Start Magazin
POLITIK

Alexander Schallenberg: „Mein Ziel ist die Integration der Westbalkanstaaten”

Alexander-Schallenberg
(FOTO: Igor Ripak)

Wir haben mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Alexander Schallenberg, über die Integration der Westbalkanstaaten in die Europäische Union, Migration, Außenpolitik sowie die Zukunft Europas gesprochen.

KOSMO: Am 21. März beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen. Wie bewerten Sie die Fortschritte Bosniens auf diesem Weg?


Alexander Schallenberg:
Ich begrüße die Entscheidung zu Beitrittsgesprächen voll und ganz. Die Unterstützung Österreichs ist kein Altruismus sondern vielmehr wohlverstandenes Eigeninteresse. Angesichts des Kriegs in der Ukraine, nur 500 Kilometer östlich, und der Lage in Bosnien und Herzegowina sowie dem Westbalkan im Süden, wird deutlich, wie wichtig eine proaktive Nachbarschaftspolitik für unsere gemeinsame Stabilität, Sicherheit und Prosperität ist. Der Westbalkan, zu Unrecht oft als „europäischer Hinterhof” verschrien, ist in Wahrheit ein unverzichtbarer Teil Europas. Die dortigen Herausforderungen beeinflussen uns unmittelbar und zeigen die Dringlichkeit einer glaubwürdigen Perspektive für die EU-Integration. Als wichtiger Investor und mit tiefen menschlichen Verbindungen zu diesen Ländern hat Österreich ein vitales Interesse an deren Stabilität. Es ist unsere Aufgabe, einen glaubwürdigen europäischen Pfad zu bieten, um frühere Versäumnisse zu korrigieren. Die Eröffnung von Beitrittsgesprächen ist ein bedeutender Schritt, allerdings kein Blankoscheck. Der Pfad ist weiterhin mit hohen Erwartungen gepflastert. Aber Reformen lohnen sich, wie Bosnien und Herzegowina beweist.

Österreich unterstützt den EU-vermittelten Dialog zwischen Belgrad und Pristina. Wie beurteilen Sie den derzeitigen Fortschritt und welche Schritte sind für eine dauerhafte Lösung essenziell?

Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo ist eine Herausforderung für die Region. Sie ist sozusagen das Nadelöhr, durch das die Region auf ihrem europäischen Weg gehen muss. Ich unterstütze den Sonderbeauftragten für diesen Dialog, Miroslav Lajčák, bei seiner wichtigen Arbeit. Es ist essenziell, dass beide Seiten anerkennen: Kosovo wird nie wieder Teil Serbiens werden und ist ein unabhängiger Staat, während Serbien ein Nachbar und Teil der gemeinsamen Geschichte bleibt. Beides kann man nicht negieren. Fortschritte, selbst in kleinen Schritten wie bei Autokennzeichen, sind wichtig. Ein kritischer Punkt ist die Situation der serbischen Gemeinschaften im Norden Kosovos, für die es eine Lösung braucht. Die größte Herausforderung liegt darin, die Realität der Nachbarschaft zu akzeptieren, wie sie ist, nicht wie man sie sich wünscht. Beide Staaten müssen verstehen, dass die Normalisierung unerlässliche Voraussetzung für die weiteren Schritte ist.

„Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo ist eine Herausforderung für die Region“, so Außenminister Schallenberg. (FOTO: Igor Ripak)

Kann Serbien der EU beitreten ohne Russland-Sanktionen, trotz der wirtschaftlichen Folgen für Serbien? Was könnte die EU als Gegenleistung bieten?


Die Angleichung an EU-Standards ist für Westbalkanländer, insbesondere Serbien mit einer Anpassungsrate von etwa 50 Prozent, entscheidend. Serbien hinkt hinter Ländern wie Bosnien-Herzegowina mit 100 Prozent Anpassungsrate her. Diese Anpassung beinhaltet die Übernahme des gesamten EU-Regelwerks, einschließlich der Außen- und Sicherheitspolitik. Obwohl Serbiens Handel hauptsächlich mit der EU stattfindet, beeinflussen Partnerschaften mit Ländern wie China oder Russland die öffentliche Wahrnehmung. Die Herausforderung besteht darin, dass die EU-Perspektive nicht mehr als genügender Anreiz für Reformen gilt. Die EU muss ihr Angebot und ihre Unterstützung verstärken, um das Vertrauen der Beitrittskandidaten zurückzugewinnen. Die Europäische Kommission hat durch den Wachstumsplan zugeschnittene Unterstützung zugesagt, um die positiven Effekte der EU-Integration zu verdeutlichen.

Wie wahrt Österreich als neutrales Land diplomatische Balance, speziell bei internationalen Meinungsverschiedenheiten zu Konflikten? Was bedeutet Neutralität für Sie?


Österreichs Neutralität ist ausschließlich militärischer Natur. Wir streben also keinen Beitritt zu Verteidigungsbündnissen wie der NATO an und lehnen ausländische Militärbasen in unserem Land ab. Unsere Neutralität bedeutet aber keine Werteneutralität und keine Gleichgültigkeit. Unsere Politik basiert auf dem Völkerrecht, insbesondere wenn es um eklatante Verstöße wie die Verletzung der UN-Charta geht. Österreich erhebt seine Stimme für das Völkerrecht, egal wann und egal wo. Wir erkennen Israels Recht auf Selbstverteidigung nach dem Angriff vom 7. Oktober an, betonen jedoch die Notwendigkeit, dass dieses Recht im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht steht. Angesichts eines asymmetrischen Konflikts zwischen einer Terrororganisation und einem demokratischen Staat ist die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit herausfordernd. Neutralität bedeutet aktives Engagement für das Völkerrecht, nicht Passivität. Österreichs Geschichte zeigt, wie es sich für internationale Regeln einsetzt und eine Weltordnung ablehnt, in der Macht über Recht steht.

„Österreichs Neutralität ist ausschließlich militärischer Natur”, so Alexander Schallenberg.

Sie sagten, Migration könnte Regierungen stürzen. Wie wichtig ist es, die EU-Migrationspolitik zu reformieren, um die politische Stabilität in den Mitgliedstaaten zu sichern?


Migration bleibt ein brisantes Thema in Europa, angeheizt durch die Krisen rund um unseren Kontinent. Migranten streben weiterhin nach Westen, die Anziehungskraft Europas ist ungebrochen. Kein Migrant will nach Russland oder nach China. 2022 verzeichnete Österreich mit 112.000 Asylanträgen eine Rekordzahl. 75% aller Asylwerber waren in keinem anderen Land registriert, und das obwohl Österreich von Schengen-Staaten und Schengen-assoziierten Staaten umgeben ist. In all diesen Ländern hätte aber eine Registrierung erfolgen müssen. Das ist ein Sicherheitsrisiko für Europa. Österreich setzt sich weiterhin mit Nachdruck für eine Reform des europäischen Asyl- und Migrationssystems ein. Es hat auf österreichische Initiative hin bedeutende Fortschritte gegeben, wie zuletzt die Einigung auf einen verstärkten Außengrenzschutz. Trotzdem muss noch mehr geschehen. Die Belastung für Österreich muss merkbar und dauerhaft sinken.

Wie sehen Sie die Zukunft der EU und Europas insgesamt angesichts des Wahljahres in vielen Ländern der Welt?


Ich bin Optimist und sehe die Entwicklung Europas grundsätzlich positiv, obwohl wir oft mit einer Art intellektueller Kapitulation konfrontiert sind. Bei jeder Herausforderung – sei es die Pandemie, Energiekrise oder geopolitische Spannungen – tendieren wir zu Pessimismus und Untergangsszenarien. Trotzdem haben wir es immer wieder geschafft, uns durchzusetzen. Diese Tendenz zum Schwarzmalen, besonders in Österreich, könnte allerdings zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
Wir sind als Kontinent stärker, flexibler und resilienter als wir uns das manchmal selbst zutrauen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die EU gerade in Krisenzeiten Stärke und Einigkeit beweist, wie bei unserer geeinten Reaktion auf den russischen Angriffskrieg. Mein Ziel bleibt die Integration der Westbalkanstaaten: Ohne den Westbalkan ist Europa unvollständig. Der Westbalkan ist ein wesentlicher Teil Europas und unserer gemeinsamen Zukunft.