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INTERVIEW

Herbert Schweiger: ,,Wir bemühen uns ständig, unser Kursangebot zu erweitern“

(Foto: Igor Ripak)


KOSMO sprach mit dem Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen, Herbert Schweiger, über die Kurse und das Angebot der VHS, sowie neue Projekte und Pläne für die Zukunft.

KOSMO: In welchem Maße haben sich die Bedürfnisse und Interessen Ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe der letzten Jahre gewandelt und wie passen Sie sich diesen Veränderungen an?

Herbert Schweiger: Tatsächlich haben sich die Bedürfnisse unserer Teilnehmenden im Großen und Ganzen nicht wesentlich verändert. Allerdings beobachten wir, dass äußere Umstände durchaus Einfluss auf die Nachfrage nach unseren Angeboten haben können. Ein gutes Beispiel dafür ist der aktuelle Boom der Deutschkurse. Viele Menschen kommen neu nach Wien und möchten die deutsche Sprache lernen, um bestimmte Rechte wahrnehmen und an der Gesellschaft teilhaben zu können. Das spüren wir natürlich in unseren Anmeldezahlen. Dennoch bleiben die grundlegenden Bedürfnisse unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer weitestgehend konstant. Ein besonderer Pluspunkt unseres Angebots besteht darin, dass die Menschen bei uns etwas lernen, weil sie sich aus eigenem Antrieb dafür entscheiden und nicht, weil es ihnen von Dritten auferlegt wird oder für ihre berufliche Laufbahn unerlässlich ist.

KOSMO: Welchen Einfluss hatte die Covid-19-Pandemie auf die Wiener Volkshochschulen?

Die Auswirkungen der Pandemie haben wir in zwei Phasen zu spüren bekommen. Zunächst haben wir die Folgen im ersten Semester 2020/2021 erlebt, als wir noch darauf hofften, dass sich die Situation bald normalisieren würde. Schnell wurde jedoch klar, dass die Pandemie weiterhin präsent bleiben würde. Es stellte sich die Frage, unter welchen Bedingungen wir Unterricht in Zukunft anbieten können – etwa in welcher Gruppengröße und mit welchen Schutzmaßnahmen wie etwa das Tragen von Masken.

Noch gravierender für die gesamte Situation war die Tatsache, dass zusätzlich der Ukrainekrieg und die daraus resultierende Finanzkrise auftraten. Viele Menschen, die im Vorjahr unsere Kurse besucht hatten, waren verunsichert, wie sie ihre Rechnungen, Heiz- und Stromkosten begleichen sollten, da alles teurer geworden war und sie gezwungen waren zu sparen.

Doch mit dem Herbst zeigte sich eine Verbesserung der Lage, sodass wir wieder viele Teilnehmer*innen an unseren Standorten begrüßen durften und dadurch sogar an das Jahr 2019 anschließen konnten. Wir beobachten allerdings eine Veränderung in der Einstellung der Menschen: Sie möchten vermehrt das tun, was ihnen persönlich wichtig ist. Dies führt dazu, dass sie sich freiwillig für Bildungsangebote entscheiden, die ihrem Interesse entsprechen und die sie erlernen möchten. Die Wiener*innen haben wieder Lust, sich selbst etwas Gutes zu tun und sind hedonistischer geworden. Für viele bedeutet das eben auch, etwas Neues auszuprobieren und soziale Kontakte in einem Weiterbildungskurs zu knüpfen.

KOSMO: Im Jahr 2015 haben die Wiener Volkshochschulen mit einem Kurs in klingonischer Sprache für Aufsehen gesorgt. Gibt es Überlegungen, ähnlich ungewöhnliche Kurse anzubieten, und wie schätzen Sie das Interesse an solchen Angeboten ein?

Unser Bestreben ist es stets, auf die Bedürfnisse unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzugehen und entsprechende Kurse anzubieten. Dabei legen wir großen Wert auf Seriosität und Qualität in der Vermittlung der Inhalte. Der klingonische Sprachkurs war in gewisser Weise ein humorvoller Ansatz. Aktuell sehen wir keine Notwendigkeit, ein ähnliches Angebot zu schaffen. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Klingonisch tatsächlich eine vollständig ausgearbeitete Sprache ist, die man erlernen und sprechen kann. Zwar handelt es sich um eine Kunstsprache, jedoch sollte man sie nicht gänzlich als Scherz abtun.

,,Unser Bestreben ist es stets, auf die Bedürfnisse unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzugehen und entsprechende Kurse anzubieten.“, so Schweiger.

KOSMO: Welchen Stellenwert haben digitale Angebote und Onlinekurse in den Volkshochschulen?

Schon vor der Corona-Pandemie haben wir darüber nachgedacht, wie wir die Digitalisierung in unseren Betrieb vorantreiben können. Unser Ziel war dabei stets, den Präsenzunterricht nicht zu ersetzen, sondern durch den Einsatz digitaler Möglichkeiten die Unterrichtsqualität zu erhöhen. So gibt es beispielsweise unzählige Unterrichtsmaterialien, die österreichweit bereitstehen und von unseren Lehrenden verwendet werden können. In Zukunft bin ich davon überzeugt, dass sogenannte „flipped classroom“-Konzepte eine größere Rolle spielen werden.

Dabei lernt man nicht mehr im Kurs, sondern übt zu Hause und vertieft das Gelernte im gemeinsamen Austausch, etwa beim Sprachenlernen. Ein Beispiel für den humanen Einsatz der Digitalisierung ist unser Avatar-Projekt, das sich noch in der Bearbeitungsphase befindet. Dabei handelt es sich um einen Roboter mit Bildschirm, der von zu Hause aus gesteuert werden kann. Dadurch möchten wir Menschen mit Behinderungen, die nicht mehr mobil sind,  in erster Linie ermöglichen, bei uns als Kursleiter*in tätig zu werden.

Und auch für Teilnehmer*innen eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten. Ein Beispiel dafür, was durch den Avatar möglich wird, sehen wir an der VHS Mariahilf: Ein Künstler mit fortgeschrittener Multipler Sklerose führt mithilfe des Avatars, den er mit Augensteuerung bedient, und durch Unterstützung eines Mitarbeiters, eigenständig durch seine Vernissage!

Digitalisierung berührt viele Lebensbereiche. Was jedoch weder künstliche Intelligenz noch digitale Angebote verändern, ist die Motivation, die bei den meisten Menschen hinter dem Lernen steht: Spaß und Freude! KI und Co werden in Zukunft Formen des Lernens beeinflussen, aber weniger Einfluss auf die persönlichen Interessen der Lernenden haben.

KOSMO: Die VHS bietet ein breites Spektrum an Kursen aus verschiedenen Bereichen. Gibt es Pläne, das Kursangebot noch weiter auszubauen?

Wir sind stets auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um unser Angebot zu erweitern. Natürlich haben wir ein etabliertes Standardprogramm, das bei unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut ankommt. Doch wir sind auch offen für Innovationen und beobachten aktuelle Trends und Bedürfnisse. Als viele Flüchtlinge aus Syrien kamen, haben wir zum Beispiel auf die steigende Nachfrage nach Arabischkursen reagiert und unser Angebot ausgebaut. Aktuell sind auch Ukrainischkurse sehr gefragt.

In anderen dynamischen und zeitgemäßen Bereichen, wie etwa im Gesundheits- und Bewegungssektor, erweitern wir unser Angebot ebenfalls kontinuierlich. Hier sind neue Bewegungsformen und -kurse, wie zum Beispiel Pilates, besonders beliebt. Und auch neue Fitnesstrends werden gut gebucht. Wir legen großen Wert darauf, immer am Puls der Zeit zu sein und unser Kursangebot entsprechend der Bedürfnisse unserer Teilnehmenden stetig weiterzuentwickeln.

(Foto: Igor Ripak)

KOSMO: Die VHS polycollege Stöbergasse wurde kürzlich eröffnet. Können Sie uns mehr darüber berichten?

Die Stöbergasse hat eine besondere Bedeutung, denn hier errichtete der am 22. Jänner 1887 gegründete Wiener Volksbildungsverein sein erstes Gebäude. Der traditionsreiche VHS-Standort wurde gerade komplett neu errichtet, um weiterhin ein modernes Bildungszentrum für die Bewohner*innen des Bezirks und darüber hinaus zu sein. Erst im März fand die feierliche Eröffnung im Beisein von Bürgermeister Dr. Michael Ludwig statt.

Tatsächlich gibt es drei Standorte in Wien, die in der Geschichte der Wiener Volkshochschulen eine zentrale Rolle spielen: die VHS Wiener Urania, die vor einigen Jahren renoviert wurde, die VHS Ottakring, die derzeit einer Renovierung unterzogen wird, und die neu eröffnete VHS polycollege Stöbergasse.

KOSMO: Wird das VHS Lerncafé auch in diesem Jahr angeboten und welche Erfahrungen wurden bisher mit diesem Projekt gemacht?

Ja, das VHS Lerncafé ist weiterhin Teil unseres Angebots. Während der Pandemie wurde es verstärkt in Anspruch genommen, als die Menschen gezwungen waren, zu Hause zu bleiben. Aufgrund der begrenzten Raumkapazitäten in Schulen suchten viele nach Orten, an denen sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren und ungestört lernen konnten. Unser Lerncafé erfreute sich in dieser Zeit großer Beliebtheit.

,,Dieses breite Verständnis von Bildung ist uns sehr wichtig und setzt sich auch heute fort“, so Schweiger.

Wir hatten Studierende, die an ihren Abschlussarbeiten arbeiteten, aber auch ältere Paare, die aufgrund von geschlossenen Tanzschulen keine Möglichkeit zum Tanzen hatten und zu Hause keinen ausreichenden Platz fanden. In unseren Räumlichkeiten war das möglich. Dieses breite Verständnis von Bildung ist uns sehr wichtig und setzt sich auch heute fort. Die Räume stehen zur Verfügung, sofern sie nicht belegt sind, und können kostenlos für persönliche Interessen genutzt werden.

KOSMO: Werden auch in diesem Jahr kostenlose Lernangebote für Kinder und Jugendliche in den Freibädern angeboten?

Absolut, wir werden dieses Angebot in den gleichen drei Bädern wie im letzten Jahr anbieten: dem Kongreßbad, dem Strandbad Gänsehäufel und dem Laaerbergbad. Dieses Projekt wurde bereits von der Stadt Wien in Auftrag gegeben und ist sehr gut angekommen. Es stellt eine hervorragende Gelegenheit dar, spielerische Lernförderung mit der entspannten Atmosphäre im Freibad zu verbinden. Auch für Eltern gibt es vor Ort viele Informationen und Anregungen für zu Hause.