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TRADITION

Die walachischen Pomane: Ein Totenritual für Verstorbene (FOTOS)

FOTO: zVg.

TRADITION. Die Walachen sind Christen, aber in ihrem Totengedenken haben sich viele heidnische Elemente erhalten. Der Totenkult wird feierlich gepflegt und in den Ritualen wird alles für den Verstorbenen getan, damit seine Seele auf dem kalten, finsteren und einsamen Weg ins Paradies nicht leiden muss.

Historische Quellen besagen, dass die Walachen von jeher den Balkan bevölkert haben und erst später romanisiert wurden. In byzantinischer Zeit nahmen sie das Christentum an und später gerieten sie in Ostserbien unter den Einfluss der bulgarischen Kirche. In ihrer gebirgigen Region gab es lange keine Geistlichen, daher wurde alles Heidnische, was noch vorhanden war, einfach ins Christentum überführt. Zum Beispiel gab es mythologische Wesen, die den Menschen Gutes taten und die  von nun an mit Gottes Hilfe und im Dienste Gottes wirkten. Im Gegensatz dazu handelten die mythologischen Wesen, die Krankheit und Unglück brachten, auch weiterhin an der Seite des Teufels oder des Bösen. Die Totenrituale der Walachen sind reich an Mystik. KOSMO hat die sogenannten Pomane erforscht, Rituale, die noch immer erhalten sind, wenngleich viele Details allmählich verloren gehen. So gibt es in jedem Dorf mindestens eine Frau, die mehr als andere weiß, so auch in Brestovac, einem wunderschönen Dorf bei Bor.

Dragojla Martinović (63), pensionierte Verkäuferin

KOSMO: Wie haben Sie die walachischen Totenrituale kennengelernt?

Dragojla Martinović: Zuerst habe ich von meiner Mutter viel über die Pomane erfahren und später habe ich das unter Anleitung einer älteren Frau aus der Nachbarschaft niedergeschrieben. Es ist sehr wichtig, dass man einer Person, die im Sterben liegt, bevor die Seele entweicht, eine brennende Kerze in die Hand gibt. Wenn man das nicht tut, machen die Frauen eine Paradieskerze, die dem Verstorbenen den Weg ins Jenseits beleuchtet. Zu Hause werden zu jedem Pomen, d.h. zu jeder Gedenkfeier, bis zum siebten Jahr in einem speziellen Behälter viele Kerzen angezündet, die am Kopfende des Tischs aufgestellt werden, solange das Essen andauert. Der Sinn dieses Rituals ist es, dass dem Verstorbenen der Weg an das Himmelstor beleuchtet werden soll.

Wie oft werden die Pomane begangen?

Die Pomane, also die Gedenkfeiern, finden am ersten Samstag nach dem Tode, am vierzigsten Tag, nach einem halben Jahr und nach einem Jahr statt und dann zu jedem Jahrestag bis zum siebten Jahr nach dem Tode. Es wird immer ein komplettes Mittagessen mit fünf, sieben oder neuen Arten von Speisen zubereitet, denn es muss eine ungerade Zahl sein. Auf dem Tisch stehen saure walachische Suppe, Salat, Sauerkraut oder Sarma, Fleisch und Kuchen. Wenn gefastet wird, wird normalerweise Reis in Milch oder Wasser gekocht. In all diesen Jahren muss zu mindestens einer Pomana gefastet werden. Die Pomana wird ausschließlich an Dienstagen, Donnerstagen oder Samstagen begangen, niemals an anderen Wochentagen. Die größte Pomana findet 40 Tage nach dem Tode des Verstorbenen statt. Bis zum 40. Tag geht irgendeine Frau aus der Familie jeden Tag zum Grab und bringt Blumen und kaltes Wasser, mit dem sie das Grab begießt, und entzündet eine Kerze.  Das Wasser ist dazu gedacht, den Verstorbenen zu erfrischen und zu waschen. Auch ein Gläschen Rakija und eine Zigarre werden ihm gebracht.

Bevor die Seele sie verlässt, wird der Person auf dem Sterbebett eine brennende Kerze in die Hand gegeben.

Wenn von den Pomane die Rede ist, kommt immer das Wort „schenken“ vor. Was bedeutet das?

In den sieben Jahren nach seinem Tode lassen wir dem Verstorbenen verschiedene Dinge zukommen, natürlich je nachdem, was und wie viel die Familie geben kann. Ich habe meinem Schwiegervater jedes Jahr einen kompletten Anzug zukommen lassen. Auf dem Bett war neues Bettzeug, Leintuch, Bettdecke und Kissen, und dann habe ich den neuen Anzug auf das Bett gelegt. Da gab es alles, von der Unterwäsche, Schuhen, Socken über ein Hemd bis zum Anzug. Außerdem stellt man auf den Boden eine Waschschüssel mit Wasser, Handtuch und Seife, entzündet eine Kerze und widmet das alles dem Verstorbenen. Nach der Pomana trägt jemand im Haus den Anzug. Nur bei der Pomana am siebten Tag wird ein getragener Anzug des Verstorbenen jemandem geschenkt, der der Familie nahesteht und der während der Krankheit oder des Todes des Verstorbenen geholfen hat. Pflicht ist auch, dass die Familie zu einer Pomana – und meistens ist das der erste Jahrestag des Todes – irgendein Möbelstück kauft. Das können Stühle, eine Couch oder ein Bett sein, je nach den finanziellen Möglichkeiten. Dazu kommt die Bettwäsche und der komplette Anzug und all das wird dem Verstorbenen gewidmet, bleibt aber im Haus.

In den sogenannten Kopf wird eine große Kerze gesteckt, um die herum Süßigkeiten, Obst und Geld drapiert werden. Dies wird dem Verstorbenen geschenkt und alles von dem Brot bleibt im Haus. (FOTO: zVg.)

Was ist noch typisch für die Pomane?

Brote verschiedener Größe, zu verschiedenen Zwecken und mit verschiedenen Namen. Für jede Pomana bringen wir auch drei sogenannte Köpfe mit Broten darunter auf den Tisch. Früher haben wir dieses Gebäck zu Hause zubereitet, aber heute bestellt man es meistens in einer Bäckerei. Sie alle werden aus normalem Brotteig gebacken: Mehl, Hefe, Salz und Wasser. Die Köpfe sind glatte runde Pogača-Brote, die mit verschiedenen Motiven aus Teig verziert werden. Meistens befindet sich um den Rand herum ein Zopf und in der Mitte ein Kreuz und dann werden weitere Motive zur Dekoration hinzugefügt. Wenn der Kopf auf dem Tisch liegt, wird eine große Kerze in der Mitte hineingesteckt und darum herum werden Süßigkeiten, Früchte und Geld drapiert. Das ist für den Verstorbenen bestimmt und alles von den Köpfen bleibt im Haus. Wenn ihm die komplette Pomana geschenkt wird, werden die Brote zum Mittagessen serviert. Zuerst setzen sich alle Männer hin, dann die Frauen. Wenn viele Menschen dabei sind, werden eine oder drei Platten aufgetischt.

Pomane: am ersten Samstag, nach 40 Tagen, nach einem halben Jahr, einem Jahr und zu allen Todestagen bis zum siebten Jahr.

Was ist noch auf dem Tisch?

Für alle Pomane werden Pogače aus Brotteig zubereitet, die „Gesetze“ genannt werden. Sie sind mit Symbolen verziert, die eine besondere Bedeutung haben: Sonne, Mond, Kreuz und alle wurden als Gaben zubereitet. Auf dem Tisch werden sie um den ersten Kopf herum platziert und von ihnen gibt es zehn oder mehr. Darauf sind ebenfalls Kerzen. Am vierzigsten Tag werden 40 weitere Pogače gebacken sowie auch 40 Kreuzkuchen, auf denen ebenfalls Kerzen stehen. Der Sinn ist, dass der Tisch für die Pomana, wenn die Kerzen entzündet sind, möglichst schön beleuchtet ist. In ein Gefäß wird Weihrauch gegeben, der ebenfalls angezündet wird, damit wird der Tisch nachträglich beräuchert. Das wird dreimal gemacht. Man sagt, dass der Duft des Weihrauchs und alles, was auf dem Tisch ist, für den Verstorbenen gedacht ist. Auf dem Tisch ist ein besonderes Pogača-Brot mit einer Kerze, einem Glas Rotwein und ein wenig von den vorbereiteten Speisen, was diesem Tag gewidmet wird. Dazu gibt es ein Gebet an den Himmelswächter, die Pomana für den Verstorbenen entgegenzunehmen. Für jede Pomana wird auch ein Stab vorbereitet, der aus dem Wald geholt wird. Von ihm wird die Rinde abgeschält, sodass er glatt und gerade ist. Auf dem Tisch steht auch ein Kuchen (Brot) für den Stab, auf dem als Zierde ein Kreuz, eine Kerze sowie Süßigkeiten und Früchte sein müssen. Dieser Kuchen ist einem Mann aus der Familie gewidmet.

Was geschieht mit all diesen Broten?

All das ist für den Verstorbenen, genau wie alles andere, was auf dem ersten und den weiteren Köpfen  bzw. Broten ist. Wenn dieses Ritual zu Ende ist, werden die Süßigkeiten, Kerzen und das Geld heruntergenommen und die Brote werden aufgeschnitten und zum Mittagessen serviert.

KLEIDUNG. Geschenkt werden Unterwäsche, Schuhe, Socken, ein Hemd und ein Anzug.

Gibt es zu den Bestattungen und Pomane auch Geschenke?

Wenn Leute direkt nach dem Tode kommen und für den Verstorbenen Kerzen anzünden, bringt jeder ein kleines Geschenk mit: ein Handtuch, eine Serviette, ein Taschentuch. Nach der Beerdigung wird all das an die Leute verteilt. Für jede Familie, die zur Pomana kommt, werden auch Brote für den Stab zubereitet. Diese werden dann gemeinsam mit den Süßigkeiten und dem Obst mit nach Hause genommen. Wenn man es übergibt, sagt man: „Nehmt diesen Kuchen, die Süßigkeiten und das Obst, die für die Seele des Verstorbenen bestimmt sind“. Er löscht die Kerze auf dem Kuchen und antwortet: „Möge Gott vergeben“. Die Gastgeber geben oft nach dem Essen ein Stück Fleisch, Kuchen und Brot dazu. Für die Pomana zum siebten Todesjahr gibt die Familie allen, die am Tisch sitzen, kleine Geschenke: Handtücher, Servietten, Socken. Die Menschen, die zur Pomana kommen, bringen, was sie gerade im Haus haben. Kaffee, Reis, Zucker, eine Flasche Öl, Salz, Makkaroni.

Radmila Budić (77), pensionierte Lehrerin

Die Traditionen werden auch in Häusern der Intellektuellen sorgsam gepflegt. Das bezeugt die Lehrerin Rada, die im Dorf Brestovac vielen Generationen das Lesen und Schreiben beigebracht hat.

KOSMO: Sie bereiten gerade die siebenjährige Pomana für Ihren Ehemann vor. Wie wird das aussehen?

Radmila Budić: Mein verstorbener Mann war Universitätsprofessor, Doktor der Wissenschaften, und unsere beiden Töchter sind Intellektuelle. Aber zu Hause haben wir immer die walachische Sprache und die Sitten unserer Vorfahren gepflegt. Natürlich haben wir durch unsere Bildung und unser späteres Leben die Werte angenommen, die uns umgeben, aber die Verbindung zu unseren Wurzeln haben wir bewahrt. Seitdem mein Mann vor sieben Jahren gestorben ist, haben wir ihm alle Pomane gegeben, genauso wie es die alten Riten erfordern. Wir können das hier im Dorf, denn wir haben die Voraussetzungen dafür, aber ich glaube, dass die jungen Menschen, die in die Städte ziehen, vor allem im Ausland, diese Möglichkeit nicht haben und die Riten ihren beschränkten  Voraussetzungen anpassen müssen. Leider geht auf diese Weise ein Teil der Tradition unwiederbringlich verloren.

Olga Ispirović schenkt dem Ritus entsprechend am Tag der dörflichen Peter- und Paul-Feier Brote, auf denen Kerzen und Petrovača-Äpfel angerichtet sind. (FOTO: zVg.)

Kann man den Veränderungen im Dorf widerstehen?

Selbst im Dorf ändern sich gewisse Dinge. Früher haben wir alle rituellen Brote in unseren Häusern selber gebacken, heute bestellen wir sie in den Bäckereien und lassen das Essen von Spezialfirmen liefern. So ist es für die älteren Menschen einfacher, die in den Dörfern geblieben sind, wenngleich wir uns bemühen, das Wichtigste zu bewahren.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.