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GESCHICHTE

Balkan Stories: Die Verschwundenen von Skadarlija

(Foto: zVg.)

Die Obdachlosen vom Sebilj in Beograd sind verschwunden. Anrainer erklären das mit düsteren Geschichten. Eine Skizze aus dem Königreich des Aleksandar.

Der Club von der Zweierlinie hat sich aufgelöst.

Man sieht keine Obdachlosen mehr rund um den Sebilj am Ende von Skadarlija in Beograd.

Zufällig komme ich mit einem Anrainer ins Gespräch. Nennen wir ihn Zoran.

Er hatte gelegentlich mit ihnen zu tun, lud sie ab und zu auf ein Bier ein, sagt er.

„Da gab’s voriges Jahr so eine Sache“, erzählt er mir.

„Einen von denen hat die Polizei mitgenommen. Und dann ist er gestorben. Was mit dem Herzen“, sagt Zoran und sieht mich eindringlich an. „Offiziell jedenfalls.“

„Und dann“, sagt Zoran, „waren sie weg.“ Und fügt hinzu: „Hier ist alles möglich.“

Bei einem ebenso spontanen Gespräch mit einem weiteren Anrainer der Gegend ein paar Tage später spreche ich das Thema noch einmal an.

„Man hat sie nicht mehr hier haben wollen. Wegen der Touristen“, sagt er mir. Nennen wir ihn Marko.

„Dann haben sie einen von denen gefunden. Tot, weißt du. Zu Tode geprügelt.“

Es ist schwer zu sagen, wie viele Anrainer der Gegend einander diese oder ähnliche Geschichten erzählen, warum die Obdachlosen vom Sebilj verschwunden ist.

Zwei tun es unabhängig voneinander.

Beide wirken überlegt, vor allem Zoran. Der hat einiges an Bildung und Auslandserfahrung.

Keiner erweckt den Eindruck eines ortsüblichen Schmähtandlers.

Warum die Gerüchte gelinde gesagt unwahrscheinlich sind

Es findet sich kein Bericht in jüngerer Vergangenheit über einen mysteriösen Tod eines Obdachlosen in der Gegend, der Basis sein könnte für derartige Gerüchte.

Am nähesten kommt dem noch ein Bericht aus dem Jahr 2020. Damals erstoch Radomir Milan. Beide waren Obdachlose, und beide dürften viel Zeit am Sebilj verbracht haben.

Es ging um Rakija.

Vielleicht war das Mordopfer jener Milan, mit dem ich vor wenigen Jahren für eine Reportage gesprochen habe.

Ich hoffe es nicht. Ich kann es nur leider nicht ausschließen.

Dass es offenbar gar keine Berichte über rätselhaft verstorbene Obdachlose gibt, legt nahe, dass an den düsteren Gerüchten nichts dran ist, die einander zumindest manche Anrainer rund um Skadarlija und die Pijaca Bajloni erzählen.

Zumal sich die Geschichten in wesentlichen Details widersprechen.

Um Obdachlose zu vertreiben, müsste auch die Polizei nicht zu derart drastischen Mitteln greifen.

In Beograd – wie in anderen Städten in anderen Staaten – „säubert“ die Polizei immer wieder Grätzel, in denen sich Menschen ohne festen Wohnsitz oder Drogenabhängige aufhalten.

„Ja, sowas passiert immer wieder“, erzählt mir eine regimekritische Aktivistin. „Das ist auch schon unter den Vorgängern der jetzigen Stadtregierung passiert, unter Dragan Đilas.“

Von den Gerüchten um die Obdachlosen vom Sebilj hat sie noch nichts gehört.

„Ich wohne auch in einer anderen Ecke des Zentrums.“

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