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IVO ANDRIC

BALKAN STORIES: Der Bildhauer von Travnik

FOTO: Wikimedia Stevan Kragujevic/ Balkan Stories

Viele Travniker kämpfen darum, das Erbe des berühmtesten Sohns der Stadt als über-ethnischen Schriftsteller zu bewahren: Ivo Andric. Einer dieser Kämpfer ist ein Mann, von dem man es nicht auf den ersten Blick erwarten würde. Er ist auch einer der talentiertesten Künstler der Stadt.

 „Ich will dich noch mit jemandem bekanntmachen“. Enes Škrgo führt mich mit schnellen Schritten aus der Zenjak Nummer 9 in die Ulica Bosanska. Das ist gleich um die Ecke.

So freundlich er auch ist, ich weiß, Enes würde ein Nein meinerseits nicht akzeptieren. Offen gestanden ist das die Antwort, die ich ihm am liebsten geben möchte.

Ich habe soeben zwei Stunden in der Rodna kuća Ive Andrica verbracht, dem Museum im Geburtshaus von Ivo Andric. Enes leitet das Haus.

Mir schwirrt der Kopf. Ich hatte ein intensives und sehr interessantes Interview mit Enes. Er hat mir einiges über die aktuellen Versuche erzählt, Andrics Werk nationalistisch umzudeuten. Und viel über den Autor.

Ich muss ungefähr ein halbes Dutzend Schulklassen aus beiden Landesteilen mit staunenden Gesichtern durch das kleine Museum gehen gesehen haben, mit Faszination und Interesse in den Augen, wie sie nur Kinder so offen zeigen können, und eine Busladung interessierter aber deutlich zurückhaltenderer Pensionisten aus Slowenien.

FOTO: Balkan Stories

Mehr Information kann ich nicht mehr aufnehmen, denke ich. Ich brauche Zeit für mich. Zeit alleine, um das alles zu verarbeiten.

Und eine Portion Cevape, für die Travnik auch berühmt ist. „Iss die Cevape in Travnik, die sind herrlich“, hat mir meine liebe Freundin Selma aus Sarajevo geraten. Ich hab vor, ihrer Empfehlung zu folgen.

Nur, im Moment will ich Enes nicht enttäuschen. Er war mir gegenüber sehr großzügig und es scheint ihm wichtig zu sein, dass ich den Menschen treffe, den er mir vorstellen will. Außerdem, so gut denke ich ihn zu kennen, um zu wissen, dass es eine interessante Begegnung wird.

Da gibt es auch noch die praktische Überlegung. Enes hat das Museum für diesen Kurzausflug abgeschlossen. Den will ich ihn nicht umsonst gemacht haben lassen.

FOTO: Balkan Stories

Das Antlitz einer Legende

„Es ist der Mann, der die Skulptur vor dem Museum gemacht hat“, sagt Enes. „Das ist gleich um die Ecke.“

Es ist eine bemerkenswerte Skulptur. Ein unaufmerksamer Besucher könnte sie leicht übersehen. Sie steht am Rasen neben bzw. je nach Perspektive vor dem Museum.

Sie ist vergleichsweise bescheiden. Ganz anders als die Turbo-Kunst-Interpretation namens Andricgrad.

Sie ist eher 3 D-Installation als Statue. Es sind Metallstäbe, die exakt hintereinander gesetzt wurden. Jeder Stab ist gebogen und formt einen Teil von Andrics Gesicht.

Nur wenn man davorsteht, kann man die Gesichtszüge des Autors erkennen. Geht man um die Skulptur herum, verschwindet das Bild, löst sich mit der Entkontextualisierung in Nichts auf. Beziehungsweise ein paar Metallstäbe.

FOTO: Balkan Stories

Luey aus Basrah

Wir betreten einen kleinen Friseurladen. Unspektakulär, wie die meisten Läden in den meisten Kleinstädten. „Das ist Luey“, stellt mich Enes einem großen Mann in den 40-ern mit rasiertem Kopf und gewinnendem Lächeln vor. Wir schütteln Hände und Luey bedeutet uns, hinten im Laden Platz zu nehmen.

„Kafa“, fragt er.

Ich nehme gerne an. Enes nicht. Er muss nach ein paar Minuten wieder ins Museum.

Luey, der mit Nachnamen Maktouf heißt, organisiert Kaffee aus einem dieser netten bosnischen Kaffeehäuser, die es an jeder Ecke zu geben scheint. Und ein paar Stücke dieser herrlichen Balkankuchen, von denen man Diabetes kriegt, wenn man sie nur anschaut.

„Also, du kommst aus Wien?“, fragt Luey. „Genau“. Wir sprechen Naski. Luey beherrscht es fließend. Ich nur rudimentär.

„Ich komme aus Basrah im Irak“, sagt mir Luey. Enes hatte mir erzählt, dass er aus dem Irak käme und einen Flüchtlingshintergrund habe. Basrah erklärt, warum.

Sieben Jahre Leben im Lager vergeudet

Luey ist 1992 aus seiner Heimatstadt geflohen, sagt er mir. Gleich, nachdem Saddam Husseins Truppen den Aufstand der Shiiten niedergeschlagen hatten, der nach der Niederlage der irakischen Truppen im Golfkrieg ausgebrochen war.

Wie er genau nach Bosnien kam, verliert sich in meinen mangelhaften Sprachkenntnissen. Nach der Flucht war er im saudischen Flüchtlingslager in Rafah interniert. „Das war wie im Gefängnis“, sagt Luey.

Und zeigt mir auf Youtube Videos aus dem Lager, die wer weiß  wie entstanden sind, während wir eine Malboro rauchen. Sie zeigen Trostlosigkeit, erzwungene Untätigkeit, Eingesperrtheit. Und Menschen, die trotzdem in die Kamera lächeln. Die Leute hätten das Lager meist nicht verlassen dürfen, Arbeit habe es keine gegeben, sagt mir Luey.

Luey verbrachte sieben Jahre dort. Irgendwie wurde er entlassen und kam nach Bosnien.

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