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Warum keiner Bosnien und Herzegowina wählt

Bosnien Herzegowina Politik Wählen
(FOTO: iStockphoto/Enrique Ramos Lopez, twinsterphoto)

Bosnien. Und Herzegowina. Für autochthone Österreicher:innen ist das Gefühl nach der Antwort auf die Frage der ethnischen Identität der aus Bosnien und Herzegowina stammenden wie exzessives Ringelspielfahren. Schwindel und Verwirrung, großes Fragezeichen. Denn die gängige Antwort sagt dir viel und nichts. „Na, woher kommst du jetzt eigentlich?“ folgt darauf.

Gute Frage.

Unabhängigkeit als ultimative Lösung

Seit dem Jugoslawienkrieg wird Unabhängigkeit am Balkan groß geschrieben. Es ist wie das tägliche Brot und die wichtigste Grundlage für das eigene Volksverständnis überhaupt. Es kommt vor Stabilität und Prosperität. Opfer- und Erinnerungskultur, Gedächtnisarbeit – all das gehört zur Tagespolitik in den nationalen unabhängigen Staaten und ist Grundelement für das tägliche Leben.

Und dann gibt es da einen Staat, der noch immer als das „kleine Jugoslawien“ angesehen wird. Ein Staat, der das bisschen Jugoslawien welches noch übrig geblieben ist, noch in sich trägt. Wenn auch ungewollt.
Bosnien und Herzegowina ist das blutige Terrain des Balkans, welches vor Schmerz schreit. Denn es ist unter allen Balkanländern des ehemaligen Jugoslawiens am stärksten von Korruption, Arbeitslosigkeit und Kriminalität betroffen. Der Krieg und die schlechte Wirtschaftslage haben diesen Zustand weiter verschärft.

In Bosnien und Herzegowina leben wie im damaligen Jugoslawien Bosniaken, Serben und Kroaten auf einem Terrain – wenn auch in aufgeteilten Kantonen – zusammen. Weil sie es müssen, weil das Land so aufgeteilt wurde. Fragt man aus Bosnien oder Herzegowina stammende Menschen woher sie kommen oder wer sie sind, kommt in seltensten Fällen die Antwort: „Ich bin Bosnier oder Bosnierin“, man bekommt: „Ich bin Serbe, Kroate oder Bosniake“ zu hören. Dieser eine Satz grenzt sofort ab, zu wem und welcher Seite man gehört.
Ein wichtiger Faktor sind hier die unabhängigen Nachbarländer Serbien oder Kroatien, aber auch die Republika Srpska innerhalb von Bosnien. Damit wird Bosnien umso mehr und womöglich zurecht als „kleines Jugoslawien“ bezeichnet, in welchem sich die drei größten ethnischen Gruppen wieder zusammenfinden und miteinander auskommen müssen.
Doch warum klassifizieren sich so viele Menschen aus Bosnien und Herzegowina als Serben, Bosniaken oder Kroaten? Weil die religiöse Zugehörigkeit der ausschlaggebende Faktor für die ethnische Identität ist.

Religiöser Status als ethnische Identität

Die Religion sagt alles über die ethnische Herkunft des oder derjenigen aus. Es gibt keinen katholischen Serben oder eine orthodoxe Kroatin, oder einen katholischen Bosniaken. Wenn ein Bosnier katholisch oder orthodox wäre, dann ist er ein Kroate oder Serbe, kein Bosniake. Denn unter einem Bosniaken versteht man jemanden, der der muslimischen Glaubensrichtung angehört. Dies geht weit in die Geschichte zurück, noch vor Tito und dem ersten Weltkrieg.

Die Kirche hat sich zum Schisma im Jahr 1056 n. Chr. in ein west- und oströmisches Reich geteilt, dass eine Linie mitten durch den Balkans gezogen hat. Das damalige Königreich Kroatien wurde weströmisch-katholisch, das Königreich Serbien oströmisch-orthodox. Die damaligen Reichslinien waren stark verschoben und nicht mit den Landkarten der heutigen Unabhängigkeitsstaaten zu vergleichen.

Bosnien war zweigeteilt zwischen den zwei Reichen und hieß trotzdem „Bosnien“, in welchem beide Konfessionen und eine eigene bosnische Kirche vertreten war, die später verboten wurde. Mit dieser ersten Grenzziehung hatte man erste Machtbereiche abgesteckt, unter welchen man stand,  Rom (Weströmisches Reich) und Konstantinopel (Oströmisches Reich, heutiges Istanbul). Diese zwei Konfessionen gaben kulturelle Praktiken, aber vor allem eines vor: die Besonderheit in den Differenzen. Das Christentum wurde in zwei große Konfessionen geteilt, weil man sich nicht einig war welche Kalender der richtige ist, der gregorianische oder julianische, wie viele Finger man zum Beten braucht und welche Praktiken erforderlich beim Gottesdienst sind. Um es grob auszudrücken.

Es folgte die osmanische Invasion im 15. Jahrhundert und man hatte eine weitere monotheistische Religion, die sich vor allem in Bosnien und Herzegowina verbreitete. Ein weiterer Unterschied, ein Anderssein, wurde präsent. Die Ethnien, die so in Religionen aufgeteilt wurden und als wichtigstes Merkmal zur Unterscheidung mitbekamen, sahen das Gegenüber daher als „fremd“ und anders an. Das wurde ihnen eingetrichtert. Es war nicht mehr vordergründig, dass man eine fast idente Sprache sprach, sondern dass man sich vom anderen abgrenzte, weil er der „Andere“ ist.
Infolge der historischen Ereignisse, der ständigen Repression der westlichen Großmächte, der fehlenden Unabhängigkeit und der blutigen Auseinandersetzung, die im ersten Weltkrieg begann und im Jugoslawienkrieg ihren Höhepunkt fand, können die Menschen aus Bosnien und Herzegowina bis heute nichts anderes sagen außer: Ich bin Kroate/in, Serbe/in, Bosniak/in aus Bosnien und Herzegowina.

Der wesentliche Faktor hinter dieser Abgrenzung ist nichts anderes als das Bekräftigen des Anderssein. Zu stark ist der Rassismus durch die Geschichte hindurch tradiert worden, sodass viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene heute nicht einmal wissen, warum sie dies so formulieren.

21. Jahrhundert

Millionen Menschen leben in Bosnien und Herzegowina, nur wenige wollen sich aber dazu bekennen. Aktuell ist man einer Religion, einer Ethnie, einer Kultur angehörig, die wichtiger scheint als das Land selber.