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Sie retteten bosnische Juden

FOTO: Die bosnisch-französischen Gelehrten Mauricette & Midhat Begić mit der Adoptivtochter Zlata. Zlata Begić-Papo wurde in eine bosnisch-jüdische Familie geboren: Ihr Vater war ein Holocaust-Opfer, ihre Mutter starb.

Ende Jänner wurde der Holocaust-Gedenktag begangen. Eine Gelegenheit, über Schicksale von Menschen nachzudenken, die bosnische Jüdinnen und Juden im Zweiten Weltkrieg retteten.

Die bosnisch-herzegowinische Hauptstadt Sarajevo wird oft als das Jerusalem Europas gepriesen. Seit dem 16. Jahrhundert sind in dieser Stadt vier große monotheistische Religionen beheimatet: der Islam, das orthodoxe und römisch-katholische Christentum sowie das Judentum. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten rund 10.000 Juden in Sarajevo, somit war fast jeder fünfte Einwohner der Stadt an der Miljacka jüdisch. Zum ersten Mal siedelten sich sephardische Juden in Sarajevo Mitte des 16. Jahrhunderts – aus dem katholischen Spanien vertrieben fanden sie Zuflucht in muslimischen Ländern des Maghreb und im Osmanischen Reich. Mit der österreichisch-ungarischen Okkupation 1878 kamen auch aschkenasische Juden aus Mitteleuropa in die bosnische Hauptstadt. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Sarajevo ein reiches jüdisches Leben, eine Reihe an Synagogen sowie eine sephardische und eine aschkenasische jüdische Gemeinde. Auf den Straßen konnte man Ladino, die Sprache der sephardischen Juden, hören.

Dann kam April 1941. Bosnien-Herzegowina und seine Hauptstadt wurden von den deutschen Wehrmachtstruppen und dem Ustascha-Staat okkupiert. Für die dortigen Juden bedeutete das den Anfang des Holocaust. Bereits im April wurde die größte Synagoge Sarajevos, der „Templ“ (das Gebäude des heutigen Bosnischen Kulturzentrums) angegriffen und geplündert. Im selben Jahr begannen die Deportationen von Juden – vorwiegend in die Konzentrationslager von Jasenovac und Auschwitz-Birkenau. Von mehr als 13.000 bosnisch-herzegowinischen Juden im Jahre 1941 haben nur rund 1.300 den Holocaust überlebt.

Frau mit zwei Mädchennamen
In der schrecklichen Zeit des Holocaust fanden sich aber Nachbarn, Freunde und Mitbürgerinnen und Mitbürger, die vielen Juden aus Sarajevo das Leben retteten. Als Juda Leon Papo Anfang 1942 ins KZ Jasenovac deportiert wurde, blieb seine Frau Georgina Papo mit einer Tochter alleine. Eine innige Freundschaft verband die Familie Papo mit dem Ehepaar Mauricette und Midhat Begić. Der in einer bosniakisch-muslimischen Familie nahe Doboj geborene Midhat Begić schloss 1934 das Studium der französischen und südslawischen Literaturwissenschaft an der Universität in Belgrad ab, daraufhin ging er zum Aufbaustudium nach Paris und lernte dort seine künftige Frau Mauricette Sullerot kennen. Das junge Ehepaar zog 1939 nach Sarajevo.

Als Georgina Papo erkrankte, versprachen ihr Mauricette und Midhat Begić, sich künftig um ihre Tochter Zlata zu kümmern. Kurz darauf starb Frau Papo, die Begićs nahmen Zlata zu sich und zogen sie als ihre eigene Tochter auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg adoptierte das Ehepaar das jüdische Waisenmädchen. Als Zlata 15 Jahre alt wurde, erfuhr sie von den adoptierten Eltern über ihre jüdische Herkunft. Daraufhin entschied die junge Frau, zwei Mädchennamen zu tragen: Zlata Begić-Papo. Mauricette und Midhat Begić, zur jugoslawischen Zeit ein intellektuell hochgeschätztes Ehepaar – sie Französisch-Übersetzerin, er Universitätsprofessor für Literaturwissenschaften –, wurden im Jahre 1991 vom Staat Israel und dem Yad-Vashem-Museum in Jerusalem zu den Gerechten unter den Völkern ernannt. Dieser Ehrentitel wird nichtjüdischen Einzelpersonen vergeben, die unter Naziherrschaft während des Zweiten Wektkriegs ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten.

Die Kraft des Zusammenlebens
Zu den Gerechten unter den Völkern gehören seit 1984 zwei muslimische Ehepaare aus Sarajevo: Zejneba und Mustafa Hardaga sowie Mustafas Bruder Izet und dessen Frau Bahrija. Als die deutsche Luftwaffe im April 1941 Sarajevo bombardierte, wurde das Haus der jüdischen Familie Kabiljo zerstört. Kurz danach traf Jozef Kabiljo seinen Freund Mustafa Hardaga, der ihm bot, ins Haus der Familie Hardaga einzuziehen. Die Hardagas waren streng praktizierende Muslime: Trotzdem wurde die jüdische Familie mit offenen Armen aufgenommen. „Ihr seid jetzt Teil der Familie“, sagten die Haradagas zu den Kabiljos. Nach ein paar Monaten gelang es der jüdischen Familie, in die italienische Okkupationszone nach Mostar zu flüchten.

Zejneba Hardaga Susic und Rivka Kavilio mit ihren Töchtern in Sarajevo (Yugoslavia-1941)

Nur Jozef Kabiljo blieb in Sarajevo, um sein Geschäft aufzulösen. Bald darauf wurde er von den Ustascha verhaftet. Doch Kabiljo konnte fliehen: Erneut waren es die Hardagas, die ihn bei sich im Haus versteckten. Trotz eines hohen Risikos – das Gestapo-Hauptquartier von Sarajevo befand sich in der Nähe des Hardaga-Hauses – gelang es der muslimischen Familie, ihren jüdischen Freund so lange zu verstecken, bis er nach Mostar fliehen konnte, um sich seiner Familie anzuschließen.

Doch da endet die Hardaga-Kabiljo-Story nicht. Als 1992 die serbischen Truppen Sarajevo belagerten, hörten die Kabiljos – die mittlerweile nach Israel auswanderten – von den Grausamkeiten der Belagerung. 1994 konnten sie mit Hilfe des Yad-Vashem-Museums und des Staates Israel Zejneba Hardaga, ihre Tochter und deren Ehemann aus dem belagerten Sarajevo nach Israel evakuieren. Ein halbes Jahrhundert spćter kam für die Kabiljos die Gelegenheit, sich bei ihren Rettern aus dem Zweiten Weltkrieg zu revanchieren. Die Hardaga-Kabiljo-Geschichte ist ein geschichtsträchtiges Beispiel des jüdisch-muslimischen Zusammenlebens, das sogar dem Nazi- und Ustascha-Terror trotzte. Die ewige Freundschaft und der gegenseitige Respekt zwischen diesen zwei jüdisch-muslimischen Familien aus Sarajevo wurde für alle Zeiten in einem Foto aus der Okkupationszeit verewigt, das mittlerweile berühmt wurde: Rivka Kabiljos Schulter mit dem Judenstern wird von Zejneba Hardaga bei einem Spaziergang durch Sarajevo verdeckt.

Der Retter des Buches
Eine ebenso berührende Geschichte, die bereits in Büchern verarbeitet wurde, handelt von einem bosnischen Bibliothekar und Orientalisten. Derviš Korkut war während des Zweiten Weltkriegs Kustos am Landesmuseum von Bosnien-Herzegowina. Das Landesmuseum beherbergte ein besonders wertvolles jüdisches Gebetbuch: die Sarajevo-Haggada. Das reich illuminierte Haggada-Manuskript wurde im 14. Jahrhundert in Spanien erstellt und kam über Umwege nach Sarajevo. Im Zuge der Nazi-Plünderung von jüdischem Hab und Gut wollte ein deutscher Offizier die Haggada beschlagnahmen. Doch Korkut belog ihn während eines Gesprächs und rettete so das wertvolle Manuskript, das während des Krieges außerhalb von Sarajevo versteckt wurde.

„Neben der Haggada rettete Korkut während des zweiten Weltkriegs auch eine Reihe anderer jüdischer Manuskripte“, sagt uns Hikmet Karčić, bosnisch-herzegowinischer Genozidforscher am Institut für die islamische Tradition der Bosniaken in Sarajevo. Karčić hat vor Kurzem eine Monografie über Korkut verfasst. „Derviš Korkut blieb der Tradition des bosnischen Miteinanders treu, die noch aus der osmanischen Zeit stammt. Er und auch andere bosniakisch-muslimische Intellektuelle, die gegen den Ustascha-Terror Widerstand leisteten, machten das aus eigener Überzeugung. Sie setzten sich für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger ein, mit denen sie jahrzentelang zusammenlebten“, so Karčić.

FOTO: zVg.

Neben der wertvollen Haggada retteten Derviš Korkut und seine Frau Serveta das Leben eines jüdischen Mädchens aus Sarajevo, das sie bei sich im Haus versteckten. „Korkut glaubte in die Ideen, die er auch lebte. Er schrieb noch 1940 einen Aufsatz, in dem er den Antisemitismus als etwas den bosnischen Muslimen Fremdes beschrieb. Doch seine Lebensgeschichte und die Geschichte der Haggada-Rettung wurden jahrzehntelang verschwiegen und vernachlässigt. Erst ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1994, wurden Derviš und Serveta Korkut zu den Gerechten unter den Völkern erklärt. Auch heutzutage werden diese Menschen in Bosnien-Herzegowina nicht ihren Verdiensten entsprechend geehrt“, stellt Karčić fest.

Die Geschichte der Sarajevo-Haggada hat unter anderem die US-amerikanische Schriftstellerin Geraldine Brooks in ihrem 2008 veröffentlichten Roman „People of the Book“ verarbeitet. Zu den Gerechten unter den Völkern aus Bosnien-Herzegowina gehören sowohl Muslime als auch Christen.

Autor: Nedad Memić