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KAMPFGEIST

„Durch das Laufen habe ich meinen Krebs besiegt“

FOTO: Jelena Cvetković Šarkanović

Wir allen kennen das alte Sprichwort von dem gesunden Geist im gesunden Körper. Aber auch das sagt sich, wie so vieles im Leben, leichter, als es sich umsetzen lässt. Viele physische und psychische Hindernisse können uns übermannen und unseren Geist und unsere Gesundheit komplett untergraben.

Zorica Đorđević (64) ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Kraft des Geistes auch dem Körper Kraft verleiht und dass wir gegen viele Unbilden erfolgreich ankämpfen können.

Obwohl sie keine Profisportlerin ist, nimmt Zorica ihre regelmäßige körperliche Aktivität ernst und behandelt sie mit höchster Disziplin und Professionalität. Die Bedeutung des Sports für ihre Gesundheit, ihre mentale Stabilität und ihre Lebensqualität hat sie in vielen schweren Situationen im Leben am eigenen Leib erfahren.

„Mit dem Sporttreiben habe ich in den schweren Momenten meiner persönlichen und beruflichen Krise vor nicht ganz 20 Jahren begonnen. Als alleinerziehende Mutter war ich für meine Tochter und ihr Studium in Ljubljana verantwortlich. Damals kam es zu einer beruflichen Veränderung. Mein Arbeitsplatz in der Ambulanz wurde überflüssig und so war ich gezwungen, eine private Praxis zu eröffnen. Ganz mittellos musste ich anfangen, als selbständige Zahntechnikerin zu arbeiten. Irgendwie habe ich es geschafft, die nötigen Gerätschaften für ein Zahnlabor zu kaufen, und im Jahre 2000 habe ich meine Praxis eröffnet. Dabei war ich ganz alleine und das war eine enorme psychische Belastung. Oft sind mir verschiedene Fragen durch den Kopf geschossen, z.B. wie ich überleben und meinem Kind die Ausbildung ermöglichen sollte“, verrät uns unsere Gesprächspartnerin aus Serbien.

Zorica: „Der Sport hat mich gestärkt, meine Beharrlichkeit war ein starker Grund zu leben. Die Krankheit war nur eine Zwischenstation…“

Zorica übersiedelte 1975 nach Novo Mesto in Slowenien, wo sie noch heute lebt und arbeitet. Mit dem Laufen begann sie in den Jahren, als sie dieses neue, äußerst anspruchsvolle Kapitel in ihrem Leben eröffnete. „Das Laufen habe ich gewählt, weil dabei alles von mir selbst abhängt. Ich brauche keine Kollegen, nur die Ausstattung und den Willen, der Berge versetzt. Die Trainingszeiten plane ich selbst, manchmal gehe ich sogar nachts laufen. Zu Beginn war das mehr ein schnelles Gehen, aber später begann ich, es mit Laufen zu kombinieren. Kilometer reihte sich an Kilometer und die Kondition stieg. So habe ich begonnen, 10 Kilometer zu laufen und mit 52 Jahren bin ich zum ersten Mal einen Halbmarathon gelaufen. Das war für mich ein enormer Erfolg! Dieser Sport hat meine Gedanken aufgehellt und mir geholfen, Lösungen zu finden. Bücher und Sport haben meinen Wunsch nach Erfolg in jeder Hinsicht nur verstärkt und mich in einen geistigen Zustand versetzt, in dem es kein Aufgeben gab! Nach dem Laufen sind die Gedanken klarer und die Probleme werden irgendwie kleiner. Die körperliche, und dadurch auch die geistige Aktivität sind zu meinem Lebensstil geworden.“

„Der Neujahrswunsch meiner Tochter, den Wien-Marathon 2019 als Familie zu laufen, hat mich wieder zum Laufen gebracht. (FOTO: Jelena Cvetković Šarkanović)

Laufen gegen den Krebs
Nach 15 Jahren aktiven Laufens und regelmäßiger Teilnahme am Ljubljana-Marathon kam Zorica eine weitere schwere Herausforderung in den Weg. Dieses Mal ging es nicht um finanzielle oder geschäftliche Probleme. „Bei einer Kontrolluntersuchung bekam ich die Diagnose Brustkrebs. Diese Diagnose hat meine psychische und physische Gesundheit beeinträchtigt. Ich stellte mir die Frage, ob nicht vielleicht Daten verwechselt worden waren, denn ich fühlte mich überhaupt nicht schlecht und hatte keinerlei körperliche Beschwerden. Der Besuch im onkologischen Institut verursachte mir Übelkeit. Dort traf ich viele schwer kranke Patienten. Als ich sie anschaute, wie sie sich hielten, obwohl es so schwer für sie war, begann ich, jeden Moment meines Lebens mehr zu schätzen.“ Zorica empfahl das Ärztekonsilium eine Operation als erfolgreiche Therapiemethode. Sie akzeptierte dies und hoffte auf einen guten Ausgang. Obwohl sie sich bemühte, positiv zu denken, versetzte sie das Warten auf die Operation in psychische Anspannung.

Die DIAGNOSE. Der Krebs hat Zorica nicht daran gehindert, weiterhin Sport zu treiben.

„Von Oktober bis Februar schwankte meine Stimmung ständig, aber die Hoffnung, dass alles gut würde, hat mich nicht verlassen.“ Im Glauben, dass der Krebs durch die Operation vollständig entfernt würde und dass sie hinterher zu ihrem normalen Leben zurückkehren könnte, unterzog sich Zorica dem riskanten Eingriff. Die Operation verlief erfolgreich, aber der Kampf gegen den Krebs nicht. Es erwarteten sie noch quälende Bestrahlungen. Als mir das Konsilium Bestrahlungen empfahl, begannen in meinem Kopf wieder zahlreiche Fragen zu kreisen, die mich nächtelang nicht schlafen ließen. Ich wusste nicht, wie ich weitermachen sollte und was richtig war, die Bestrahlungen zu akzeptieren oder nicht? Am Ende stimmte ich der vorgeschlagenen Therapie doch zu. Die tägliche Fahrt zur Bestrahlung und zurück zur Arbeit hat meinen Körper unendlich geschwächt. Unter der Belastung von Untersuchungen, Operation und Behandlung hatte ich keine Kraft und keinen Willen zu Wettkämpfen. Die Krankheit hat mich am Laufen gehindert, meine Teilnahme an Marathons beendet, aber im Grunde meiner Seele wollte ich auf den Laufpfad zurückkehren.“

Von Untersuchungen, Operation und Behandlung geschwächt, hatte Zorica keine Kraft und keinen Willen mehr für Wettkämpfe. (FOTO: Jelena Cvetković Šarkanović)

Obgleich geschwächt und ermattet wusste Zorica, dass sie nicht aufhören durfte. Am Ende des Tages lautete ihr Motto doch: „Niemals aufgeben!“ Sie erinnerte sich, wie sehr ihr das Laufen und die regelmäßige Bewegung 15 Jahre zuvor geholfen hatten, die Hindernisse auf ihrem Weg zu überwinden. Dieses Mal wusste sie, dass sie noch beharrlicher sein musste, um den Kampf zu gewinnen. „Ich habe nie gedacht, dass das das Ende ist. Die Krankheit war nur eine Zwischenstation in meinem Leben und eine Schule, die ich durchlaufen musste. Obwohl ich mit dem Laufen und der Teilnahme an den Marathons aufgehört hatte, habe ich mir nicht erlaubt, auch mit dem Gehen oder überhaupt mit der Bewegung aufzuhören. Ich glaube, dass mir diese körperliche Aktivität geholfen hat, das alles zu ertragen. Der Sport hat mich gestärkt und meine Beharrlichkeit war ein hinreichend starker Grund zum Leben. Jetzt habe ich jährliche Kontrollen und hoffe das Beste.

Physische und mentale Aktivitäten sind Zoricas Lebensstil.

Unterwegs mit der Familie
Nach vierjähriger Laufpause und dosierter physischer Aktivität hat Zorica die Krankheit erfolgreich überwunden. Die Motivation, auf den Laufpfad zurückzukehren, ist von Tag zu Tag gestiegen, bis ihr schließlich ihre Familie half, erneut die Laufschuhe zu schnüren. „Der Neujahrswunsch meiner Tochter, dass wir als Familie den Wien-Marathon 2019 laufen sollten, hat mich bewogen, zum Laufen zurückzukehren. Mitte Januar habe ich mit dem Training begonnen. Der Körper hat sich erst noch gewehrt, aber der Wille hat mich nicht verlassen. Wann immer ich eine Krise hatte, habe ich mich selbst am Schopf genommen und mir gesagt, dass ich es kann! Mit jedem gelaufenen Kilometer wurde die Kondition besser und das Laufen wurde wieder zum Lebensstil. Weder Schnee noch Sonne noch Regen konnten mich stoppen. Die Teilnahme am Wien-Marathon, also die Rückkehr zum Marathon nach vier Jahren Pause, war für mich eine wunderschöne Erfahrung. All die Jahre hatte mir die positive Energie der Marathon-Teilnehmer gefehlt. Der Lauf selbst ist eine Feier der Aktivität und eine enorme Freude beim Überqueren der Ziellinie. Ich glaube, dass ich keine so lange Pause mehr machen werde. Mein Wunsch ist Belgrad und vielleicht noch einmal Wien oder Italien. Wir werden sehen…“ erzählt uns diese mutige Frau begeistert.

Der eiserne Wille und die Kraft des Geistes haben ihrem Körper nicht erlaubt, sich der Krankheit hinzugeben, geschweige denn der Schwäche. Außerdem hat ihr ihre Familie, und besonders der Enkelsohn, die Motivation gegeben, weiterzukämpfen. „Die Diagnose war eine große Schule des Lebens, die mich psychisch gestärkt hat, denn ich hatte immer das Ziel vor Augen, dass mich meine Tochter und mein Enkelsohn brauchen. Das sind schwere Momente, wenn der Mensch mit einer Krankheit konfrontiert ist, denn man weiß oft nicht, wie es mit dem Leben weitergehen soll. Zum Glück bin ich von Natur aus eine Kämpferin und gebe nicht auf! Mein Ziel war mein kleiner Enkel, der mich braucht und für den ich leben will. Bei dem Gedanken an sein Lachen und seine Freude war nichts mehr zu schwer und unmöglich. Seine Umarmung und sein Lachen waren in meinem Kopf immer gegenwärtig, als ich mich auf den Marathon vorbereitete. Mein Wunsch ist, dass wir eines Tages zusammen laufen, und bis dahin werde ich regelmäßig trainieren!

Ein Lächeln ins Gesicht, Sneakers an und losgelaufen!“

„Ein Lächeln ins Gesicht, Sneakers an und losgelaufen in der Natur“ ist Zoricas Lebensmotto, dem sie täglich folgt. (FOTO: Jelena Cvetković Šarkanović)

Nach dem Wien-Marathon hat Zorica die Motivation und der Glaube nicht verlassen, dass man mit Sport und geistiger Stärke alle Hindernisse überwinden kann. Laufen ist für sie heute mehr als nur gewöhnliche körperliche Bewegung.

„Bücher und Sport haben meinen Wunsch nach Erfolg und meine geistige Haltung gestärkt, in der es kein Aufgeben gibt!“

„Meine Beziehung zum Laufen hat sich nach der Krankheit nicht verändert. Im Gegenteil! Ich glaube, dass mich die Krankheit gestärkt hat und dass das Laufen mein ganzes Leben positiv beeinflusst. Ein Lächeln ins Gesicht, Sneakers an und raus in die Natur ist mein Lebensmotto, das mich täglich antreibt. Bei physischer Aktivität, vor allem beim Laufen, finden wir Gleichgesinnte und tauschen uns über viele gemeinsame Themen aus, die unser Leben bereichern. Wenn ich noch einmal wählen könnte, stünde das Laufen wieder an erster Stelle. Damit bin ich ein stärkerer und besserer Mensch geworden. Jeder lange Lauf ist ein Gespräch mit mir selbst. Beim Laufen bekomme ich eine bessere Einsicht in das Wesen meiner Probleme, lebe gesünder und fühle mich besser. Wenn wir uns in ausweglosen Situationen befinden, ist es am besten, mit uns selbst auszumachen, was wir im Leben wollen. Oft habe ich meine Gedanken zu Papier gebracht und Bücher über Psychologie gelesen, um mir selbst zu helfen. Wenn es am schwersten war, habe ich mich nicht zu Hause eingeschlossen, sondern bin hinausgegangen in die Natur. Ich habe meine Batterien mit Büchern, Laufen und Gehen aufgeladen und mich besser gefühlt. Ich habe immer gedacht, wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Mit positivem Denken, eignem Einsatz und viel Vertrauen in sich selbst kann man vieles lösen. Man darf nie verzweifeln, denn nach dem Regen scheint immer wieder die Sonne“, teilt unsere Gesprächspartnerin allen mit, die sich in ähnlichen Situationen befinden wie sie, und fügt hinzu: „Es tut mir leid, wenn ich sehe, wie viel die Kinder heute vor dem Computer sitzen, und ich würde ihnen gerne sagen, wie wichtig Sport für unsere Lebensqualität und unsere mentale Gesundheit ist und dass er daher zu unserem Alltag gehören muss!“