Start Aktuelle Ausgabe
REPORTAGE

Kinder der Diaspora: „Österreich ist unser Zuhause“

Zu Hause sprechen wir mehr Deutsch

Familie Pajkić: Valentina und Nebojša geben zu, dass sie sich, ebenso wie ihre Familien, gewünscht haben, ihren zukünftigen Partner unter ihren Bekannten aus unserer Gemeinschaft zu finden. (FOTO: KOSMO)

Auch die Familie Pajkić empfängt das Team des Magazins KOSMO in ihrem Heim: Nebojša (45), von Beruf Informatiker, seine Frau Valentina (46), die als Verkäuferin arbeitet, während die Töchter Sara (18) und Tamara (15) noch Schülerinnen sind. Ihre Lebensgeschichte gleicht vielen anderen.

Valentinas Eltern kamen Anfang der Siebzigerjahre aus Belgrad nach Österreich, wo sie geboren wurde. Serbisch lernte sie in den orthodoxen Religionsstunden in der Schule und sprach es intensiv in den Urlauben bei Oma und Opa in Serbien.

„Meine Mama wollte, dass wir zu Hause Deutsch sprechen, damit auch sie es besser lernen konnte, während mein Vater mit mir Serbisch gesprochen hat. Dennoch habe ich Deutsch als Erstsprache gelernt, was durch die Schule und später in der Arbeit ganz spontan und fast unbemerkt geschehen ist. Ich merke es heute nicht einmal mehr, wenn ich von der serbischen in die deutsche Sprache wechsle und umgekehrt“, ist Valentina, die unsere Sprache sehr schön spricht, ehrlich.

Nebojša stammt aus der Gegend von Požarevac. Er ist in Österreich geboren. Seine Eltern kehrten dann nach Serbien zurück, aber seitdem er sieben Jahre alt ist, ist wieder Österreich seine Heimat.
„Eingeschult wurde ich in Serbien, aber zum Halbjahr sind wir in ein Dorf unweit von Wien gezogen, wo es fast keine Landsleute von uns gab. Darum war ich mit Österreichern befreundet und habe sehr schnell Deutsch gelernt. Meine einzigen Kenntnisse in der Muttersprache stammen von zu Hause, in der Schule habe ich es nicht gelernt. Ich habe auch keine Gelegenheit, es oft zu hören, denn wir sehen meistens Fernsehprogramme auf Deutsch, außer wenn irgendein Feiertag ist und wir irgendeinen Film oder ein Festtagsprogramm aus der Heimat sehen. Mit den Freunden unserer Herkunft, die zumeist auch hier geboren und aufgewachsen sind, vermischen wir die Sprachen, ohne es zu merken. Wichtig ist mir, dass ich in Serbien normal mit der Familie und den Freunden reden kann, auch wenn wir höchstens zweimal im Jahr dorthin fahren“, erzählt Pajkić gegenüber KOSMO.

Valentina und Nebojša geben zu, dass sie sich, ebenso wie ihre Familien, gewünscht haben, unter ihren Bekannten einen zukünftigen Partner aus ihrer Gemeinschaft zu finden. Valentina ist als Mädchen in unsere Lokale gegangen, und daher war ihre Erwartung auch logisch, während ihr Mann behauptet, es sei ihm lange egal gewesen, woher seine Frau stammen würde. Aber mit der Zeit änderte sich diese Einstellung.
„Zuerst war es mir egal, wer meine Freundin und dann auch meine Frau werden würde, aber dann habe ich begriffen, wie viele Komponenten da übereinstimmen müssen, damit man für das ganze Leben zusammenpasst: Sprache, Religion, Mentalität, Kultur… Wenn mir nur ihr Äußeres gefällt und alles andere nicht passt, ist es klar, dass die Unterschiede im Laufe der Jahre immer deutlicher werden würden und dass das Zusammenbleiben schwer würde“, erklärt Nikola seine Einstellung.

Valentina: „Jeder Mensch muss ein Gefühl für seine Wurzeln haben, um zu einer vollkommenen Persönlichkeit zu werden.“

Die Pajkićs sprechen mit ihren Töchtern überwiegend Deutsch, obwohl sie es sich anders wünschen würden.
„Als wir Sara bekommen haben, haben wir mit ihr, bevor sie in den Kindergarten kam, nur Serbisch gesprochen. Aber als dann Tamara kam, sind wir auf Deutsch übergegangen, denn sie antworteten immer auf Deutsch, selbst wenn wir sie auf Serbisch ansprachen. So ist es noch heute, wo sie erwachsen sind: Wenn wir versuchen, im Alltag mehr Serbisch zu sprechen, gehen sie darauf einfach nicht ein, weil Deutsch für sie leichter ist. Wir machen ihnen keinen Druck, denn das wäre kontraproduktiv, aber wir hoffen, dass sich in Zukunft, wenn sie ganz erwachsen sind, etwas ändern wird. Jeder Mensch muss ein Gefühl für seine Wurzeln haben, um zu einer vollkommenen Persönlichkeit zu werden. Wir können vor uns selber nicht davonrennen, das brauchen wir nicht einmal zu versuchen“, erläutert uns Valentina ihre Einstellung sehr anschaulich.

Sara gibt an, dass sie im Urlaub gerne nach Serbien fährt, und auf die Frage, warum das so ist, antwortet sie, dass ihr die Entspannung ohne Schule und Verpflichtungen gefällt und dass sie gerne Zeit mit ihren Eltern und ihrer Schwester verbringt.
„Es ist schön, wenn wir in den Urlaub fahren, aber dort habe ich keine Freunde, daher verkehre ich mit ihnen über das Internet. Nach einer Woche kann ich es kaum erwarten, zurückzufahren. Dort ist alles anders als in meiner Welt, das Essen ist anders, die Sprache ist ein Problem für mich, obwohl die Leute sehr freundlich und herzlich sind. Mir gefällt Belgrad besser als das Dorf, aber zu Hause bin ich doch in Österreich. Hier bin ich mit Österreichern zusammen und habe nur eine Freundin, die Serbisch spricht. Hier, wo wir leben und wo ich in die Schule gehe, gibt es fast keine Leute mit Migrationshintergrund, daher ist es verständlich, dass ich mich ganz nach den Österreichern orientiere“, erzählt uns das Mädchen, das auf Deutsch denkt und träumt.

Tamara hört ihrer älteren Schwester aufmerksam zu und nickt zustimmend. Als wir sie fragen, was es ist, das ihr in Serbien fehlt und das sie in Österreich hat, antwortet sie ohne zu zögern, dass es die Gemeinschaft ist.
„Ich kann dort keine Freundin finden, weil mein Serbisch nicht gut ist. Schön ist es für mich nur, wenn gleichzeitig auch meine Freunde aus Österreich kommen und wir jemanden haben, mit dem wir die Zeit verbringen. Ansonsten hören meine Schwester und ich gerne Musik, nicht nur österreichische, sondern auch internationale. Die neue Balkanmusik gefällt mir, sie ist anders als alles andere, sie hat eine besondere Melodie und man will gleich anfangen, dazu zu tanzen. Mama und Papa hören zu Hause serbische Musik, aber ich finde manchmal, dass sie es übertreiben, und will mich dann lieber zurückziehen“, verrät die jüngere Schwester, und die Eltern erklären, dass sie gerne „starogradska“ und alte Volksmusik hören, was den Töchtern nicht gefällt.

Sara und Tamara: „Uns gefällt die balkanische Musik, denn sie ist anders als alles andere.“ (FOTO: KOSMO)

Wir fragen die Mädchen, ob sie es als Bereicherung empfinden, dass sie noch eine weitere Sprache beherrschen und auch die Kultur und Tradition ihrer Herkunft ganz gut kennen.
„Ich empfinde das nicht als etwas Besonderes, aber ich freue mich, dass ich noch eine zweite Heimat habe, in die ich fahren kann. Bei uns werden Weihnachten und Ostern zu Hause gefeiert, ich kann mich bekreuzigen und die Eltern erzählen uns von den Bräuchen. Aber meine Schwester und ich sprechen nur mit den Großeltern Serbisch, und wenn wir es in Serbien müssen, weil uns dort niemand versteht. Wir sind doch in Österreich zu Hause“, konstatiert Tamara und die Eltern geben zu, dass es ihnen leidtut, dass das so ist. Sie fügen hinzu, dass sie die Assimilation ihrer Kinder nicht verhindern konnten.

Die Pajkićs haben in Serbien ein Einfamilienhaus, in dem Nebojšas Eltern, die jetzt Pensionisten sind, seit kurzem leben. Sie stellen fest, dass sie nur nach Serbien fahren, um die Familie und Freunde zu treffen, aber dass das Haus sie nicht besonders interessiert. Allerdings…
„Wir sprechen über die Möglichkeit, eines Tages, wenn mein Mann und ich pensioniert sind, dorthin zu ziehen. Natürlich nur unter der Bedingung, dass die Kinder uns hier nicht brauchen. Aber wir sind nicht sicher, dass das gut wäre, denn hier sind alle unsere Freunde, hier sind wir aufgewachsen und geprägt worden und daher ist uns diese Mentalität auch näher. Wenn wir nach Serbien fahren, sagen wir alle, dass wir nach Hause fahren, aber genauso ist es auch, wenn wir wieder nach Österreich zurückkommen. Darum wissen mein Mann und ich nicht, wie es wäre, ständig dort zu leben. Ehrlich gesagt, sind wir nicht sicher, dass das wirklich so schön wäre“, äußert Nebojša seine Überlegungen, die Valentina bestätigt.