Start Aktuelle Ausgabe
TRADITION

Die walachischen Pomane: Ein Totenritual für Verstorbene (FOTOS)

Haben Sie irgendeine Botschaft für die junge Generation?

Als Lehrerin, die viele Generationen unterrichtet und ihnen die Grundlagen für ihre weitere Ausbildung beigebracht hat, rate ich den jungen Menschen, sich das neueste Wissen anzueignen, sich für Neues zu öffnen und es anzunehmen. Dennoch appelliere ich an sie, niemals die Kultur, die Sprache und die Traditionen ihres Volkes zu vergessen. Die Bewahrung ihrer Identität macht sie reicher und in der Gesellschaft sichtbarer.

Dr. Nemanja Ispirović ist ein hervorragender Kenner der Todesriten bei den Walachen. (FOTO: zVg.)

Dr. Nemanja Ispirović (26), Arzt

Nemanja stammt aus dem walachischen Dorf Korbovo bei Kladovo. In seinem Elternhaus wird Walachisch gesprochen und in dieser Sprache hat er als kleiner Junge von seiner Großmutter und den Großvätern die Märchen gehört, die er schon früh niederzuschreiben begann. Mit der Zeit erweiterte sich sein Interesse und heute hat der junge Arzt ein reiches Archiv an Aufzeichnungen, aus denen wertvolle Werke über die Walachen, ihre Kultur und ihre Sitten entstehen sollen. Unter anderem ist Nemanja ein hervorragender Kenner der Totenriten der Walachen.

KOSMO: Wie sehen die Totenriten bei den Walachen aus?

Dr. Nemanja Ispirović: Im Falle, dass jemand ohne Kerze in der Hand stirbt, werden Paradieskerzen gemacht. Die Frauen, die diese Kerzen machen, müssen mental und physisch rein sein und fasten, während sie sich auf den Ritus vorbereiten. Die Paradieskerzen werden bei der Beerdigung entzündet. Es sind 44 Stück und sie befinden sich in einem hölzernen Behältnis, während eine einzelne große Kerze in der Kirche neben dem Altar angezündet wird. Bei den Bestattungen werden die Verstorbenen in sogenannten Pjetrekaturen besungen, die drei Frauen singen. Dies ist ein Begleit- oder Abschiedsgesang für den Verstorbenen. Seine Verse senden die Seele des Verstorbenen auf den Weg, den sie in der jenseitigen Welt gehen muss. Zum Beispiel kommen die Seelen an ein Wegstück, an dem sich ein Brunnen befindet, und dann erscheint eine Alte, die dem Verstorbenen einen Stuhl anbietet, damit er sich setzen und etwas trinken kann. Aber in der Pjetrekatura warnen ihn die Frauen, das keinesfalls anzunehmen, denn dies ist das Wasser des Vergessens. Sie erklären dem Verstorbenen, dass er, wenn er von diesem Wasser trinkt, alle seine Lieben vergessen wird und dass nichts, was seine Familie ihm schenken wird, ihn erreicht. Darum muss der Verstorbene durstig bleiben, bis er an einen bestimmten Ort kommt, wo ihn das Wasser erwartet, das ihm die Familie gespendet hat. In jedem Fall wird der ganze Weg besungen, damit die Verstorbenen leicht und sicher bis zum Himmelstor gelangen.

Man sagt, dass zwei große Sonnenblumen die Himmelstore bewachen. Dies sind in der walachischen Mythologie heilige Pflanzen.

Was bedeutet das Wort „pomana“?

Die Walachen glauben stark an ein Leben jenseits des Grabes und pflegen einen Totenkult. „Pomana“ bedeutet in der walachischen Sprache „Wiederkehr“, Erweckung von den Toten. Das Wichtigste bei allen Pomane sind die rituellen Brote. Von der ersten bis zur letzten Pomana müssen 365 Brote verschiedener Form und Bedeutung auf den Tisch kommen. Die Leute wissen meistens nicht, warum all diese Brote auf die Tafel gebracht werden, aber sie kennen den Ritus und achten ihn. Die rituellen Brote haben eine große Bedeutung, denn wenn sich auf den Broten, den sogenannten „Gesetzen“, Sonne oder Mond befinden, dann nehmen diese mythologischen Wesen am jenseitigen Leben teil und führen die Seele des Verstorbenen zum Himmelstor. Bevor das Christentum angenommen wurde, endete dieser Weg bei der Sonne. Das Tor zum Paradies bewachen zwei große Sonnenblumen, die in der walachischen Mythologie heilige Pflanzen sind. Früher waren es immer 15 Gesetze, aber unter dem Einfluss der Mode haben sich in den vergangenen fünfzig Jahren viele Dinge verändert. Es ist wichtiger geworden, möglichst viele verschiedene Speisen aufzutischen, dafür wurde die Zahl der rituellen Brote verringert. Das Brot, das wir „Kopf“ nennen, bildet ein Opfer, das in heidnischer Zeit gebracht wurde und das wir in christlichen Zeiten durch das Brot und den Wein darbringen, die den Leib und das Blut Christi symbolisieren. In den Pomane steht dieser Kopf für den Kopf des Verstorbenen in jener Welt. Die Riten unterscheiden sich von Dorf zu Dorf, aber bei einer Pomana muss es mindestens einen Kopf geben. Das Kreuz, mit dem das rituelle Brot verziert wird, endet in Spiralen, die sich „Krušilata“ nennen. Während die Seele nach dem Tode sechs Wochen herumirrt, werden bei den Pomane 44 kleine Brote auf den Tisch gebracht, denn dies ist die Zahl, die sich in der walachischen Mythologie immer wieder wiederholt. Auf jedem Brot muss eine Kerze sein.

Von der ersten bis zur letzten Pomana vergehen sieben Jahre, in denen 365 bestimmte Brote unterschiedlichen Aussehens und Zwecks auf den Tisch gebracht werden müssen. (FOTO: zVg.)

Was ist noch wichtig bei diesen Totenriten?

Neben dem Brot spielt auch das Wasser eine wichtige Rolle, weil es in jener Welt kein Wasser gibt. Sieben Jahre lang, bis er das Tor des Paradieses erreicht, muss man dem Verstorbenen Wasser spenden, damit er seinen Durst löschen, sich reinigen, seine Kleider waschen und Ähnliches tun kann. Dieses Ritual ist vor allem bei der Pomana nach sechs Wochen wichtig, wenn das Ritual an einer Quelle oder einem Fluss vollzogen wird oder wenn mithilfe eines Schlauchs im Garten ein fließendes Gewässer geschaffen wird. Das Ritual müssen Mädchen vollziehen, die ihre erste Menstruation noch nicht gehabt haben. Es werden 44 Wassereimer genommen, dem Verstorbenen gewidmet und 44-mal ausgegossen. Während dies geschieht, sagt man, dass das Wasser für die Seele des Verstorbenen ist (man nennt seinen Namen) und die Person, die Zeuge ist, fügt hinzu: „Möge Gott vergeben“. In der walachischen Mythologie gibt es keine Hölle. In den Teil, in dem Dämonen und der Teufel herrschen, kann nur der gelangen, der dies wünscht. Wenn ein Mensch zu Lebzeiten gesündigt hat, kommt er auf seinem Weg ins Paradies an eine hölzerne Brücke, unter der sich ein Abgrund befindet und die so breit ist wie das Rad eines Ochsenkarrens. Sie verengt und erweitert sich so, wie der Verstorbene seine Füße setzt, abhängig davon, wie sehr er im Leben gesündigt hat. Aus dem Abgrund hört man Schlangen, Frösche und abgetriebene Kinder. Darum sagt die Frau, die das Begräbnislied singt, dem Verstorbenen, dass er nicht hinunter und nicht zurück, sondern nur geradeaus schauen darf, denn sie weiß, dass er kein Sünder ist, und wenn er einer war, habe er es bereut und werde darum auf die andere Seite gelangen.

Warum werden die Gaben bis zum siebten Jahr dargebracht?

Wir wissen nicht, ob der Verstorbene im Leben Sünden begangen und ob er sie bereut hat. Dennoch werden für alle Fälle Pomane ausgerichtet, wo ihm Kleidung und Wasser gespendet wird, damit er alles hat, was er bis zum Ende des siebten Jahres braucht, bis er im Paradies ankommt. Während dieser sieben Jahre durchläuft der Verstorbene eine Reinigung, bereut und tritt ins Paradies ein. Die größte Strafe für die Seelen ist dieser lange Weg, denn die Unterwelt ist kalt, neblig und finster, man trifft niemanden und hört nichts von dieser Welt. Dem Verstorbenen wird in diesen sieben Jahren alles geschenkt, was ihm im Leben Freude gemacht hat. Bei den wichtigsten Pomane wird auch ein Stab geschenkt und einer wird dem Verstorbenen in den Sarg gelegt, damit er sich im Jenseits gegen die Dämonen und gegen die Seelen verteidigen kann, die keine Nahrung haben.

Wasser spielt eine wichtige Rolle, da die jenseitige Welt wasserlos ist.

Warum wird bei einer Pomana Kolo getanzt?

Wenn das ganze Leiden durch die Reue des Verstorbenen vorüber ist, wird ihm im siebten Jahr oder zu irgendeinem großen Feiertag ein Kolo geweiht. Der Anführer des Kolo trägt sein Bild und symbolisiert den Verstorbenen, und die anderen haben 44 Kerzen, zu denen Gaben gelegt werden. Meistens sind dies Taschentücher und Tücher, die früher aus Seide gewebt wurden. Die Personen, die an dem Ritus der Pomana teilnehmen, müssen immer ein Geschenk bekommen. Während der Kolo getanzt wird, öffnen sich die Himmelstore und im Kolo treten die Familienmitglieder und Freunde, die bereits dort sind, vor den Verstorbenen hin und begrüßen ihn voller Freude. Er tritt mit ihnen ins Paradies ein und das ist für seine Seele das Ende des Weges. Bei uns werden die Geburt eines Kindes und die Verabschiedung eines Toten mit einem Kolo gefeiert.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.