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IVO ANDRIC

BALKAN STORIES: Der Bildhauer von Travnik

FOTO: Balkan Stories

Der Mann, dem die Frauen vertrauen

Die Tür geht auf. Eine Bosnierin mittleren Alters kommt herein. Sie hat einen Termin.

Luey hat einen ziemlich guten Ruf als Friseur, hat mir Enes erzählt und Luey hat mir stolz seinen vollen Terminkalender gezeigt.

Besonders beliebt ist er bei den Travnikerinnen. Er gilt als Meister der nicht als einfach anzusehenden Kunst des Augenbrauenzupfens.

Die Frau legt sich im Friseurstuhl zurück und Luey nimmt einen dünnen Faden, macht eine Schlinge daraus und nimmt das Ende in den Mund, um ihn straff genug zu ziehen.

Kein einziges Mal verzieht die Kundin das Gesicht aus Schmerz oder gibt einen Laut von sich, der Schmerz verraten würde. Die beiden unterhalten sich sogar entspannt, soweit es Lueys Tätigkeit erlaubt. Ich darf fotografieren und das bringt niemanden aus der Ruhe.

Drei Frauen kommen rein und fragen, ob er noch einen Termin frei hat. Leider, sagt der Friseur. Freitagnachmittag, frühestens, meint er nach einem Blick in seinen Terminkalender. Heute ist Mittwoch.

Er ist mit seiner Kundin ein bisschen schneller fertig als geplant und hat noch ein wenig Zeit für mich.

FOTO: Balkan Stories

Arbeiten für die Kunst

„Ich bin Bosnien und Travnik wirklich dankbar“, sagt er. „Das ist meine neue Heimat geworden. Ich habe hier geheiratet, eine Bosnierin und ich hab zwei wunderbare Kinder. Jetzt will ich etwas zurückgeben.“

Das macht er mit seiner Kunst. „Der Friseursalon, das ist meine Arbeit, davon lebe ich. Ich spare, was geht und alle paar Jahre habe ich genug Geld für eine neue Skulptur.“

Luey denkt und rechnet kurz nach. „Ungefähr alle vier, fünf Jahre.“

Daneben malt Luey und er zeigt mir einige Gemälde. „Weißt du, wie ich male? Mit dem Messer“.

Er hat ein paar Skulpturen gemacht, die er alle den Bürgern der Stadt gespendet hat. Sie sind im öffentlichen Raum wie in Parks ausgestellt. Die Andric-Installation aus dem Jahr 2014 ist die jüngste Spende.

Lueys Kinder retten die Skulptur

Für die hatte er sogar einen Sponsor, erzählt er mir. „Ein Bosnier hat mir versprochen, dass er für das Metall aufkommt. Am Abend, bevor es geliefert werden sollte, hat er angerufen und gesagt: Er kann nicht zahlen.“

Das habe ihn ziemlich nervös gemacht. „Ich wusste, die liefern morgen das Metall und ich kann nicht zahlen. Das war ein ziemliches Problem.“

Luey kratzte jeden fenig zusammen, den er zuhause und im Laden fand und leerte die Sparguthaben der Familie. „Immer noch nicht genug.“

Nach einem Gespräch mit seiner Frau schlachtete er die Sparschweine seiner Kinder. Mit ihrer Zustimmung, versteht sich. „Es ging sich aus.“

Als Dank werden Ali, heute zehn, und Farah, heute vier, auf der Tafel vor der Skulptur als Investoren genannt.

FOTO: Balkan Stories

„Wem gehört Ivo Andric?“

Diese Arbeit war für ihn die wichtigste, sagt Luey. „Ich habe viele von Ivo Andrics Büchern gelesen. Er hat mir so viel über Bosnien beigebracht und auch viel darüber, was es heißt, Mensch zu sein. Ich liebe seine Arbeit.“

Seine Skulptur soll die Schlüsselfrage zu Ivo Andric aufwerfen: „Wem gehört Ivo Andric?“, sagt Luey.

„Die Serben sagen, er gehört uns. Die Kroaten sagen, er gehört uns. Die Bosnjaken sagen, er gehört uns.“

Aber er gehört allen Menschen, egal wo sie herkommen.

Und am wichtigsten: Ivo Andric gehört Ivo Andric“.

Eine Botschaft, die heute wichtiger denn je scheint. Nationalisten aller Ethnien in Bosnien, Serbien und Kroatien versuchen, das Erbe eines der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts für ihre Zwecke umzudeuten. Sei es durch Vereinnahmung. Sei es durch Verdammung. Und manchmal beides.

Einer der bemerkenswertesten Beiträge gegen den politischen Missbrauch kommt ausgerechnet von einem Mann aus dem Irak. Das kann als starke Aussage über Andrics Fähigkeit gedeutet werden, Menschen zum Nachdenken anzuregen, ob sie nicht mehr sind als der Ort, in dem sie geboren wurden und aufgewachsen sind.

Und dass, mag uns auch die Geschichte verfolgen, wir es sind, die die Zukunft gestalten.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.