Start Aktuelles
INTERVIEW

Žbanić: „Quo Vadis, Aida? wurde nicht gemacht, um Menschen zu spalten“

(FOTO: Edvin Kalic, Pressefoto)

Nach „No Man’s Land“ in der Regie von Danis Tanović, welcher 2001 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, befindet sich ein weiterer bosnisch-herzegowinischer Film im Rennen um den angesehensten Filmpreis. Und auch dieses Mal ist Krieg das zentrale Thema. „Quo Vadis, Aida?“ ist der fünfte Spielfilm der Regisseurin Jasmila Žbanić.

Der Film „Quo Vadis, Aida?“ handelt vom Genozid in Srebrenica und ist der erste Spielfilm, der sich diesem Thema widmet. Die Handlung spielt im Juli 1995, als der Hauptcharakter Aida, eine Übersetzerin für die Vereinten Nationen, versucht ihre Familie vorm Militär der Republika Srpska zu retten. Jasna Đuričić, Izudin Bajrović, Boris Ler, Dino Bajrović, Emir Hadžihafizbegović und Boris Isaković verkörpern die Hauptrollen.

Wir sprachen mit der erfolgreichsten bosnisch-herzegowinischen Regisseurin Jasmila Žbanić über die bevorstehende Oscarverleihung, ihre Erwartungen, die Premiere in Srebrenica, sowie darüber, wer ihre größte Inspiration und Unterstützer bei der Realisierung ihres neuesten Films waren.

„Geschichten von Menschen haben mich immer interessiert. Sie tragen in Drama in sich, welches universell ist. Aidas Geschichte ist die Geschichte einer Frau, die versucht ihre Familie zu retten. Wie sehr sie sich auch bemüht, machen ihr dies die gegebenen Umstände unmöglich. Ich denke, dass alle Geschichten über Srebrenica schwer, traurig und stark, aber gleichzeitig auch noch nicht erzählt sind. Ich wollte den Zusehern zumindest einen kleinen der Teil der Tragödie näherbringen. Dass sie mindestens einen kleinen Teil erleben“, erklärte die Regisseurin Žbanić.

Premiere in Srebrenica
„Quo Vaids, Aida?“ wurde im September vergangenen Jahres zum ersten Mal bei den 77. Internationale Filmfestspiele von Venedig präsentiert. Seither gewann der viel zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter in Luxemburg, Valencia, Rotterdam, Göteborg, Jerusalem, London, Ägypten, usw. Zudem ist der Spielfilm für zwei Mal für einen British Academy Film Award nominiert: in den Kategorien „beste Regie“ und „bester ausländischer Film“.

„Für uns ist dieser Film mehr als ein Film – er erinnert daran, dass der Völkermord und dieser in Srebrenica sowie alle anderen, die in der Vergangenheit in der Region stattgefunden haben, nicht geleugnet und vergessen werden dürfen“

Jasmila Žbanić

„Es war mir wichtig, dass die Zuseher während dieser zwei Stunden den gesamten Wahnsinn spüren, der damals herrschte. Dass die UN die Chance hatte zu helfen, dies jedoch nicht tat. Wie viele Menschen versucht haben, etwas zu unternehmen und es trotzdem nicht geschafft haben, sich zu retten. Dass wir uns mit den Betroffenen identifizieren und man die Gefühle und Tragödie spüren, die zum Genozid geführt hat. Es war mich für zukünftige Generationen wichtig, dass sie wissen, was damals passiert ist. Ich zeige nur ein kleines Segment. Srebrenica ist eine komplexe und höchst umfangreiche Geschichte. Ich wünsche mir, dass zukünftige Generationen wissen, wie grausam und tragisch alles war. Ich habe das Gefühl, dass sich Dinge in unserer Region wiederholen und Narrative wiederaufleben, weil wir über vieles nicht sprechen. Aber wir müssen weitergehen. Um nach Vorne zu gehen, müssen wir verstehen, was wirklich passiert ist“, hob Žbanić hervor.

„Quo Vadis, Aida?“ feierte seine Premiere im Srebrenica Memorial Center. Der Film wurde, wie die Regisseurin betont, mit dem Wunsch gedreht, dass die schmerzhaften Themen unserer Vergangenheit Anlass für mehr Empathie, Solidarität und Verständnis sind. Es wurden zwei Vorführungen organisiert, eine für junge Leute aus Srebrenica, Bosnien und Herzegowina und der gesamten Region, die andere für Filmfreunde, Opferverbände und Gäste.

Aufgrund der Corona-Pandemie konnten leider nur hundert Personen eingeladen werde. Mehrere Vereine und Institutionen halfen dabei, einen Transport für junge Leute aus anderen Teilen des Landes bzw. anderen Ländern zur Premiere zu organisieren. Nach der Filmpräsentation wurde auch ein Gespräch mit den jungen Zusehern geführt. Sie konnten nicht einfach aufstehen und gehen, sondern hatten viele Fragen und Kommentare.

„Es war wunderschön zu sehen, wie viele junge Menschen der Geschichte folgten, sich identifizierten, mit den Charakteren zu weinten. Das Gespräch nach dem Film war interessant und aufschlussreich für alle Beteiligten?“, sagt Jasmila.

Der Film erregte große Aufmerksamkeit und sendete unabhängig vom Ende eine wirklich starke Botschaft. Wie wichtig ist das für Sie als Regisseurin? Haben Sie sich sehr verpflichtet gefühlt, eine Geschichte wie diese zum ersten Mal auf spielerische Weise zu erzählen und zu zeigen?

„Die Verantwortung war unbeschreiblich groß. Es gab große Probleme, den Film zu filmen bzw. zu produzieren – sowohl finanzieller, kreativer und politischer Natur. Es war in jeglicher Hinsicht anspruchsvoll. Zum Glück hatten wir ein fantastisches Team, das den Film von Grund auf verstanden hat. Für uns alle ist es viel mehr als nur ein Film“, betonte die Regisseurin.

Lobeshymnen in internationalen Medien
Žbanićs erster Spielfilm „Grbavica“ wurde beim Berliner Filmfestival mit dem „goldenen Bären“ ausgezeichnet. Neben einer Reihe von Auszeichnungen, die Jasmila Žbanić gewonnen hat, wurde der Film von „Quo Vadis, Aida?“ in den letzten Monaten von zahlreichen Medien aus aller Welt mit fast ausschließlich positiven Kritiken bewertet.

Playlist 
„‘Quo Vadis, Aida?“ ist ein meisterhafter Hochseilakt der Spannung und des verheerenden Humanismus.“


The New York Times 
„Die rigorose Ehrlichkeit von „Quo Vadis, Aida?“ ist erschütternd, auch weil es viele der Erwartungen untergräbt, die sich leise an Filme über historische Traumata binden. Wir beobachten sie oft, um nicht mit der Grausamkeit der Geschichte konfrontiert zu werden, sondern um mit erlösenden Geschichten über Widerstand, Belastbarkeit und Heldentum getröstet zu werden.“


Variety
„Dies ist kein historischer Revisionismus, wenn überhaupt‚ dann arbeitet ‚Quo Vadis, Aida?‘ daran, die Geschichte zu revidieren und die Notlage der Opfer als das Auge eines Sturms des Bösen neu zu zentrieren – nicht nur das Massaker selbst, sondern auch die umfassenderen Übel des institutionellen Versagens und der internationalen Gleichgültigkeit.“


The Guardian 
„In diesem fast unerträglich brutalen und schockierenden Film der Autorin und Regisseurin Jasmila Žbanić steckt eine echte tragische Kraft.“


Hollywood Reporter
„Ein furchtbar erschütternder historischer Film, den man nicht vergessen kann.“

„Ich bin den Menschen aus Srebrenica dankbar“
Es war zu erwarten, dass der Film für einen Oscar in der Kategorie „Bester Auslandsfilm“ nominiert wird. Die Verleihung des „Goldjungen“ am 26. April wird in Bosnien-Herzegowina mit großer Spannung erwartet. Die Nachricht über die Nominierung erreichte Žbanić in Sarajevo, im Verein „Mütter Srebrenicas“.

„Es ist mir sehr wichtig, dass die Frauen und Mütter von Srebrenica in alles involviert sind, dass der Film weiter geht und die Geschichte von Srebrenica erzählt wird. Alles andere liegt außerhalb unseres Einflussbereichs“, so die Regisseurin.

Neben dem bosnisch-herzegowinischen Beitrag befinden sich auch Filme Another Round (Dänemark), Better Days (Hongkong), Collective (Rumänien) und The Man Who Sold His Skin (Tunesien) um Rennen um den Oscar für den besten ausländische Film.

„Als ich anfing, Filme zu machen, wollte ich einen Film machen, der so eine Reaktion in der Welt erzeugt. Aber so etwas hätte ich mir nie erträumt. Das Einzige, was wir beschlossen haben, war, sowohl den Film als auch die Kampagne ernst zu nehmen, um alles zu tun, damit die Leute den Film sehen möchten. Obwohl wir uns zu dem Zeitpunkt, als wir in die engere Wahl kamen, in erschwerten Umständen befanden, kamen wir in die engere Auswahl. Wir hatten keinen amerikanischen Filmverleih, weshalb wir Probleme hatten, den Film überhaupt den Abstimmenden zu zeigen. Wir haben jedoch alles sehr ernst genommen und unser Bestes geben. Viele Freunde haben uns geholfen. Außerdem zeigte sich, dass vielen Menschen etwas daran lag, dass der Film gezeigt wird. Dies ist wirklich ein Höhepunkt dieser ganzen Reise und dieses Prozesses“, resümierte die Regisseurin.

Sich unter fünf Filmen zu befinden, die für einen Oscar nominiert sind, ist ein großer Erfolg. Was erwarten Sie sich?
„Ich bin bereits jetzt mehr als zu frieden. Ich denke nicht viel darüber nach. Die Filme, die mit uns im Wettbewerb stehen, sind wirklich großartig. Ich weiß wirklich nicht, wer gewinnen wird. Was ich weiß ist, dass es eine große Ehre ist, in dieser Gruppe von Filmen und Regisseuren zu sein, für mich ist es eine große Anerkennung.

Das gesamte Filmteam dankt den Mitgliedern der Akademy, die für „Quo vadis Aida?“ gestimmt haben, den Müttern, Frauen und anderen Überlebenden von Srebrenica, die unsere Unterstützung, Ermutigung und Inspiration waren, und den vielen Freunden, die uns ihre Unterstützung gaben. Für uns ist dieser Film mehr als ein Film – er erinnert daran, dass der Völkermord und dieser in Srebrenica sowie alle anderen, die in der Vergangenheit in der Region stattgefunden haben, nicht geleugnet und vergessen werden dürfen. Dieser Film wurde nicht gemacht, um Menschen zu spalten und zu konfrontieren, sondern um sich besser zu verstehen „, betont Žbanić.

In den österreichischen Kinos startet der Film am 9. Juli 2021.

AUTORIN: Mediha Adrović