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Machthaber

45 Jahre ohne Tito: Ein Name, der die Geschichte des Balkans prägte

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(FOTO: zVg., X/@Broz1892)

Vom Partisanenführer zum Staatschef eines Vielvölkerstaates – Josip Broz Tito prägte den Balkan wie kein anderer. Sein Erbe bleibt bis heute umstritten.

Josip Broz Tito, der langjährige Präsident Jugoslawiens und Vorsitzende des Bundes der Kommunisten (führende Partei im sozialistischen Jugoslawien), verstarb am 4. Mai 1980 im Alter von 88 Jahren. Als Oberbefehlshaber der Jugoslawischen Volksarmee und Mitbegründer der Bewegung der Blockfreien Staaten (Bündnis neutraler Länder im Kalten Krieg) prägte er die Geschichte des Balkans nachhaltig.

Geboren im Mai 1892 in Kumrovec nahe der slowenischen Grenze, wurde sein Geburtstag am 25. Mai später als „Tag der Jugend“ mit einem landesweiten Staffellauf zelebriert, der traditionell im Belgrader JNA-Stadion (Stadion der Jugoslawischen Volksarmee) seinen Höhepunkt fand.

Von der Befreiung 1945 bis zu seinem Tod führte Tito Jugoslawien durch eine Phase tiefgreifender Transformation. Unter seiner Führung löste sich das Land vom sowjetischen Einflussbereich und entwickelte sich durch umfassende Reformen zu einem Staat mit modernem Bildungs- und Sozialsystem. Trotz seiner unbestrittenen Popularität hatte seine Politik auch Schattenseiten: Die weitreichende Verstaatlichung von Privateigentum und das Fehlen demokratischer Strukturen führten zu rigider staatlicher Kontrolle.

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Kritiker des Systems bezahlten ihren Widerstand nicht selten mit Freiheit oder Leben.

Internationale Bedeutung

Die von Tito maßgeblich mitgestaltete Bewegung der Blockfreien Staaten festigte seine internationale Stellung und intensivierte Jugoslawiens Beziehungen zu afrikanischen und asiatischen Ländern. Als Staatsmann eines vergleichsweise kleinen Landes mit nur 20 Millionen Einwohnern stieg er zu einer bedeutenden Figur der Weltpolitik auf. Das in den 1970er Jahren eingeführte wirtschaftliche Selbstverwaltungssystem erwies sich jedoch als Fehlschlag.

Die jugoslawische Wirtschaft konnte international nicht bestehen, und die rapide steigende Staatsverschuldung in Titos letzten Lebensjahren verschärfte soziale und ethnische Spannungen – Entwicklungen, die letztlich 1990 zum Zerfall des Vielvölkerstaates führten.

Titos Vermächtnis

Nach Komplikationen infolge einer Beinamputation starb Tito im Klinischen Zentrum Ljubljana. Sein Leichnam wurde im legendären „Blauen Zug“ (Titos persönlicher Staatszug) nach Belgrad überführt, begleitet von Hunderttausenden trauernden Menschen entlang der Strecke. Die Beisetzung geriet zu einem Ereignis von weltpolitischer Dimension: Über 200 hochrangige Persönlichkeiten aus 107 Ländern erwiesen ihm die letzte Ehre, darunter Indira Gandhi, Margaret Thatcher und Leonid Breschnew.

Fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod bleibt Tito eine umstrittene historische Figur. Seine Grabstätte und das benachbarte Museum Jugoslawiens ziehen jährlich tausende Besucher an.

Gespaltene Erinnerung in den Nachfolgestaaten

Die Bewertung von Titos Erbe unterscheidet sich heute stark in den einzelnen Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Während in Kroatien und Slowenien überwiegend eine kritische Perspektive dominiert, die seine Verantwortung für kommunistische Repressionen betont, herrscht in Serbien und besonders in Nordmazedonien oft eine nostalgischere Sicht vor.

Eine 2023 durchgeführte Umfrage belegt diese Spaltung: Etwa 65 Prozent der Befragten in Serbien und Montenegro bewerten Tito nach wie vor positiv, in Kroatien liegt dieser Wert hingegen bei unter 30 Prozent.

Besonders seine Grabstätte im „Haus der Blumen“ in Belgrad hat sich zu einem beliebten touristischen Ziel entwickelt. Rund 100.000 Besucher jährlich – darunter viele junge Menschen, die die Zeit Jugoslawiens nicht selbst erlebt haben – zeugen von einer anhaltenden „Yugo-Nostalgie“, die in Teilen der Gesellschaft weiterlebt.