Seit über 100 Jahren ein Urgestein der Tradition am Balkan: der jährliche vašar. Ein Synonym für Ausgelassenheit, Lebensfreude und deftige Kulinarik. Im Sommer zieht der Jahrmarkt von Stadt zu Stadt und lockt Einheimische, Heimkehrer und Touristen in seinen Bann. Von wahr gewordenen Kinderträumen, Waghalsigkeit und Traditionen.
REPORTAGE
Geht die Sonne unter, bricht man auf zum Jahrmarkt. Autos, Fußgänger, schreiende Kinder, streunende Katzen und Hunde bahnen sich ihren Weg durch die Mengen. Die letzten Jahre hat sich die Parkkultur von „irgendwo hinstellen“ zu einem richtigen Parksystem entwickelt. Was auch wichtig ist, angesichts der Mengen, die aus allen Dörfern der Gegend zu diesem Ereignis strömen. Und ja, so mancher Wiener rümpft angesichts des Praters seine Nase, aber denen soll gesagt sein: den Prater gibt es halt leider nur in Wien.
Und so ist der Rummel ein großes Spektakel auf das sich die ganze Balkan-Community freut. So manch einer legt seinen Sommerurlaub genau auf die Woche, um mit dabei sein zu können. Bei einem Wochenende, in dem sich die kindliche Freude eines Sommers widerspiegelt.
Herzrhythmusstörungen und Kleinkinder
Es riecht nach Spanferkel und Ćevapčići. Die Menschen scheinen ausgelassen und fröhlich zu sein. Aus den dröhnenden Boxen hört man alle zwei Meter ein anderes Lied quäken. Offensichtlich konnten sich die Schausteller nur auf dieselbe Bassfrequenz einigen, die kollektiv bis an die Grenze zur Herzrhythmusstörung aufgedreht wurde. Und wie jedes Jahr ist das Fest deshalb auch noch fünf Kilometer weiter zu hören. Zumindest der Bass. Für jeden mit einem feinem Gehör, oder Kleinkinder, eine absolute Qual. Manche Eltern haben vorgesorgt und deshalb sind Kleinkinder mit Lärmschutz Kopfhörern ein mittlerweile oft gesehenes Bild am vašar.
Waffen an der Sommerluft
Trotzdem sind die Besucherströme am Abend unüberschaubar. Wenn man seine Begleitung nicht aus den Augen verlieren will, hält man sie lieber fest. Nach einer Zeit, lösen sich die Gedanken an etwaige Corona-Cluster in der warmen Sommerluft und den flackernden Lichtern der Fahrgeschäfte auf.
Hinter dem regen Treiben der Attraktionen gibt es zwei Gässchen. Dort haben sich die Straßenhändler aufgebaut. Es ist der ruhigere Bereich des Jahrmarktes, wo sich Peppa Pig Stofftiere auf Nicer Dicer Imitationen stapeln. Eine Aneinanderreihung von Kleidung, Spielzeug, Taschen, Haushaltsgeräten und Waffen. Keine Echten. Schreckschusspistolen, stumpfe Säbel und unechte Granaten werden hier an den Mann (oder die Frau) gebracht. Ein rundlicher Verkäufer bietet drei zum Preis von zwei an. Aber nur von den günstigeren Artikeln weiter unten auf dem Stand. Daneben bedruckt gerade eine Frau ein T-Shirt für einen Kunden. Er hat sich für das Nirvana-Logo inklusive Schriftzug entschieden. Die Ware wird in ein weißes Plastiksackerl verpackt. Zehn Konvertible Mark wechseln den Besitzer. Rund fünf Euro.
Die Wand des Todes – zid smrti
Der Andrang auf die Wand des Todes ist mäßig. Ein kurzer Aufstieg über wackelige und abgelaufene Holztreppen und man ist oben angekommen. Die Sitzplätze führen um die hölzerne Manege herum. Gefühlt will man zum Baumarkt fahren, um jedes Brett zu ersetzen. Alles ist etwas klapprig aber keinem scheint es etwas auszumachen. Vier bis fünf Meter trennen die Zuschauer von den Artisten und vom Boden.
Die erste Reihe vor der Absperrung ist immer voll. Die Sitzplätze beachtet kaum jemand – zu weit weg von der eigentlichen Attraktion. Mutige Stuntman – meist ältere Jahrgänge – schwingen sich auf Motoräder und Go-Karts und bezwingen die Schwerkraft scheinbar mühelos. Zu Beginn der Vorstellung nimmt man einen Moment wahr, in dem alles für eine Millisekunde still zu sein scheint – dann hört man nur noch die Motoren der kleinen Fahrzeuge brüllen. Die Bretter donnern gegeneinander. Der Holzzylinder droht – allein von der entstandenen Akustik her – zu bersten. Trotzdem fahren die Männer weiter. Jetzt sind es plötzlich zwei Fahrzeuge, die haarscharf aneinander vorbeipreschen. Einige Besucher klammern sich am morschen Holz fest. Die Vorstellung wirkt beeindruckend und beängstigend zugleich. Das Adrenalin schießt in die Höhe – wohl bei allen Beteiligten. Die Kinder sind geteilter Meinung. Einige weinen und halten sich an ihren Eltern fest, andere können nicht genug bekommen und kreischen „Brum Brum“ in die Manege.
Sieht man die Männer ohne Helm, stellt sich ein bedrückendes Gefühl ein. Die meisten von ihnen sind etwas älter als man erwarten würde und trotzdem riskieren sie täglich und mehrfach ihr Leben.
Am Ende der Vorstellung gibt es großen Applaus, der von den Klängen der anderen Attraktionen abgelöst wird. Sobald die eine Gruppe den Zuschauerraum verlassen hat, werden auch schon neue Karten verkauft. Die Vorstellungen gehen hier Schlag auf Schlag. Dieses mal schauen etwas mehr Leute zu.
Essen und Jelen Pivo
Ein kulinarischer Abstecher lässt sich auf dem vašar nicht vermeiden. Besonders nicht wenn man sich Richtung Ausgang begibt. Hier findet man die Essensmeile, die es eigentlich nicht wirklich verdient so genannt zu werden. Denn auf Vielfalt wird hier gewollt verzichtet. Es reihen sich Spanferkel an Spanferkel und Ćevapčići werden nur von Lepinje (Fladenbrot) begleitet. Ein wenig Ajvar darf es sein. Natürlich pikant! Und auch wenn es schon die 20. Portion diese Woche ist – man kauft sich eine. Einfach nur wegen des Feelings.
Hat man alles mit einem Jelen Pivo runtergespült, findet der Abend für manche schon ein Ende. Andere drehen dann erst richtig auf. Für Spaß ist gesorgt. Man muss nur die richtige Motivation mitbringen und manchmal ein TÜV-Auge zudrücken. Oder gleich zwei.
Folge uns auf Social Media!