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ex-jugoslawische Gerichte

Balkan Stories: Bohnensuppe und Kulturimperialismus

(FOTO: Balkan Stories, iStock)

Die bekannte Seite Taste Atlas sorgt mit einem Ranking für Kopfschütteln in Serbien. Sie hat eine Liste der am schlechtesten bewerteten Speisen des Landes veröffentlicht. Allesamt sind es traditionelle serbische beziehungsweise ex-jugoslawische Gerichte. Man fragt sich, was das soll.

Bohnensuppe?

Wer kann etwas gegen Bohnensuppe haben?

Sicher, es gibt Menschen, die mögen einfach keine Bohnensuppe.

Aber wer bewertet dieses Grundnahrungsmittel des Balkan auf einer internationalen Bewertungsseite negativ?

Auf Taste Atlas haben sich offenbar die Feinde der Čorbast pasulj zusammengefunden, die außerhalb Serbiens als Grah firmiert, und man wird die Vermutung nicht los, sie seien Feinde des balkanischen Essens als solches und wahrscheinlich auch der Menschen der Region.

Anders ist nicht zu erklären, dass sich die Bohnensuppe auf einer Liste der am schlechtesten bewerteten Speisen Serbiens findet.

Man kann diese Liste weiterführen. Nur unwesentlich besser schneidet das der Bohnensuppe wesensverwandte Prebranac ab – eine der beliebtesten Vorspeisen Serbiens.

War da eine Gruppe Pythagoräer in Serbien unterwegs, oder wie soll man sich das vorstellen?

Andererseits: Die mögen auch Proja nicht. Eine der herrlichsten Beilagen in der Region, die ich kenne.

Sicher, es kann vorkommen, dass ein Restaurant eine Bohnensuppe oder ein Prebranac schlecht hinbekommt. Aber das sind Einzelfälle.

Gerade diese Gerichte kriegst du normalerweise in ausgezeichnet Qualität.

Fisch, Grammeln, Maisbrot, Sauerkraut – nichts ist vor den Banausen sicher

Und bitte Riblji paprikaš? Ernsthaft.

(Wobei mir fairerweise der Unterschied zur Riblja čorba prinzipiell eher unklar ist, aber das ist ein einfach herrliches Gericht.)

Ja, OK, ich habe mal eine wirklich nicht gute Riblja čorba in Novi Pazar gegessen. Anfängerfehler. So was isst man halt nur in Städten an großen Flüssen. Dort können sie das auch. Dafür gibt’s in Novi Pazar sonst sehr gute Sachen. Aber dass ich das auf einer internationalen Plattform negativ bewerte?

Auch zwei Gerichte mit Grammeln sind drauf. Duvan čvarci und Leskovačka kavurma. Kenn ich beide nicht, sehr zu meinem Bedauern. Muss ich ausprobieren.

Ich kann mir schon vorstellen, dass jemandem Grammeln einfach nicht schmecken. Aber deswegen gleich rumheulen?

Oder Popara. Das ist eine Art Brotpudding. Gibt es im ganzen ehemaligen Jugoslawien pikant oder süß, allerdings selten in Restaurants. Klassische Restelverwertung, Hausmannskost.

Ist nicht jedermanns Sache. Das versteh ich. Aber gleich petzen rennen, wenn einem so etwas nicht schmeckt?

Und Svadbarski kupus. Hab ich noch nie probiert. Schaut interessant aus – ein klassisches Herbst- und Winteressen, wenn man mich fragt.

Das ist einer Sarma nicht unähnlich. Das ist nach der Bohnensuppe das zweite Grundnahrungsmittel der Region.

Auch Pihtije haben’s auf die Liste geschafft. Das ist ganz einfach Sulz.

Zugegeben, ich mag die warme bosnische Variante namens Pače lieber, aber so ab und zu ist auch so eine kalte Sulz was Feines.

Das ist sicher nicht für jeden Geschmack. Aber, wie weiter oben, warum regt man sich gleich auf, wenn man das in einem Lokal bestellt und dann merkt, OK, das ist nichts für mich?

Werbeschild eines Restaurants in Skadarlija, Beograd. (FOTO: Balkan Stories)

Gleiches gilt für den Serbischen Salat, die Srpska salata. Das ist das Einzige auf der Liste, wo ich selbst sagen muss: OK, ist nicht meins. Aber anderen Leuten schmeckt’s, und das ist auch gut so.

Anschlag auf ein kuk-Gericht

Und dann hätten wir noch die Süßspeisen: Slatko od jagoda, Makovnjača, also Mohnstrudel, Lenja pita, und Rezanci s makom, das am schlechtesten bewertete Gericht.

Rezanci s makom sind Mohnnudeln aus der Vojvodina.

Ich hab sie sehr zu meinem Bedauern nie probiert. Ich vermute, das ist ein Essen, das man eher selten im Restaurant kriegt – und wenn, eher am Land als in der Stadt.

Sie sind ein bisschen anders als die Mohnnudeln, die wir in Österreich und soweit mir bekannt in Tschechien haben. Hier machen wir sie aus Kartoffelteig. Das ist ein bisschen ein Aufwand.

In der Vojvodina verwenden sie traditionelle vojvodinische Nudeln aus normalem Nudelteig.

Wahrscheinlich das eine kuk-Speise. Ein Gericht, das sich im Habsburgerreich verbreitet hat. Aus welcher Richtung es ursprünglich kam, wird sich direkt vermutlich nicht mehr eruieren lassen. Das ist an sich auch unwichtig, immerhin steht Essen glücklicherweise nicht unter Patentschutz, zumindest nicht grundsätzlich. Aber es wäre interessant zu wissen.

Ich geb zu, Mohnnudeln sind ein absolutes Lieblingsessen von mir, und ich bin mir sicher, auch die Vojvodiner Art ist hervorragend.

Die Liste besteht ausschließlich aus Hausmannskost, die in Serbien üblich ist. Es ist deftiges Essen, wie man es in der Region mag.

Von erwachsenen Menschen muss man verlangen können, dass sie das aushalten

Ich verstehe, dass nicht allen gefällt oder schmeckt. Aber das sind nun mal typische Speisen der Region, und damit wird ein Tourist leben müssen.

Er ist nur auf Besuch. Die Leute, die das kochen und essen, leben dort. Die bestimmen, was ihnen schmeckt und was nicht. Fremde können gerne neue Speisen mitbringen oder auch ortsübliche Hausmannskost variieren. Was sie aus meiner Sicht nicht dürfen, ist den Einheimischen quasi ihre Speisen wegnehmen.

Letztendlich ist eine negative Bewertung auf einem Kulinarikportal wie Taste Atlas nichts anderes. So eine Bewertung sagt aus: Das ist furchtbares Essen, die können nicht kochen, lasst die Finger davon, das sollte nicht mehr angeboten werden.

Als Reisender sollte man sich darauf einstellen, dass die Dinge nicht so sind wie zuhause. Das gilt unter anderem und vielleicht vor allem fürs Essen.

Eigentlich sollte man sogar annehmen, dass Menschen reisen, um etwas anderes zu erleben als zuhause.

Einige freilich scheinen überrascht zu sein, dass die ortsübliche Küche nicht ihren feinen Mündern entspricht, und haben nichts besseres zu tun als das der Welt kundzutun.

Das ist gelinde gesagt respektlos. Es ist eine Form von Kulturimperialismus.

Wenn du mit der balkanischen Küche nicht klarkommst, geh halt in die internationalen Restaurants. Gibt leider eh immer mehr davon, zulasten der einheimischen Gasthäuser.

Die Vereinheitlichung des Essens in einem kapitalistischen Tourismusregime ist mittels – vermeintlicher – Internationalisierung längst im Gange. Pizza und Cupcakes für alle, sozusagen.

Nichts gegen Pizza oder Cupcakes, auch nichts gegen Pizza und Cupcakes in Beograd oder Novi Pazar, aber man hätte halt bitte auch gerne eine Auswahl. Als Einheimischer und als Reisender, der Respekt für die Region und die Menschen hat.

Wenn dir was nicht schmeckt, probier halt was anderes. Und wenn du bodenständiges und deftiges Essen nicht magst, dann fahr halt bitte nicht wohin, wo man so etwas gerne isst.

Das ist von erwachsenen Menschen doch bitte nicht zu viel verlangt.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.