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GESCHICHTE

Balkan Stories: Wer ein Leben rettet

(Foto: Balkan Stories)

In Tirana erinnert ein Denkmal an das vielleicht herausragendste Kapitel Albaniens im Zweiten Weltkrieg: Wie die Albaner ihre Juden und geflüchtete Juden aus ganz Europa vor den deutschen Besatzern beschützten.

„Das albanische Volk, Christen und Muslime gleichermaßen, schützten und retteten Juden unter Gefahr des eigenen Lebens.

Dieses Denkmal soll an die sechs Millionen ermordeter Juden Europas erinnern und ihr Angedenken ehren, und das der Bürger Albaniens, die selbstlos handelten, und die Juden beschützten, als die Welt es nicht tat.“

So steht es auf den Gedenktafeln im Großen Park in Tirana. Auf Englisch, Albanisch und Hebräisch.

Eine Erinnerung an eines der unbekannten Kapitel in der Tragödie der Shoa.

Albanien war das einzige faschistisch besetzte Land Europas, in dem nach dem Krieg mehr Juden lebten als davor.

Von den etwa 200 albanischen Juden fielen nur fünf den NS-Schergen zum Opfer – Mitglieder einer Familie, die offenbar nicht rechtzeitig flüchteten.

Von den bis zu 1.200 Juden, die aus Jugoslawien, Italien und Griechenland in das kleine Land an der Adira flüchteten, überlebten ebenfalls fast alle.

Das übertrifft sogar die Dänen, die 1941 unter Lebensgefahr fast allen ihren Juden zur Flucht nach Schweden verhalfen.

Die Albaner taten das Anständige und Einfache: Als 1943 die nunmehr deutschen Besatzer Listen mit den Namen von Juden wollten, sagten sie: Nein.

Und versteckten Juden – und andere Flüchtlinge – in den Bergen oder verhalfen ihnen zur Flucht über die Adria in die Teile Italiens, die die Alliierten soeben befreit hatten.

Wie es gelang, dass das albanische Volk praktisch geschlossen Widerstand gegen die Shoa leistete, ist bis heute Gegenstand historischer Diskussionen.

Ein Teil der Erklärung heißt Besa.

Das ist der traditionelle albanische Ehrenkodex.

In den 1940-ern war Albanien eine Gesellschaft mit weitgehend vormodernen Gesellschaftsstrukturen.

Das hatte seine Nachteile – aber eben gelegentlich auch Vorteile.

In solchen Gesellschaften zählen Traditionen noch viel.

Wer sein Wort gegeben hat, bricht es nicht.

Eine einfache Erklärung gibt es nicht

Die albanische Regierung – eigentlich eine Marionettenregierung der vormals italienischen Besatzer, hatte ihre Wort gegeben: Wir geben die Juden nicht den Deutschen.

Freilich reicht Besa als Erklärung nicht aus.

Das zeigt etwa der Umstand, dass etwa 40 Prozent aller Juden, die im Kosovo lebten oder dorthin geflüchtet waren, ausgeliefert und ermordet wurden.

Die italienischen Besatzer hatten den mehrheitlich albanisch bewohnten Kosovo Albanien zugeschlagen – nebst einigen anderen mehrheitlich albanisch bewohnten Regionen.

Offenkundig waren die dortigen Behörden und Eliten den Nazis gegenüber kooperationswilliger als in Albanien selbst.

Das kann verschiedene Gründe haben.

Etwa den, dass die albanischen Eliten im Kosovo die zuerst italienischen und dann deutschen Besatzer eher als Befreier wahrnahmen als das in Albanien der Fall war.

Albanien war von 1912 bis in die 30-er ein souveräner Staat gewesen, der dann in die italienische Einflusszone geriet. 1939 annektierten die italienischen Faschisten Albanien offiziell.

Die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo wurde im Königreich Jugoslawien diskriminiert. Nachdem Jugoslawien 1941 besetzt und zerschlagen worden war, sahen sich viele Albaner dort auf der Gewinnerseite.

Zumal, anders als etwa in den besetzen Gebieten in Polen und der Sowjetunion, aber auch in Serbien, wo die Nazis die slawische Bevölkerung als Untermenschen betrachteten, die Albaner gegen keinerlei Idealvorstellungen der NS-Rassenlehre(n) verstießen.

Von Partisanen und Kollaborateuren

Auch wenn der geschlossene Widerstand gegen die Shoa in Albanien das nicht erwarten ließe – es war auch keineswegs so, dass die Albaner geschlossen Antifaschisten gewesen wären.

Die SS stellte etwa die mehrheitlich albanische Division Skenderbeg auf.

In anderen Belangen kooperierten Teile der Eliten – wie anderswo im besetzten Europa – durchaus, zuerst mit den Italienern, dann mit den Deutschen.

Gleichzeitig gelang hier etwas, das es sonst nur in Jugoslawien und Griechenland gab: Eine breite bewaffnete Widerstandsbewegung, die gut in der Bevölkerung verankert war.

Das waren die einzigen drei Länder, die sich selbst vom faschistischen Joch befreiten.

Vielleicht spielten auch die Nachbarstaaten eine Rolle, wie und warum in Albanien die Juden besser geschützt waren als im Kosovo.

Mazedonien war Bulgarien zugeschlagen worden – dort herrschte ein lange weitgehend unumstrittenes mit den Nazis verbündetes Regime.

Zwar retteten auch die Bulgaren ihre Juden weitgehend vor der Shoa – die mazedonischen Juden lieferten sie aber widerstandslos an die Nazis aus.

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