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Balkan Stories: Die Gefahr des selbsterfüllenden Klischees

(Foto: EPA-EFE/ANTONIO BAT

Am Balkan muss Blut fließen. Alle 40 Jahre gibt es einen Krieg, um die offenen Fragen des jüngsten Krieges zu klären. Das ist ein erschreckend gängiges Klischee im ehemaligen Jugoslawien. Man bekommt es auch von gebildeten Menschen zu hören. Das ist gefährlich.

Der Balkanese als solcher, und besonders in der Unterart des Jugoslawen, gleich welcher Zugehörigkeit, ist sozusagen der Vampir unter den Europäern.

Alle 40 Jahre muss er das Blut seiner Mit-Balkanesen saufen, sonst…

Es gibt kein Sonst.

Der Balkanese als solcher, und besonders in der Unterart des Jugoslawen, gleich welcher Zugehörigkeit, kommt nicht auf die Idee, gegen dieses Gesetz zu verstoßen.

Es ist mächtiger als er selbst.

Warum es so ist, erzählen einem die Nationalisten und die Normalen auf unterschiedliche Weise.

Aus Sicht des Nationalisten liegt das im Blut des Balkanesen als solchen, besonders in der Unterart des Jugoslawen genau seiner Zugehörigkeit.

Das Schicksal, in Form fremder Mächte und besonders anderer Balkanesen als solchen, besonders in der Unterart des Jugoslawen drei Kilometer hinter der nächsten Grenze, hat es eben dort eingepflanzt.

Vielleicht mit der Hilfe eines Höheren Wesens, das mit solchen Strafen den Balkanesen als solchen, besonders in der Unterart des Jugoslawen genau eigener Zugehörigkeit, zu den Taten aufstacheln will, die ein Auserwähltes Volk nun mal zu erbringen hat.

Ein solches ist vielleicht nicht der Balkanese als solcher.

Dass es der Jugoslawe genau eigener Zugehörigkeit ist, darüber kann jedenfalls kein Zweifel bestehen.

Sei es durch Vorsehung – siehe Höheres Wesen – oder durch die Passionsgeschichte des Jugoslawen genau eigener Zugehörigkeit im Kollektiv.

Aus Sicht des Normalen sieht das etwas weniger pathetisch aus, wenngleich nicht völlig anders.

Der jeweils jüngste Krieg habe viele Fragen offen gelassen: Wo welcher Balkanese als solcher wohnen darf, speziell der Jugoslawe spezifischer Zugehörigkeiten, etwa.

Welche Grenze um welchen Wohnbereich gezogen wurde, entlang welchen Flusses, unter welchem Hügel.

Auch viele Normale glauben an den Mythos

All das sei an sich belanglos, erklären die Normalen, sei aber Futter für die Nationalisten, und wecke Erinnerungen an die Passionsgeschichte des Balkanesen als solchen, besonders des Jugoslawen gleich welcher Zugehörigkeit.

Der Balkanese als solcher, besonders der Jugoslawe gleich welcher Zugehörigkeit, glaube eben gerne an solche Mythen.

Im Übrigen sei es nun einmal eine vielleicht nicht natürliche aber doch historische, Gesetzmäßigkeit, dass alle 40 oder spätestens 50 Jahre Krieg herrschen müsse auf der Halbinsel.

Der Balkanese als solcher, besonders der Jugoslawe gleich welcher Zugehörigkeit, lasse sich nun mal sehr leicht solchem Unsinn aufstacheln.

Entscheidend ist hier nicht, dass sich beide Versionen leicht unterscheiden.

Entscheidend ist, dass beide den gleichen Unsinn von sich geben. Nur in etwas anderen Worten.

FOTO: iStockphoto

Ein Mythos ohne Basis

Der Balkanese als solcher ist keineswegs blutdürstiger als der Rest der Menschheit.

Die Menschen der Region hassen einander nicht einmal mehr als das Menschen anderer Regionen auch tun.

Also mal mehr, mal weniger, manchmal lustvoll, manchmal gar nicht.

So wie das eben ist, seitdem die Menschen es für eine kluge Idee halten, einander und sich selbst in spezifische Gruppen einzuteilen, die man wahlweise an Kleidung, Sprache, Haut- oder Augenfarbe oder sonstwas erkennen kann und mal als Stämme, Clans, Ethnien, Völker oder neuerdings als Nationen bezeichnet.

Dass der Balkan das Pulverfass Europas ist, und besonders, dass das mit der so genannten Mentalität der Bewohner zu tun hat, ist eine Projektion aus dem 19. Jahrhundert, durchtränkt vom antislawischen Rassismus der Habsburger und Hohenzollern.

Allzugerne übernommen in Teilen oder Versatzstücken von Allen, die sich ein eigenes Süppchen draus kochen wollen.

Leider auch von denen, die an die Vernunft appellieren wollen.

Als Beleg für die These taugt eigentlich nur das 20. Jahrhundert. Das, zugegebenermaßen, war am Balkan und besonders im ehemaligen Jugoslawien besonders blutig.

Hier wurden Fragen geklärt und aufgeworfen, die es ohne Nationalismus gar nicht gegeben hätte.

Der wiederum bis heute am Balkan offener zelebriert wird als im Westen Europas, der sich seit dem Zweiten Weltkrieg etwas zurückhält.

Mit dem Zelebrieren, nicht mit dem nationalistischen Denken.

Nur ist der Nationalismus nichts spezifisch balkanisches oder gar jugoslawisches.

Der Zweite Weltkrieg in Jugoslawien und der Jugoslawienkrieg der 1990-er – oder die Jugoslawienkriege, wenn man es denn nicht als durchgehendes Ereignis betrachten will – stechen mit ihrer Grausamkeit heraus.

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