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BALKAN STORIES

BALKAN STORIES: „Das ist mein bosanski inat“

Wo die Ehrung des Freiheitskampfs zur Pose verkommt

Kaufen oder einschüchtern lassen hat sich das Nachfahre jugoslawischer Partisanen nie.

Marija Bursać, eine Verwandte, war die erste Volksheldin Jugoslawiens. Sie starb 1943 im Kampf gegen die faschistischen Besatzer.

Bis heute ist eine Straße im Stadtzentrum von Banja Luka nach ihr benannt.

Seit dem Krieg in Bosnien ist die Ehrung der antifaschistischen Kämpferinnen und Kämpfer vielerorts zur Pose verkommen. Die offizielle Politik der RS instrumentalisiert den Volksbefreiungskampf der Jugoslawen im Zweiten Weltkrieg gar als eine Art Gründungsmythos, der vom eigenen Völkermord ablenken soll.

So steht das Parlament der RS an einem Platz, der den Opfern des kroatischen Konzentrationslagers Jasenovac gewidmet ist.

Es war der zentrale Schauplatz des wohl grausamsten Völkermords im Zweiten Weltkrieg an Serben, Juden und Roma.

Ausgerechnet ein Parlament an diesem Platz schleudert unfehlbar seine Bannstrahlen gegen alle, die Srebrenica Völkermord nennen und trägt eine Politik mit, die den Völkermörder Ratko Mladić de facto, wenn auch nicht offiziell, mit dem gleichen Titel ausstattet wie Marija Bursać: Narodni heroj, Held bzw. Heldin des Volkes.

FOTO: Balkan Stories

Der Teilstaat der Mitläufer

Die Meisten in Banja Luka nehmen das einfach so hin. Auch die Akademiker, Journalisten, NGO-Mitarbeiterinnen.

„Öffentlich treten vielleicht fünf Menschen dagegen auf“, schildert Dragan die Stimmung, die seit Jahren schlimmer wird.

Befeuert wird sie von Milorad Dodik.

Dodik war lange der führende Politiker der RS, zuletzt zwei Amtsperioden lang als ihr Präsident. Als er nicht mehr antreten durfte, ließ er sich mit einer nationalistischen Kampagne zum serbischen Vertreter des bosnischen Staatspräsidiums wählen, in dem die drei Hauptnationalitäten Bosniens vertreten sind.

Auch als bosnischer Teilpräsident stellt er das Existenzrecht Bosniens infrage und blockiert den bosnischen Staat nach Kräften, sobald jemand Srebrenica und Völkermord in einem Satz sagt.

Bei Dodiks Partei SNSD läuft die politische und wirtschaftliche Macht der RS zusammen.

Die RS ist das Armenhaus Bosniens. Die miserable wirtschaftliche Lage erhöht die Macht des öffentlichen Sektors.

Dodik und die SNSD wachen darüber, dass die raren Arbeitsplätze nur an verlässliche Leute gehen – oder zumindest an solche, die keinerlei Willen zeigen, sich der herrschenden extrem nationalistischen Ideologie zu widersetzen.

Die Medien der RS sind mit einer Handvoll Ausnahmen ebenfalls unter Dodiks Kontrolle.

Dass so viele Menschen vom System Dodik abhängig sind, befördert Mitläufertum, radikalisiert bereits Radikalisierte, und lässt den Rest schweigen.

Man streckt den Kopf nicht raus für Menschen, die gegen den Strich bürsten. Auch, wenn man ihnen vielleicht innerlich recht gibt.

„Die meisten kritischen Köpfe sind schon lange weg, in Deutschland, in Österreich oder auch in der Federacija, oder trauen sich nicht.“

Die Federacjia ist der bosnische Teilstaat mit bosnjakischer Bevölkerungsmehrheit und mehreren größeren bosnisch-kroatischen Städten.

Nicht, dass der frei wäre von Nationalismus und Korruption, wie auch Dragan sagt und regelmäßig mit seinen Artikeln dokumentiert: „Es ist dort alles andere als ideal, aber es ist ein anderer Planet als in der Republika Srpska.“

In den vergangenen Jahren sei es noch deutlich schlimmer geworden, sagt Dragan: „Noch nie haben so viele Menschen den Völkermord an den Bosnjaken geleugnet wie heute. Das ist natürlich auch eine Folge der Politik von Dodik, man muss das aber auch in Zusammenhang sehen mit dem Aufstieg der radikalen Rechten in Europa, in Italien, in Ungarn, in Polen“.

Und in Österreich.

Zuspruch bekommt Dragan hier allenfalls unter der Hand. Öffentlich nie.

„Den Leuten, die an der Supermarktkasse oder anderswo schuften, um irgendwie zu überleben, denen mach ich das nicht zum Vorwurf. Aber denen, die es besser wissen müssten und die in der Position sind, Kritik zu äußern. Die Professorinnen, die Akademiker, die Journalisten. Die alle spielen das Spiel mit und ermöglichen so das System Dodik.“

Warum ist er nicht schon lange weg? Wer würde es ihm nach 20 Jahren Protest gegen Nationalismus und Korruption, nach 20 Jahren Beschimpfungen, Bedrohungen, Vandalismus?

FOTO: Balkan Stories

„Das ist mein bosanski inat“

„Ich könnte gehen, wenn ich wollte“, sagt Dragan. „Meine Frau ist amerikanische Staatsbürgerin. Sollte ich es nicht mehr aushalten, können wir jederzeit in die USA. Aber diese Entscheidung überlasse ich nicht anderen. Diese Entscheidung treffe ich selber. Das ist mein bosanski inat.“

Sein bosnischer Stolz oder sein bosnischer Sturschädel, je nach Übersetzung.

Beruflich hatte er den von Anfang an.

Seitdem er 25 ist, ist er freier Journalist, um seine Unabhängigkeit zu bewahren.

„Damals kam ich gerade von der Hochschule und habe ich als Journalist für Lokalpolitik beim örtlichen öffentlichen Radio zu arbeiten begonnen. Da wollte man mir Sprachregelungen aufzwingen – das haben sie auch bei Kulturberichten gemacht. Ich habe gekündigt. Wenn die Propaganda mal so weit runter geht, weißt du, was los ist.“

Heute schreibt er unter anderem für Al Jazeera Balkans, für das Novi Sader Medium Autonomija und hat eine Kolumne bei Radio Sarajevo.

Finanziell ist es nicht immer einfach. Auch am Balkan ist die Zahl der Medien stark geschrumpft, ist die Abhängigkeit von und Kontrolle durch die öffentliche Hand stark gestiegen.

Daran, den Beruf zu wechseln, denkt Dragan nicht. Trotz aller Schikanen, Beschimpfungen, Drohungen, trotz der hohen privaten Opfer, die er bisher erbracht hat.

„Ich habe den einfachsten Beruf der Welt. Ich muss nur die Wahrheit schreiben.“

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.