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INTERVIEW

Marija Mascha Dabic: „Der Balkan ist für mich nicht nur Familie und Krieg.“

(Foto: Szene Wien)

Über die Situation junger Studenten mit Migrationshintergrund in Österreich und über die Herausforderungen, mit denen ÜbersetzerInnen konfrontiert sind, hat KOSMO mit der Professorin, Schriftstellerin und Übersetzerin Masha Dabic gesprochen.

Marija Mascha Dabic wurde 1981 in Sarajevo geboren. In den schlimmsten Kriegstagen 1992 kam sie mit ihrer Familie nach Österreich. Heute arbeitet sie an der Universität Wien, wo sie Aspekte des mündlichen Übersetzens in die russische und deutsche Sprache vermittelt. Ihr literarisches Erstlingswerk „Gubici trenjem“ („Reibungsverluste“) schrieb sie 2017. Im selben Jahr gelangte sie mit diesem Buch in die engere Auswahl für den Österreichischen Buchpreis und 2018 erhielt sie den Literatur-Förderungspreis der Stadt Wien.

KOSMO: Es ist lange her, dass Sie 1992 mit Ihrer Familie nach Österreich kamen. Wie sehr hat sich das Verhältnis Österreichs zu den Migrantengruppen aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens seitdem verändert?

Mascha Dabic: Migration verlief in der Menschheitsgeschichte immer in Wellen. Wir alle, die wir in den neunziger Jahren geflüchtet sind, hatten bessere Bedingungen als die Flüchtlinge, die 2015 aus Syrien und anderen Ländern nach Europa kamen. Wenn wir andererseits die heutigen Flüchtlinge aus der Ukraine betrachten, dann haben sie wieder andere Voraussetzungen als wir. Daran können wir sehen, dass Migrationsbedingungen relativ und situationsabhängig sind. Ich glaube, was die Wirtschaftsmigration betrifft, besteht zwischen den Menschen, die vor einem Krieg geflüchtet sind, und den Menschen, die ihren Staat auf der Suche nach einem besseren Leben freiwillig verlassen haben, eine große Polarisierung. Der Unterschied ist klar, aber ich bin sicher, dass es immer schwer ist, sein Zuhause zu verlassen. Wenn junge Menschen außer der Emigration keine andere Möglichkeit sehen, ihr Potential einzusetzen, dann müssen sie den Staat, in dem sie geboren sind, verlassen. Aber die Emigration garantiert nicht immer ein besseres Leben. Die Resultate zeigt erst die Zeit.

Mascha übersetzte die Werke von Svetislav Basara, Srdjan Valjarevic, Barbi Markovic, Dragan Velikic, Goran Fercec ins Deutsche. (Foto: C. Jorghi Poll)

KOSMO: Sehen Sie im Unterricht an der Universität Unterschiede zwischen den Generationen, die früher zum Studium hierhergekommen sind, und der heutigen?

Mascha Dabic: Ich arbeite vor allem mit StudentInnen aus Russland und der Ukraine und es fällt auf, dass es immer weniger StudentInnen aus Österreich gibt. Die meisten meiner StudentInnen sind keine Flüchtlinge, aber das ändert sich jetzt vielleicht mit dem kommenden Sommersemester. Bisher sehe ich sehr selbständige junge Leute, überwiegend Frauen, für die Bildung eine wichtige Chance im Leben darstellt. Heute ist es sehr schwer, StudentIn zu sein.

Viele Studierende haben keine finanzielle Unterstützung von den Eltern, sondern müssen selbst zurechtkommen und neben dem Studium arbeiten, was wirklich nicht leicht ist.

Die Realität, in der wir heute leben, ist sehr schwierig und beunruhigend. Ich finde, dass es für junge Leute überhaupt nicht leicht ist, Antworten auf die Herausforderungen des Alltags zu finden, und auch nicht auf diejenigen, die Zukunft für uns bereithält.

KOSMO: Die Tätigkeit als Übersetzerin ist eine sehr anspruchsvolle und schwere Arbeit, eine Arbeit, in der Sie auch oft mit schwierigen Themen konfrontiert sind. Darüber schreiben Sie auch in Ihrem Buch mit der Protagonistin Nora. Wie sehr können Sie persönliche Gefühle beim Übersetzen ausblenden?

Mascha Dabic: Beim Übersetzen ist es sehr wichtig, dass sich der Übersetzer nicht in dieselbe Grube hineinziehen lässt, in der der Kunde sitzt.Die Herausforderungen unterscheiden sich von Kunde zu Kunde. Es gibt unterschiedliche kognitive und intellektuelle Anforderungen. Ein Teil unserer Arbeit besteht auch im Auftreten vor Publikum, da gibt es zusätzlich eine performative Herausforderung, die Konzentration und hochwertige Leistungen erfordert. In meiner Karriere gab es verschiedene Menschen, an die ich mich zum jeweiligen Zeitpunkt anpassen musste. Das ist nicht immer leicht, denn der Übersetzer muss seine persönlichen Gefühle beiseitelassen und sich auf die Arbeit konzentrieren, und das kann sehr schwierig sein. Es kommt häufig vor, dass die Terminologie sehr anspruchsvoll ist und dass einem manchmal die Wörter fehlen. Der Schlüssel zu einer guten Übersetzung ist, dem Gesprächspartner genau zuzuhören.

KOSMO: Die Übersetzung Ihres Buchs in die BKS-Sprachen hat Đorđe Trišić angefertigt. Da Sie ja selber Übersetzerin sind, warum haben Sie das Buch nicht selber in diese Sprachen übersetzt?

Mascha Dabic: Vor allem hat mir die Zeit zum Übersetzen gefehlt. Aber ich muss betonen, dass Deutsch meine Erstsprache ist. Beruflich beschäftige ich mich mit Übersetzungen ins Russische, Deutsche und Englische, aber es gibt viele kompetente ÜbersetzerInnen, die in die BKS-Sprachen übersetzen. Đorđe ist einer von ihnen und es war sehr interessant für mich, seine Arbeit zu beobachten. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es für mich als Schriftstellerin sehr schwer wäre, Abstand von meinem Buch zu nehmen und es objektiv zu übersetzen.

Seit 2020 erscheint das Buch „Reibungsverluste“ auch im BKS.

KOSMO: Sie sind in Sarajevo geboren. Haben Sie noch eine emotionale Verbindung zu dieser Stadt und zum Gebiet Ex-Jugoslawiens?

Mascha Dabic: Meine Mutter lebt schon lange in der Nähe von Belgrad, daher komme ich sehr oft nach Belgrad. Aus der Perspektive einer BesucherIn ist Belgrad für mich eine wunderbare Stadt, die eine reiche und vielfältige Kunstszene besitzt. Ich glaube, dass die Menschen, die dort leben, mit verschiedenen Alltagsproblemen zu kämpfen haben wie zum Beispiel mit der Verkehrsinfrastruktur. Nach Sarajevo fahre ich leider seltener, aber nur, weil ich nicht genug Zeit habe. Ich würde diese Stadt gerne demnächst wieder einmal besuchen. In Zagreb bin ich von Zeit zu Zeit. Dort habe ich Freunde, aber auch die Arbeit führt mich manchmal nach Kroatien.

Ich fahre immer gerne in die Länder Ex-Jugoslawiens. Ich finde, dass es dort tolle Künstler und andere Menschen gibt, die Teil der Kunstszene sind, und bei jedem Besuch bin ich wieder positiv überrascht. Es gibt viele gute und legere Literaturveranstaltungen, bei denen die Literatur nicht Teil einer elitären Sicht auf die Kunst, sondern für alle zugänglich ist. 

Ich bewundere die Kulturszenen, aber dann höre ich wieder von meinen Freunden, dass auch sie ihre Probleme haben, vor allem solche finanzieller Natur, denn es wird nicht viel in die Kunst investiert. Mir haben die Literatur und die Arbeit als Übersetzerin viele Türen geöffnet und ich habe gute Menschen kennengelernt, was mir viel bedeutet. Der Balkan ist für mich nicht mehr nur Familie, Vergangenheit und Krieg, sondern dieser Raum steht für mich auch für die Zusammenarbeit mit sehr guten KollegInnen.

KOSMO: Was würden Sie jungen Menschen raten, die nach Österreich gekommen sind, um hier ihren Weg und ihre Ausbildung zu finden. Vielleicht auch eine Botschaft für zukünftige KünstlerInnen und SchriftstellerInnen?

Mascha Dabic: Meine Botschaft ist nur, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen, selbst wenn sie keine Unterstützung finden. Ich glaube, dass sich Beharrlichkeit im Leben immer auszahlt, auch wenn es im Moment nicht so scheint. Die Dynamik des Wirtschaftslebens ist sehr brutal und wirkt in alle möglichen Tätigkeiten hinein. Aber am Ende ist nur wichtig, nicht aufzugeben, sich zu vernetzen, zu arbeiten und dem treu zu bleiben, was man liebt.