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BRCKO

Balkan Stories: Das Zauberwort ist Amela

(FOTO: Balkan Stories)

Bei der ehemaligen Frauenbrücke von Brčko bietet Džimi müden Reisenden und den Arbeitern der Stadt Erholung von der Mühsal des Seins – oder jedenfalls ordentliche Kräftigung. Seit Jahrzehnten ist sein kleines Lokal einer der Geheimtipps in der bosnischen Stadt an der Sava.

Eigentlich will Džimi schon zusperren, als Clemens und ich ins Ženski Most kod Džimija kommen.

Ein unscheinbares kleines Haus an der Brka, dem Fluss, vom dem Brčko seinen Namen hat.

Ich hab ein bisschen zu lange am Markt daneben fotografiert.

Die Stammgäste essen ihr Mittagessen gerade auf. Der eine oder andere mit einem Bier.

Es sind Pensionisten und Arbeiter aus der Stadt.

Džimi räumt die freien Tische ab.

Als er uns sieht, grüßt er freundlich, aber man merkt: Sein Kopf ist bei seiner Mittagspause.

„Ich soll dir liebe Grüße von Amela ausrichten“

„Bist du Džimi“, frage ich.

„Ja, klar.“

„Ich soll dir liebe Grüße von Amela Mušanović ausrichten, der Tochter von Emir.“

Džimi lässt den Putzlappen fallen und strahlt.

„Amela, von der hab ich schon lange nichts mehr gehört. Wie geht’s ihr denn?“

„Gut“, sage ich, und wir tauschen uns über unsere gemeinsame Freundin aus.

Es ist viel Zuneigung, viel Zusammengehörigkeitsgefühl, viel Geschichte, die in Džimis Fragen steckt, in seinen Erinnerungen an diese Tochter der Stadt, die heute wie so viele in Wien lebt.

Die alten Brčaci, die kennen einander, mögen einander, persönliche Konflikte ausgenommen, stehen zueinander. Ob sie Amela heißen, Džimi, Dragan oder Ivana.

Als ob 1992 die Zeit aufgehört hätte, zu vergehen. Für Bosnien wäre das sicher besser gewesen, für Brčko sowieso.

So viel Wärme, wie von Džimi kommt, wenn er von Amela spricht, das hast du oft nicht mal bei Blutsverwandten.

(FOTO: Balkan Stories)

„Und sie hat mir extra gesagt, wenn du in Brčko bist, musst du zu Džimi gehen, und ihn von mir grüßen. Er ist ein lieber Freund, und hat eines der besten Restaurants in der Stadt“.

Dass er gehofft hat, schon Mittagspause zu machen, vergisst der Wirt. Amelas Namen ist sozusagen das Zauberwort. „Wollt ihr was essen?“

„Ja gerne“.

Eine Speisekarte gibt’s zu Mittag nicht bei Džimi von der Frauenbrücke. Er hat drei, vier traditionelle bosnische Speisen, meist Suppen oder Eintöpfe. A la carte gibt’s nur am Abend.

Frisch, herzhaft. Was brauchst du mehr?

Wir probieren eine Jahnija, ein Eintopf, ganz ähnlich dem Bosanski lonac.

Es ist herrlich. Wie traditionelles bosnisches Essen immer herrlich ist, wenn man es richtig zubereitet.

Wir trinken Tuzlanski aus der Flasche dazu.

Als Zapfbier hat Džimi Ožujsko, und im Eiskasten stehen sonst keine bosnischen Biere. In den meisten Fällen wäre der Transport etwas aufwändig – aufwändiger jedenfalls als der Import kroatischer Biere.

Im Fernsehen läuft irgendein serbischer Turbofolksender.

„Nicht meine Sache“, meint Džimi, „aber viele Leute wollen das so.“

Der letzte Gast im kleinen Schanigarten bestellt noch ein Bier.

Nicht immer geht es so beschaulich zu wie an diesem frühen Nachmittag. Am Wochenende, bei gutem Wetter, gibt’s Lamm und viel bosnische Stimmung.

„Hier kommen vor allem Einheimische her“, erzählt Džimi. „Leute von früher, die auch schon alt geworden sind, ein paar Junge, die hier arbeiten. Meistens sind es Stammgäste“.

Und ab und zu Touristen, die nach Geheimtipps in Brčko suchen. Das Ženski Most kod Džimija kommt etwa auf eine Google-Wertung von 4,7. Das ist sehr gut. Und verdient.

Seit einer halben Ewigkeit hat Džimi das Lokal. Er betreibt es mit seiner Frau und einer Köchin.

„Warum hießt das Lokal eigentlich Ženski Most?“, frage ich.

„Früher gab es hier eine Brücke, die so hieß. Das war noch in Osmanischen Zeiten. Der Name kommt daher, dass nur Frauen sie benutzen durften“, erklärt Džimi.

Ein Gemälde der alten Frauenbrücke über die Brka

Viele Brčaci nennen bis heute diese Stelle an der Brka Frauenbrücke.

Džimi schenkt mir einen Kalender

An der Wand gleich vor der Schank hängt ein Kalender mit Tito. Er hat ein Blatt pro Republik. Aktuell ist Kroatien dran. Das jugoslawische, wohlgemerkt. Zwei Monate teilen sich eine Seite und ein Foto des jugoslawischen Staatschefs.

„Ja, damals waren die Zeiten noch besser. Wir sollten das niemals vergessen“, sagt Džimi mit etwas Nostalgie und Freude, dass sich ein österreichischer Tourist für den Kalender interessiert.

„Willst du einen“, fragt er mich.

„Ja, gerne, wenn du welche übrig hast“, sage ich.

(FOTO: Balkan Stories)

Džimi geht kurz ins Lager und kehrt freudestrahlend mit einem Kalender wieder. „Die lasse ich jedes Jahr drucken, die gibt’s für meine Stammgäste und meine Freunde“.

„Und grüß mir Amela, wenn du wieder nach Wien kommst“.

Mehr über Brčko könnt ihr in dieser Reportage erfahren.

Einen Eindruck der kulinarischen Genüsse im Restaurant findet ihr auf Instagram.

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Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.