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Balkan Stories: Ein Wahrzeichen, das niemand will

(FOTO: zVg.)

Es gibt wenig, das so typisch ist für Albanien wie seine Bunker. Mit dem Erbe von Enver Hoxhas Paranoia weiß man bis heute nichts recht anzufangen. Sie taugen weder zur Verteidigung noch für den Tourismus. Mit Fotostrecke.

Einer der Bunker in der Nähe von Miras Pension muss einmal ein Hostel gewesen sein.

Der Bunkerkomplex samt Gefechtsleitstand steht entlang der Straße zum Strand von Tale, einer Katastralgemeinde von Lezhe.

(FOTO: Balkan Stories)

Das entnehme ich einem Artikel in The Atlantic, auf den ich bei meiner Recherche gestoßen bin.

Zwei Fotos gibt es von den Bunkern, vor denen ich gerade stehe. Eines zeigt das Innere einer der Betonkuppeln. Albanische und deutsche Architekturstudenten haben sie zu einer Beherberungsstätte umgebaut.

Das Foto stammt aus dem Jahr 2012.

Heute findet sich keine Spur mehr von diesem Projekt.

Die Bewohner nutzen das architektonische Erbe Enver Hoxhas als Lager für Heizmaterial und Stroh. Oder für – nun, was auch immer hier gelagert sein mag, wenn es kein Mistablageplatz ist.

Man darf bezweifeln, dass die Bunkernutzer irgendjemandem Miete für die Nutzung des öffentlichen Eigentums bezahlen.

(FOTO: Balkan Stories)
(FOTO: Balkan Stories)
(FOTO: Balkan Stories)

Nur Graffiti mit einer Handynummer weisen darauf hin, dass es hier Unterbringungsmöglichkeiten am Strand gibt. Es müssen freilich nicht die Bunker gemeint sein.

(FOTO: Balkan Stories)

Tale bzw. Rille Tale ist ein Fremdenverkehrsort. Vor allem Kosovo-Albaner machen hier Urlaub am Strand.

Wie meine Gastgeberin Mira haben hier viele Menschen Pensionen, Hostels oder ganze Hotels.

Zwischen Miras Pension und den Bunkern entsteht gerade ein neuer Hotelkomplex. Er wird das komplexe ökologische System der Gegend weiter aus dem Gleichgewicht bringen.

(FOTO: Balkan Stories)

Andererseits, irgendwann in den 1970-ern oder den 1980-ern haben das auch die Bautrupps im Auftrag des sozialistischen Albanien getan.

Dem größeren Bunkerkomplex sind in Richtung Strand zahlreiche kleinere Bunker vorgelagert, die tief in den Boden eingegraben sind.

Falls jemand von der Adria her Albanian hätte überfallen wollen.

(FOTO: Balkan Stories)

Fast 200.000 Bunker stehen heute in Albanien herum. Macht einen Bunker pro ca. 13 Albaner.

Vor der großen Auswanderungswelle unmittelbar nach dem Fall des sozialistischen Regimes war es ein Bunker pro 20 Albaner.

Theoretisch jedenfalls.

Die Bunker waren nicht gedacht, die Bevölkerung zu schützen.

(FOTO: Balkan Stories)

Sie waren als militärische Abwehranlagen gedacht, erbaut in strategischen Linien, oft gemeinsam mit Panzersperrgräben und Ähnlichem.

Albanien hatte nicht genug Soldaten, um alle Bunker zu bemannen

Selbst in besten Zeiten und bei einer erfolgreichen Generalmobilisierung hatte das albanische Militär nicht genug Soldaten, um alle Bunker sinnvoll zu besetzen.

Und keine Infrastruktur, um Soldaten rechtzeitig zu allen Bunkern zu bringen. Albaniens Straßen waren in einem notorisch schlechten Zustand.

Zum einen steckte sehr viel Beton, den man für Straßen gebraucht hätte, in den Bunkern, zum anderen sollten die schlechten Straßen eventuellen Invasoren das Vorrücken erschweren.

(FOTO: Balkan Stories)

Die Bunker hätten in Linien besetzt und verteidigt werden sollen.

Fällt die erste Linie, ziehen sich die Soldaten in die nächste Verteidigungslinie zurück und bemannen die dortigen Bunker.

Raumverteidigung, auf die Spitze getrieben.

Dass es funktioniert hätte, erscheint zweifelhaft. Dazu war die Verteidigung zu breit gestreut gedacht. Aber man hätte einer angreifenden Armee das Leben in den ersten Tagen sicher schwer machen können.

Enver Hoxha sah überall Feinde

Fragt sich nur, wer Albanien hätte angreifen wollen.

Frage man Enver Hoxha, war die Antwort: Alle.

1948 hatte sich Albanien mit dem bislang eng verbündeten sozialistischen Bruderland Jugoslawien überworfen, als Jugoslawien mit der Sowjetunion brach. Sogar eine Union der beiden Staaten war zeitweise im Raum gestanden.

Es war nicht zuletzt das enge Verhältnis der beiden Balkanstaaten, an dem die jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen scheiterten. Enver Hoxha wandte sich flugs von Tito ab und Stalin zu.

1964 brach er mit der Sowjetunion, die seiner Meinung nach zu liberal war, und verbündete sich mit der Volksrepublik China. Mit der überwarf er sich Mitte der 70-er. Albanien war international völlig isoliert und verarmte.

Schon Mitte der 60-er sah Enver Hoxha sein Land von Feinden umzingelt. Die NATO stand in Griechenland praktisch vor der Tür und war in Italien am anderen Adria-Ufer.

Das komplizierte Verhältnis zu Jugoslawien, oder: der erfundene Erzfeind

Jugoslawien war zum Erzfeind geworden. Das albanische Regime war ernsthaft der Meinung, Tito wolle Albanien annektieren.

Tatsächlich hatten die kurzzeitigen Pläne einer jugoslawisch-albanischen Union Mitte der 1940-er unter anderem zum Ziel, so die jugoslawischen Spannungen mit der albanischen Minderheit im Kosovo und in Mazedonien zu entschärfen.

Als sich das zerschlug, probierte das sozialistische Jugoslawien mehrere Strategien, um die albanischen Jugoslawen (oder gerade eben nicht Jugoslawen im Wortsinn) irgendwie zu integrieren. Das reichte von Minderheitenrechten bis zu sehr nachdrücklichen und keineswegs immer freundlichen Ermunterungen, doch irgendwo anders zu leben. Erst 1974 hoffte man, mit der Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens eine dauerhafte Lösung gefunden zu haben.

Das Letzte, was Tito nach 1948 gebraucht hätte, wären mehr Albaner gewesen. Hätte eine friedliche albanisch-jugoslawische Union einen Ausgleich vielleicht erleichtert, hätte ein gewaltsam annektiertes Albanien das jugoslawische System zum Kippen gebracht.

Das galt umso mehr ab Ende der 60-er, als Enver Hoxha seine Bunker bauen ließ. Nach allen verfügbaren demographischen Daten wären im Fall einer Annexion Albaniens durch Jugoslawien Albaner zu diesem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit die zweitgrößte Ethnie in Jugoslawien gewesen – ganz sicher wären sie es Anfang der 70-er gewesen.

Dass es mit Sicherheit in irgendwelchen Schubladen der JNA Invasionspläne gab, steht dem nicht entgegen. Pläne, wie man im Fall des Falles in ein Nachbarland einmarschiert, haben viele Armeen dieser Welt.

Siehe etwa War Plan Red – die Aufmarschpläne der US-Armee in Kanada Mitte der 1930-er Jahre.

(FOTO: Balkan Stories)

Was Italien und Griechenland nach dem Ausscheiden Albaniens aus dem sowjetischen Bündnissystems in Albanien gewollt haben könnten, erschließt sich ohnehin nicht. Sicher, Rechtsradikale mögen Territorialansprüche formuliert haben – aber das war umgekehrt genauso der Fall. Albanische Nationalisten sehen bis heute Teile Nordgriechenlands als Albanien an.

Selbst wenn die militärische Bedrohung für Albanien real gewesen wäre – das Bunkerprogramm war viel zu ambitioniert, um einen ernsthaften militärischen Nutzen zu haben.

Ein neuer Zweck wird bis heute gesucht

Seit Anfang der 1990-er stellt sich die Frage, was man tun soll mit den knapp 200.000 Betonkuppeln im ganzen Land.

Fallweise mögen sie als Lager taugen wie hier in Lezhe.

Als Wohnungen sind sie ungeeignet. In der Regel gibt es nicht einmal einfachste Sanitäranlagen drin. Einen Wasseranschluss zu legen, wird in den meisten Fällen wegen des Betonfundaments schwierig sein.

(FOTO: Balkan Stories)

Außerdem schrumpft mit Ausnahme Tiranas die Bevölkerung Albaniens sowieso schnell. Seit 1990 hat eine halbe Million Menschen das Land verlassen. 2021 lebten nur mehr knapp 2,8 Millionen Menschen in Albanien.

Die Hoffnungen, man könne die Bunker touristisch verwerten, hat sich auch nicht wirklich erfüllt.

Als Unterbringungsstätten sind sie aus den gleichen Gründen ungeeignet wie als Wohnstätten. Von den Bunkern, die vor 20 Jahren ehrgeizig zu Apartments, Hostels oder Mini-Bungalows umgebaut wurden, sind nur mehr wenige in Betrieb.

Siehe etwa die Anlage, vor der ich stehe.

Das Publikum, das extra wegen dieser Bunker nach Albanien reisen würde, ist auch eher überschaubar. Eine Handvoll Freaks für Militärgeschichte würde sich dafür erwärmen, und vielleicht noch ein Submilieu unter Architekturfotografen.

(FOTO: Balkan Stories)

So wahnsinnig spanndend ist die Sache vom Ästhetischen her ja auch wieder nicht. Die knapp 200.000 Bunker wurden nach einer Handvoll verschiedener Vorlagen von Architekt Josif Zagali gebaut. Hast du eine Anlage gesehen, hast du alle gesehen.

(Einen Eindruck gibt diese Tourismusseite – die freilich die Anzahl der Bunker maßlos übertreibt.)

Ein paar größere Anlagen sind da interessanter. Aber auch das reicht nicht für ein nationales Touristenprogramm sondern nur zur lokalen Attraktion.

So wurden etwa in Tirana mehrere Bunker zu Gallerien oder Museen umgebaut. Das sind zweifelsohne spannende Projekte mit kulturellem wie touristischem Sinn. Siehe etwa diese spannende Reportage von National Geographic. Aber Wunder vollbringen sie auch nicht.

Auf den Rest der Bunker lassen sich ihre Erfahrungen sowieso nicht umlegen.

Sicher, für einen Tagesausflug taugen die meisten Bunker. Das war’s aber auch schon.

(FOTO: Balkan Stories)

So bleiben sie, was sie immer waren: Ein Wahrzeichen, das niemand will.

Nutzlos in der Vergangenheit, nutzlos heute, nutzlos in der Zukunft.

Eine Erinnerung an das paranoideste Regime in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. (Siehe auch HIER.)

Aber immerhin günstig im Unterhalt.

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Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.