreich ist unser Zuhause“

Kinder der Diaspora: "Österreich ist unser Zuhause" (FOTO: iStock)

In offiziellen Stellungnahmen heißt es, dass unsere Gemeinschaft in Österreich gut integriert ist, aber die Verbindung zu den Wurzeln, zur Sprache und zur Tradition sorgsam pflegt. Das klingt gut, aber stimmt es tatsächlich?

Es ist bekannt, dass ab Ende der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts massenhaft Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich kamen. Diese Generation war noch so naiv zu glauben, sie werde nach einigen Jahren nach Hause zurückkehren. Der eine wollte ein neues Haus bauen, der andere ein Feld und einen Traktor kaufen und wieder andere brauchten das Geld für eine große Hochzeitsfeier. Aber das Leben nimmt oft andere Wege als geplant, und so blieben die meisten in Österreich, wo sie Familien gründeten, und lebten in einem Spagat zwischen der alten und der neuen Heimat. Diese erste Generation war nie voll integriert, aber ihre Kinder, die hier ihre Schulausbildung genossen, gingen einige Schritte weiter als ihre Eltern. Die zweite Generation schwankte emotional noch immer zwischen zwei Ländern, zwei Kulturen und zwei Sprachen, realisierte jedoch, dass ihnen die deutsche schon vertrauter war als die der Heimat.

Inzwischen wächst in Österreich die dritte und sogar schon die vierte Generation junger Menschen heran, bei denen nur das –IĆ am Ende des Familiennamens an ihre balkanische Herkunft erinnert. Sie haben die österreichische Staatsbürgerschaft und die meisten empfinden Deutsch als ihre Muttersprache und betrachten ihr Herkunftsland mit einer gewissen Distanz. Bisweilen reisen sie mit den Eltern in die alte Heimat, schließen dort aber keine Freundschaften mit den Altersgenossen. Und wenn sie sich eine Weile am Balkan aufhalten, sind sie über das Internet im ständigen Kontakt mit den Freunden in Österreich. Die Bestätigung seiner Beobachtungen findet KOSMO in zwei serbischen Familien, die im Kreis Hollabrunn in Niederösterreich ihre neue Heimat gefunden haben.

Mit den Kindern nur Deutsch
Die Mitglieder der ersten freundlichen Familie sind: Milo (48), Beamter, Tanja (45), von Beruf Krankenschwester, ihre Tochter Victoria (19), Erzieherin in einem Kindergarten, und der Sohn Philip (18), der einen Lehrberuf erlernt. Das Gespräch führten wir zunächst mit den Eltern, die betonten, dass es einfacher sei, wenn wir mit den Kindern Deutsch reden.

„Ich bin in Serbien geboren, wo ich bis zum siebten Lebensjahr bei meinen Großeltern gewohnt habe, während meine Eltern in Österreich waren. Als sie mich nachgeholt haben – ich erinnere mich, dass das in den Winterferien war – , fand ich alles sehr schön, bunt und reich, es gab so verschiedene Früchte und wunderbare Zuckerl. Aber nach einiger Zeit wurde ich traurig, denn mir fehlte die vertraute Umgebung in meinem Dorf und ich wollte zurück. Zum Glück habe ich sehr schnell Deutsch gelernt und habe mich mit den Klassenkameraden in der Schule angefreundet, und das war wirklich eine bunte Gesellschaft: Österreicher, Türken, Jugoslawen… Natürlich haben wir nur Deutsch gesprochen, aber Serbisch habe ich mit den Eltern zu Hause geredet. Nach den wenigen Schulwochen in Ub habe ich nie mehr offiziell Serbisch gelernt, sodass die Grammatik nicht meine starke Seite ist“, sagt unser Gastgeber bescheiden.

Tanja: „Ich bin dazu erzogen, offen zu sein und alle guten und normalen Menschen zu akzeptieren, aber wenn ich darüber nachdenke, glaube ich, dass vorausgesetzt wurde, dass ich einen Mann aus unserer Region heirate.“

Tanja ist in Österreich geboren und sie hat die serbische Sprache nur zu Hause mit ihren Eltern verwendet, während sie mit den Altersgenossen ausschließlich Deutsch gesprochen hat. „Ich habe einen Ergänzungsunterricht in Serbisch besucht und sogar die kyrillische Schrift gelernt, aber in Deutsch kann ich leichter kommunizieren. Außerdem wollte ich bis zu meinem 15. Lebensjahr nie mit meinen Eltern nach Gradiška (B-H) fahren, woher sie stammen. Mit dem Älterwerden änderte sich das, mir begannen die Urlaube zu gefallen, die wir dort verbrachten. Dennoch spürte ich, dass ich mehr hierher gehöre, auch wenn ich inzwischen unsere Musik, die Freundschaften mit unseren Landsleuten und die Besuche bei meiner Familie und der meines Mannes liebe. Aber mit dieser Annäherung kam auch das Gefühl, dass ich nirgendwo ganz hingehöre, dass ich hier und dort Ausländerin bin“, ist Tanja ehrlich.

Auf die Frage, warum sie einander vor 20 Jahren als Lebenspartner gewählt haben und warum sie keine österreichischen Partner gesucht haben, wird das sympathische Paar nachdenklich.
„Ich bin dazu erzogen, offen zu sein und alle guten und normalen Menschen zu akzeptieren, aber wenn ich darüber nachdenke, glaube ich, dass irgendwie vorausgesetzt wurde, dass ich jemanden aus unserer Region heiraten würde. Das wurde zwar nie ausgesprochen, aber ich glaube, es war klar“, sagt Tanja, und Milo fügt hinzu, dass seine Eltern nichts dagegen gehabt hätten, wenn er eine Schwiegertochter ausländischer Herkunft heimgebracht hätte, aber dass sie sich doch gefreut hätten, dass er eine der „Unseren“ in die Familie brachte.

Die Ehe unserer Gastgeber wurde von zwei Kindern gekrönt, und auf die Frage, in welcher Sprache sie mit ihnen reden, antworten beide: auf Deutsch. „Als sie klein waren, haben wir mit ihnen auf Serbisch geplappert, oder eigentlich in einer Mischung der beiden Sprachen. Später, als sie in den Kindergarten und in die Schule kamen, haben sie nur noch Deutsch gesprochen, selbst wenn wir ihnen Fragen auf Serbisch stellten. Ich habe sie nicht gedrängt, dass zu ändern, denn ich wusste, dass sie hier leben würden, dass dies ihre Welt ist, und ich war der Meinung, dass das auch so sein sollte. Als wir nach Serbien gefahren sind, haben sich die Kinder erst nicht getraut, mit den Altersgenossen in ihrem andersartigen Serbisch zu reden, denn sie fürchteten, verspottet zu werden. Aber ich habe gemerkt, dass Philip, seitdem er angefangen hat auszugehen, immer mehr Freunde unserer Herkunft hat, was sich auch auf seine Sprachkenntnisse auswirkt. Victoria und er verstehen alles, aber die Kommunikation auf Deutsch ist für sie leichter“, erzählt Milo.
Tanja fügt hinzu, dass sie zu Hause immer Serbisch gesprochen haben, wenn die Großeltern zu Besuch kamen, dass es für sie aber leichter war, mit den Kindern Deutsch zu sprechen, die Sprache, in der sie selbst aufgewachsen war.
Für mich ist Deutsch die Erstsprache, daher habe ich mit den Kindern die Linie des geringsten Widerstands gewählt, denn so war es für uns leichter. Allerdings bin ich stolz, dass wir zu Hause immer unsere religiösen Feiertage gefeiert haben und den Kindern unsere Bräuche vermittelt haben, sodass sie wissen, dass sie Serben sind. Allerdings tut es mir jetzt leid, dass ich mit der Sprache nicht hartnäckiger war, aber jetzt lässt sich das nicht mehr ändern“, sagt die zweifache Mutter wehmütig.

Milo: „Seitdem er angefangen hat auszugehen, hat Philip Freunde unserer Herkunft, was sich auch auf seine Sprachkenntnisse auswirkt.“ (FOTO: KOSMO)

Philip fährt ab und zu in die Heimat seiner Eltern, vor allem, wenn gleichzeitig auch einer seiner Freunde aus Österreich dort ist. Am Anfang unseres Gesprächs sagt er sofort, dass er lieber auf Deutsch sprechen würde, weil ihm das leichter fällt. Aber wir haben nicht nachgegeben.
„Ein paar Mal in der Woche treffe ich mich mit Freunden, die auch aus unserer Region stammen. Mit ihnen habe ich angefangen, ein bisschen Serbisch zu sprechen, und das freut mich. Wir gehen in unsere Lokale und hören unsere Volksmusik und ich habe viele Texte gelernt. Ich würde unsere Sprache gerne besser lernen. Ich fahre gerne nach Ub und nach Gradiška, denn dort mag ich das Essen, die Leute… Es ist schön, aber dort leben könnte ich nicht. Wenn ich nach Gradiška fahre, treffe ich mich mit Rene und in Ub mit Đorđe. Die beiden leben in Österreich und wir sprechen zusammen nur Deutsch. Ich weiß, dass ich Serbe bin, und ich bin stolz darauf, aber in Österreich ist mein Zuhause“, konnte uns der sympathische Bursche doch auf Serbisch erklären.

Philip: „Ich gehe in unsere Lokale und höre unsere Musik. Viele Texte kann ich schon auswendig.“ (FOTO: KOSMO)

Da Victoria bei dem Gespräch nicht anwesend war, erzählt uns ihre Mutter, dass sie immer Probleme gemacht hat, wenn sie in die Heimat fuhren. Sie wollte nicht mitfahren und bestand darauf, bei der Oma zu bleiben. Jetzt fährt sie manchmal nach Serbien, um die Großeltern zu besuchen, aber sie bleibt nie lange dort. Und das sagte uns das junge Mädchen, das schon selbständig in Wien lebt und anfangs erfolglos darum bat, auf Deutsch sprechen zu dürfen:
„Ich freue mich darauf, Oma und Opa zu sehen, sie sind meine einzige Verbindung zu Serbien. Ich bleibe einige Tage dort und warte nur darauf, nach Wien zurückzukommen. Ich habe Familie in Serbien und ich verstehe alles, wenn sie mit mir sprechen, aber es fällt mir schwer, ihnen auf Serbisch zu antworten, und es ist mir auch unangenehm. Dort könnte ich nur mehrere Wochen verbringen, wenn auch eine meiner Freundinnen oder mein Bruder gleichzeitig dort wären. Allein könnte ich das überhaupt nicht. Unter meinen Freundinnen gibt es nur ein Mädchen, dessen Mutter aus Serbien stammt, die anderen sind alle Österreicher. Ich weiß, dass ich der Herkunft nach Serbin bin, aber ich fühle mich als Wienerin, denn hier bin ich geboren, hier arbeite ich und hier sind meine Freunde. Ich könnte einen Freund haben, der auch aus Serbien stammt, aber nur, wenn er, wie auch ich, hier aufgewachsen ist und wenn wir zusammen Deutsch sprechen könnten. Ich höre ab und zu serbische Unterhaltungsmusik, aber die österreichische Musik gefällt mir mehr. Dies hier ist einfach mein Land und ich glaube nicht, dass mir deswegen irgendetwas fehlt.“

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.