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KUNST UND KULTUR

Tina Kordic und Natasa Mirkovic: ,,Es gibt keine Welt ohne Musik“

(Foto: zVg.)

Über die Situation von Künstlern mit Migrationshintergrund in Österreich, über die weltweite Bedeutung der Musik, aber auch über die Herausforderungen, mit denen Künstler während der Pandemie konfrontiert waren, hat KOSMO mit der Sängerin Natasa Mirkovic und der Pianistin Tina Kordić gesprochen.

Natasa Mirkovic wurde 1972 in Zenica geboren. Sie wuchs in Sarajevo auf und kam 1994 nach Graz, wo sie an der Universität für Musik und darstellende Kunst ihre klassische Gesangsausbildung machte. Heute lebt und arbeitet Nataca als Sängerin und Schauspielerin in Wien.

Tina Kordic wurde 1972 in Travnik geboren und wuchs ebenfalls in Sarajevo auf. Nach dem Abschluss der Musikmittelschule besuchte sie die Musikakademie in Sarajevo in der Klasse Aleksandra Romanics. Als Stipendiatin des österreichischen Bildungs- und Kulturministeriums setzte sie ihr Studium später an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien in der Klasse Manfred Wagner-Artzts fort, in der sie 1999 diplomierte und 2005 magistrierte.

KOSMO: War Wien, als Sie damals hierherkamen, offen für KünstlerInnen vom Balkan bzw. aus Ex-Jugoslawien?

Natasa Mirkovic: Ich glaube, ja. Österreich hatte schon immer seine „lokale“ Balkanszene. Darüber wissen die  Österreicher nicht einmal viel. Sie waren von Anfang an offen für uns StudentInnen, die wir während des Krieges ankamen. Es bestand auch eine gewisse Neugier auf unsere Musik, als wir sie einem breiteren Publikum präsentierten.

Tina Kordic: Als ich 1994 nach Wien kam, war ich eine von zwölf StudentInnen der Musikakademie in Sarajevo, die auf Initiative des damaligen Rektors Michael Frischenschlager in Kooperation mit dem Rektor in Sarajevo, Fadil Sijaric, ein Stipendium für ihr weiteres Studium und Fortbildungen in Österreich erhielten. Das Ziel war, eine neue Generation von Professoren für verschiedene Bereiche der Musik heranzubilden, die dann nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren und den Wiederaufbau nach dem Krieg unterstützen sollten. Ich habe mich sehr willkommen gefühlt, ich hatte eine Unterkunft im Studentenwohnheim, ein Klavierzimmer zum Üben, mein Professor Manfred Wagner Artzt gewährte mir volle Unterstützung und ich konnte sofort anfangen zu studieren, obwohl ich noch keine Deutschprüfung bestanden hatte, denn dafür hatte ich sechs Monate Zeit. Damals habe ich mich mehr wie eine Studentin gefühlt und wie jemand, der in einer neuen Umgebung seinen künstlerischen Platz sucht.

Wie sehr und wie hat sich die Situation von MusikerInnen mit Migrationshintergrund in Österreich in den vergangenen Jahren verändert?

Natasa: Ich glaube, dass sie sich nicht sehr verändert hat. KünstlerInnen, die ihre Wurzeln in anderen Kulturen haben, aber hier leben, sind etwas Exotisches. Das will ich jetzt nicht weiter kategorisieren, ob das für uns KünstlerInnen jetzt gut oder schlecht ist, aber es ist so, dass wir als etwas Exotisches wahrgenommen werden. Und schon die Frage unserer Situation hier in der Gesellschaft ist ein interessanter Blick auf alle KünstlerInnen, die hier leben, unabhängig davon, woher sie kommen. Österreich hat kein Bewusstsein dafür, wie unsere Lage hier ist. Dass es uns hier im österreichischen Kulturbetrieb überhaupt gibt, haben sie erst 2020 begriffen, als die Corona-Pandemie anfing, und zwar aufgrund der Statistik und der Unterstützungsanträge von KünstlerInnen.

Tina: Ich würde nicht sagen, dass sich die Lage von MusikerInnen mit Migrationshintergrund verändert hat, denn Wien und auch Österreich waren immer sehr offen für KünstlerInnen.

,,Es gibt auch eine historische Beziehung zwischen Bosnien und Herzegowina und Österreich. Ich glaube, dass wir in Österreich immer willkommen waren“, so Tina.

Da Sie beide in Bosnien und Herzegowina geboren und Mitglieder der Bosnischen Akademischen Gesellschaft in Österreich sind, glauben Sie, dass Akademiker und gut ausgebildete Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich die Situation der übrigen Gemeinschaft in Österreich verbessern können?

Natasa: Akademiker und gebildete Menschen mit Migrationshintergrund sind auf jeden Fall eine Bereicherung für dieses Land. Ob wir mit unserer Anwesenheit hier auch für unsere Gemeinschaft etwas bewirken, darüber weiß ich nicht viel, aber wir könnten für unsere Heimatländer eine Bedeutung haben, weil wir hier sind und eine gewisse Verbindung schaffen. Ich fürchte nur, dass unsere Heimatländer daran nicht viel Interesse haben, oder jedenfalls hat Bosnien und Herzegowina nicht viel Interesse. Vielleicht haben andere Staaten aus der Region des ehemaligen Jugoslawiens dieses Interesse, das weiß ich nicht.

Natasa Mirkovic (Foto:zVg.)

Tina: Auf jeden Fall. Wir dürfen nie vergessen, dass wir alle Menschen sind. Und wenn wir gemeinsame Wurzeln haben, und die haben wir alle irgendwie, dann muss man das pflegen. Meine besten Freunde sind aus Sarajevo, wir sind alle irgendwo in der Welt verstreut. Nataša ist meine Freundin aus der Mittelschule und hier in Wien haben wir uns wiedergefunden. Die Bosnische Akademische Gesellschaft in Österreich hat unter anderem das Ziel, der bosnischen nationalen Minderheit in Österreich zur Anerkennung zu verhelfen. Unser Ziel ist, dass wir alle aus Bosnien und Herzegowina, die wir in Österreich eine neue Heimat gefunden haben, als Einheit anerkannt werden.

Während des Lockdowns hat sich gezeigt, wie groß die Rolle der Kunst in unserem Leben tatsächlich ist und wie viel wir vor der Pandemie für selbstverständlich gehalten haben. Es hat sich auch gezeigt, wie sensibel der Kultursektor ist. Wie sieht es heute nach der Pandemie aus und glauben Sie, dass sich die Sicht der Welt auf die Kunst verändert hat?

Natasa: Danke für diese Frage. Als Erstes: Ich bin froh, dass überhaupt einige Menschen festgestellt haben, dass ihnen das fehlt, und dann auch, dass es uns gibt, und das waren nicht wenige. Die Welt dreht sich heute zu schnell und in der Geschwindigkeit verliert man die Konzentration auf einige sehr wichtige Momente der menschlichen Entwicklung im Allgemeinen.

,,Kunst ist definitiv etwas, das die menschliche Psyche ins Gleichgewicht bringt, die Gehirnentwicklung stimuliert und die Entwicklung des gesamten menschlichen Wesens und Lebens fördert. Alle Zivilisationen der Geschichte wussten das. Heute sind wir in der kognitiven Entwicklung sehr schnell, aber emotional und geistig zurückgeblieben“, so Natasa.

„Wir haben keine Zeit….“, das ist vielleicht der berechnendste Satz unseres Jahrhunderts. Aber die Zeit ist immer eines… und sie vergeht, egal, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Tina: Mit meiner kulturellen Vereinigung „Kulturverein B&K“ habe ich, sobald es wieder möglich war, neue Konzerte organisiert. Ein Konzert mit Vlatko Stefanovski und ein Konzert der bosnischen Künstlerinnen „Svijet u nama“ im Theater Akzent. Das war unwahrscheinlich, wie viele Menschen sich nach Musik und Konzerten gesehnt haben, wie sehr wir alle uns neue Auftritte gewünscht haben und unsere Musik, Kunst und Gefühle mit dem Publikum teilen wollten.

Tina Kordic (Foto:zVg.)

Was bedeutet Musik für Sie und was wäre die Welt ohne Musik?

Natasa: Musik gehört ebenso zum menschlichen Ausdruck wie jede andere Kunst. Für die seelische Gesundheit des Menschen sollte man sie eigentlich auf Rezept verschreiben. Aus der Sicht der Medizin können ein bis zwei Stunden gute und hochwertige Musik täglich die allgemeine Gesundheit sehr befördern. Ohne Musik wäre das Leben sehr armselig und auch langweilig.

Tina: Musik ist für mich Leben, Atmen, Kraft. Es gibt keine Welt ohne Musik.

Ihr Rat für junge Menschen, die in Wien Musik studieren wollen und aus Ex-Jugoslawien kommen?

Natasa: ich würde allen, die sich mit Musik beschäftigen wollen, raten: Es ist nicht wichtig, wo ihr jetzt steht, wichtig ist, dass ihr euch im Herzen für die Musik entscheidet. Das ist wie auch in jedem Sport: beharrliche Arbeit, konstantes Training und der Wunsch, besser zu werden. Und dieser Weg wird jeden dorthin führen, wo er ankommen soll, unabhängig davon, ob das ein Ort auf diesem Planeten ist, wo er sein soll, oder ob das nur ein musikalischer Ausdruck ist. Konkret sind wir als MusikerInnen da, um den Menschen Erlebnisse, Schönheit, Inspiration und das Gefühl seelischer Freiheit zu geben, während sie uns zuhören. In Wien werdet ihr vieles finden, was ihr gesucht habt, aber nicht nur hier. Reist. Und zwar oft. Seid neugierig und sucht immer weiter.

Tina: Zuerst muss man die Aufnahmeprüfung bestehen, dann stehen einem die Türen offen. Egal, ob man in Sarajevo oder in Wien studiert, Musik und Studium bedeuten disziplinierte Arbeit und die Früchte davon sind ein wunderbarer Genuss. Für die MusikerIn und für das Publikum.