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INTERVIEW

Meri Disoski: „Frauen sind nicht so gleichgestellt, wie wir geglaubt haben“

(FOTO: Karo Pernegger)

Meri Disoski ist Nationalratsabgeordneten, Vorsitzenden der GRÜNEN Frauen und Stellvertretenden Klubobfrau. KOSMO sprach mit der mazedonisch-stämmigen Politikerin über ihre politische Laufbahn, sowie ihre frauenpolitischen Schwerpunkte.

KOSMO: Sie sind als Tochter eines Gastarbeiterpaares in Österreich aufgewachsen. Inwiefern hat das Ihre politische Laufbahn geprägt?
Meri Disoski: Meine familiäre Herkunft hat meine Kindheit, besonders meine Schulzeit sehr stark geprägt. Ich war ein „Ausländerkind“. Als ich in der 4. Klasse Volksschule als Klassenbeste zur Schuldirektorin gesagt habe, dass ich ins Gymnasium gehen werde, hat die Direktorin meine Eltern in die Schule bestellt. Sie hat ihnen gesagt: „Ihre Tochter ist ein Gastarbeiterkind. Solche Kinder gehen in die Hauptschule, danach ins Polytechnikum und bei der Lehre ist Schluss.“ Diese frühe Diskriminierungs-Erfahrung hat mich sehr geprägt. Es ist also kein Zufall, dass ich mich seit mittlerweile 20 Jahren politisch, beruflich und ehrenamtlich für Anti-Diskriminierung, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit einsetze.

Ihre politische Arbeit haben Sie vor allem der Gleichstellung von Frauen verschrieben und Ihr Ziel ist die „Gleichstellung der Frau in allen Bereichen“. Welche konkreten Maßnahmen braucht es Ihrer Meinung nach, um das umzusetzen?
Auch wenn es eigentlich absurd ist, in einem mitteleuropäischen Land im Jahr 2021 die Gleichstellung von Frauen noch immer als politisches Ziel formulieren zu müssen, ist es leider absolut notwendig. Die Corona-Krise zeigt uns, dass wir Frauen gar nicht so gleichgestellt sind, wie wir vielleicht geglaubt haben. Frauen stehen z.B. bei der Virus-Bekämpfung an vorderster Front, ob in den medizinischen Berufen, im Handel, in der Produktion, in der Pflege oder in der Reinigung. Im Durchschnitt erhalten sie für diese Arbeit aber um 20% weniger Gehalt, als ihre männlichen Kollegen. Gleichzeitig arbeiten Frauen täglich mehrere Stunden in der Kindererziehung, bei der Pflege von Angehörigen, im Haushalt – ohne dafür bezahlt zu werden. Wenn Frauen bei gleicher Tätigkeit weniger verdienen, als ein Kollege und gleichzeitig aber mehr Stunden unbezahlt arbeiten, dann führt sie das nicht selten direkt in die Altersarmut. Was wir also dringend brauchen: Faire Bezahlung, eine Aufwertung von Berufen mit hohem Frauenanteil und eine fairere Verteilung von unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern.
Ich bin übrigens auch eine Befürworterin von Frauenquoten. Wie kann es sein, dass 45 von 58 österreichischen börsenorientierten Unternehmen keine Frau in der Chefetage sitzen haben und es in Österreich mehr Bürgermeister gibt, die Josef heißen, als Bürgermeisterinnen? Sie sehen: In Sachen Gleichstellung haben wir noch sehr viel zu tun!

Der Gender-Pay-Gap zwischen Frauen und Männern ist mit 19,3 Prozent in Österreich immer noch sehr hoch. Welche Maßnahmen braucht es hier um die Einkommensschere zu minimieren oder gar eine gänzliche Gleichberechtigung in der Entlohnung zu erreichen?
Um den Gender Pay Gap zu schließen, gibt es mehrere Hebel. Ein ganz wichtiger ist die verpflichtende Einkommenstransparenz: Unternehmen sollen ihren MitarbeiterInnen offenlegen müssen, in welcher Position wie viel verdient wird. Solche Einkommensberichte sind in vielen Staaten bereits üblich, in Österreich blockiert das der ÖVP-Wirtschaftsflügel seit Jahrzehnten. Wir führen dazu in der Koalition aktuell Gespräche und ich hoffe, dass unter dem jüngstem Kanzler der Geschichte diese rückwärtsgewanderte Betoniererpolitik  endlich aufhört.

„Die Corona-Krise zeigt uns, dass wir Frauen gar nicht so gleichgestellt sind, wie wir vielleicht geglaubt haben“

Seit September 2020 sind Sie Vorsitzende der Grünen Frauen. Welche Schwerpunkte haben Sie sich in dieser Position gesetzt und wie haben Sie vor diese umzusetzen?
Die Schwerpunkte meiner Arbeit als Frauenvorsitzende der Grünen liegen einerseits in der Stärkung der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen. Konkret geht es mir dabei etwa um die Bekämpfung von Lohnungerechtigkeit. Denn es ist einfach nur unfair und ungerecht, dass Frauen um 20% weniger verdienen als Männer. In Dänemark wurde schon 2007 ein Gesetz eingeführt, mit dem Unternehmen zur Offenlegung von Gehältern verpflichtet worden sind. Schon nach einem Jahr ist der Gender-Pay-Gap in den dänischen Unternehmen um mehr als 7% reduziert worden. So etwas will ich auch in Österreich erreichen. Wichtig ist mir auch, dass wir Kinderbetreuungsplätze österreichweit ausbauen. Ein flächendeckendes Angebot, auch im ländlichen Raum, ist Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier haben wir noch im Vorjahr erste wichtige Schritte gesetzt.

Mein zweiter Schwerpunkt ist die Stärkung der reproduktiven Rechte von Frauen. Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper wird Frauen immer wieder abgesprochen, rechtskonservative PolitikerInnen und die Kirche gehen dabei oftmals eine unheilige Allianz ein. Aktuell passiert das zum Beispiel gerade in Polen, wo Abtreibungen vor Kurzem verboten wurden. Ungewollt Schwangere werden so in die Illegalität gezwungen, aus einer ungewollten Schwangerschaft kann so schnell eine lebensbedrohliche Situation werden. Auch in Österreich gibt es eine Anti-Abtreibungslobby, zu der auch der religiöse Flügel der ÖVP zählt. Wir Grünen halten hier klar dagegen und werden beim hart erkämpften Selbstbestimmungsrecht von Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch keinen Millimeter weichen. Mein Körper, meine Entscheidung. Und Punkt.

Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer frauenpolitischen Arbeit ist die Stärkung des Gewaltschutzes. In Österreich wurde bereits jede fünfte Frau Opfer von Gewalt und gerade in Zeiten der Pandemie ist die häusliche Gewalt stark angestiegen. Was wurde hier bereits getan, um Frauen besser zu schützen und was muss darüber hinaus noch getan werden?
Die Versäumnisse vergangener Regierungen wiegen hier sehr schwer. In den letzten zehn Jahren hatte der Gewaltschutz unter SPÖ-ÖVP bzw. ÖVP-FPÖ-Regierungen keinerlei Priorität. Wir haben das geändert und die Mittel signifikant aufgestockt, im Frauenministerium innerhalb eines Jahres um ganze 43%. Wir haben im letzten Jahr die Gewaltschutzstrukturen in Österreich gestärkt, was dringend notwendig war. Konkret wurde zum Beispiel zu Beginn der Pandemie das Angebot der Frauenhelpline gegen Gewalt an Frauen massiv aufgestockt, die online-Beratung erweitert, Budgets der Frauen- und Mädchenberatungsstellen erhöht, die opferschutzorientierte Täterarbeit auf neue Beine gestellt. Justizministerin Alma Zadić hat den Opferschutz von Kindern und Jugendlichen gestärkt, ExpertInnen sehen endlich eine langjährige Forderung erfüllt und sprechen von einem „Meilenstein im Opferschutz“. Diese und viele weitere Maßnahmen haben wir im vergangenen Jahr gesetzt. Wir werden diesen Weg im Kampf gegen Gewalt an Frauen mit Entschlossenheit fortsetzen. Für mich als Frauensprecherin hat der Gewaltschutz weiterhin oberste Priorität. 

Gibt es bestimmte Gruppen, die besonders gefährdet sind? Welche Möglichkeiten hat man hier in Punkto Prävention, um diese besser anzusprechen?
Gewalt gegen Frauen kennt keine Einkommensunterschiede, soziale Zugehörigkeit, geografische Grenzen, Herkunft oder Religion. Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das auf patriarchale Machtverhältnisse zurückzuführen ist. Deshalb müssen wir mit Nachdruck dort ansetzen, wo wir die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen stärken. Denn ein Grund, weshalb Frauen in gewalttätigen Beziehungen bleiben oder in solche zurückkehren, ist die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Partner. Auch müssen wir über Männlichkeit reden: Wenn Gewalt als Stärke ausgelegt wird, als männlich gilt und Emotionen als Schwäche, als unmännlich, haben wir ein Problem. Das müssen wir ändern.

Viele Organisationen leisten seit Jahrzehnten großartige Arbeit: Die Männerberatungen etwa oder auch zahlreiche PädagogInnen in der Jungen- und Bubenarbeit. Es gibt auch Pilotprojekte zum Thema Zivilcourage: Was tun, wenn ich häusliche Gewalt beobachte oder vermute? All diese Initiativen und Organisationen bemühen sich um eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt leben. Sie gilt es zu stärken und zu unterstützen. 

„Wenn Gewalt als Stärke ausgelegt wird, als männlich gilt und Emotionen als Schwäche, als unmännlich, haben wir ein Problem. Das müssen wir ändern“

Seit 2014 sind Sie Mitglied der Grünen. Seit 2020 haben Sie eine Position in der Klubleitung des Grünen Parlamentsklubs inne. Welche politischen (oder anderen) Ambitionen stehen noch auf ihrer Agenda?
Ich bin eine leidenschaftliche Parlamentarierin, die mit langem Atem für die Umsetzung ihrer politischen Ziele kämpft. Ich möchte Veränderungen bewirken, ich möchte Verbesserungen bewirken – das zählt! Was auf meiner Visitenkarte steht, ist für mich nebensächlich. Abseits der Politik ist es mein großer Lebenstraum, einmal einen Roman zu veröffentlichen.

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