Start Blog
BLOG

Balkan Stories: Kein Geld von Polen

(FOTO: (c) Pizzeria Cafe Corner, Valjevo)

Die Pizzeria Cafe Corner im westserbischen Valjevo sorgt für internationale Aufmerksamkeit. Sie nimmt kein Geld von Polen. Das hat einen anderen Hintergrund, als man vermuten würde: Mit der Geste bedankt sich der Besitzer für die Leistungen eines Polen jüdischer Herkunft im Ersten Weltkrieg.

„Ihre Rechnung ist schon vor hundert Jahren bezahlt worden“. Mit diesen Worten sorgte der Kellner der Pizzeria Cafe Corner in Valjevo bei Beschäftigten der polnischen Botschaft Anfang März für Erstaunen und Freude, als sie die Rechnung begleichen wollten.

Was man sich unter polnischen Touristen in Serbien erzählte, stimmte: Polen essen und trinken in diesem Lokal gratis.

Das bestätigt Besitzer Đorđe Momić gegenüber serbischen Medien. Die Lokalpolitik gelte für alle Gäste aus Polen, sagt er.

Mit dieser Geste bedankt er sich bei einem Polen jüdischer Abstammung, der in Valjevo im Ersten Weltkrieg zahlreiche Leben gerettet hatte: Ludwig Hirschfeld*.

Wie Ludwig Hirschfeld tausende Leben rettete

Der Arzt hatte sich gemeinsam mit seiner Frauz Hanna aus der neutralen Schweiz aus freiwillig als Militärärzte der serbischen Armee gemeldet. Er war bereits damals ein weltbekannter Arzt. Hirschfeld war einer der Mitentdecker der menschlichen Blutgruppen.

In ganz Serbien, und vor allem in Valjevo, grassierten Fleckfieber und Typhus. Die Stadt war als Zentrum der Krankheit und des Sterbens bekannt.

Hirschfeld und seine Frau betrieben breitflächige Aufklärung über Infektionskrankheiten in der Armee und bei der Bevölkerung und forschten akribisch, um Infektionsherde zu finden und zu bekämpfen. So identifizierte Hirschfeld während seines Einsatzes den Bazillus Paratyphus C. Er trägt heute seinen Namen: Salmonella hirschfeldii.

Als sich die serbische Armee über Montenegro und Albanien auf Korfu zurückziehen mussten, begleiteten Hanna und Ludwig Hirschfeld die Truppe. Auf Korfu richtete er das bakteriologische Labor der serbischen Armee ein und entdeckte einen Impfstoff gegen Typhus, Paratyphus A, B und C sowie Cholera. Mehr als 100.000 serbische Soldaten erhielten den Impfstoff.

Wie viele Leben er und seine Frau retteten, ist nicht bekannt. Fest steht nur: Es müssen waren Tausende.

Das Paar blieb bis 1919 im mittlerweile gegründeten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, um bei der Bewältigung der desaströsen Kriegsfolgen zu helfen. Vor allem Serbien war während massiver Kämpfe auf serbischem Gebiet und der Besetzung durch die österreichisch-ungarische Armee verwüstet worden.

„Wir sollten eine Brücke zwischen den Menschen sein“

Bekannt waren Hirschfelds Leistungen einer breiten Öffentlichkeit dennoch nicht. Đorđe Momić beschreibt gegenüber der Zeitschrift NIN, er habe den Namen Hirschfeld das erste Mal im Jahr 2020 gehört. Der polnische Regisseur Pavel Visočanski drehte einen Film über Hirschfeld in der Stadt, und kam unter anderem in Đorđes Lokal.

Visočanski erzählte dem Wirt, um was und vor allem um wen es bei seinem Film gehe. „Ich war wirklich berührt von der ganzen Geschichte und in diesem Moment beschloss ich, es ihm irgendwie zurückzuzahlen“, sagt Đorđe gegenüber NIN. „Ich bin 69 Jahre alt und glaube, dass wir alle Brücken zwischen Menschen sein und menschlich sein sollten. Wenn ein polnischer Arzt den Serben inmitten einer Epidemie helfen konnte, dann möchte ich, dass es bekannt wird. Für mich war es äußerst wichtig und ich helfe gerne, wo ich kann“.

Wie Ivo Andrić versuchte, Ludwig Hirschfeld zu retten

In Europas dunkelster Zeit versuchte auch die damalige jugoslawische Regierung, Hirschfeld für seine Leistungen zu danken. Als der Arzt 1941 als getaufter Jude im von den Nazis besetzten Warschau ins Ghetto geschickt werden sollte, verlieh sie ihm und seiner Familie die jugoslawische Staatsbürgerschaft. Ivo Andrić, damals Leiter der jugoslawischen Gesandtschaft in Berlin, verlangte von der deutschen Regierung, Hirschfeld ausreisen zu lassen.

Der deutsche Überfall auf Jugoslawien machte die Initiative zunichte.

Die Familie Hirschfeld konnte aus dem Warschauer Ghetto flüchten, bevor sie in ein Vernichtungslager deportiert wurde. Freunde versteckten sie. Hanna und Ludwig Hirschfelds Tocher Marysa starb 1943 an den Folgen des Aufenthalts im Ghetto.

Ludwig und Hanna Hirschfeld überlebten den Zweiten Weltkrieg. Ludwig Hirschfeld wurde zu einem der bedeutendsten medizinischen Forscher in Polen. Er starb 1954 an einem Herzinfarkt.

*Ludwig Hirschfelds Name ist auch in der polnischen Transkription Ludvik Hirszfeld gebräuchlich. Diese Schreibweise wäre möglicherweise aus historischen Gründen die bessere. Da die polnische Orthographie von der aller anderen slawischen Sprachen abweicht, wäre sie allerdings für die Sprecher anderer slawischer Sprachen potentiell verwirrend. Die deutsche Schreibweise ist in Hinblick vor allem auf Leser aus dem ehemaligen Jugoslawien die eindeutigere.

Der auf dem Leben von Ludwig Hirschfeld basierende Film Mensch von Pavel Visočanski soll heuer in die Kinos kommen. Bislang wurde er, soweit eruierbar, erst einmal der Öffentlichkeit präsentiert: Ende Dezember 2023 in Beograd.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.