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TIRANA

Balkan Stories: Das kleine Glück von Tirana

(FOTO: Balkan Stories)

In der albanischen Hauptstadt Tirana sorgen Wiener Tradition und eine Innovation aus Oberösterreich für kleine und vor allem schnelle Glücksmomente: Die Kioskkette Wiener Wurst bereichert das Fastfood-Angebot. Ganz unumstritten ist das freilich nicht.

Heute wird es kein Käsekrainer für Ardian.

Die Köchin grillt ihm eine Debreziner auf der Platte.

Ein Roma-Bub kann kaum über den Tresen reichen.

Er legt der Köchin ein paar Scheine drauf. Er will Zigaretten kaufen.

Sie sagt ihm freundlich, aber bestimmt, dass sie ihm sicher keine geben wird.

Ein Getränk kann er haben.

Ardian übersetzt für mich.

Wie Kioske generell am Balkan ist auch dieser Würstelstand in Rruga Ibrahim Rugova gleich bei der orthodoxen Kirche nebenbei auch so etwas wie ein Mini-Getränkemarkt samt angeschlossener Trafik.

Der Kleine bleibt hartnäckig.

Die Köchin auch.

Der Kleine nimmt einen Saft.

„Ich komm gerne her“, sagt Ardian. „Ich wohne ja um die Ecke, und ab und zu ist so eine Wurst schon was Tolles.“

Zur Debreziner gönnt er sich ein Budweiser.

Seit fünf Jahren steht der Kiosk hier.

(FOTO: Balkan Stories)

Wiener Würstelstände in der ganzen Stadt

Er ist Teil einer Kette mit dem Namen Wiener Wurst, finde ich heraus.

Meist sind sie in zentraler Lage. Etwa hier oder im angrenzenden Viertel Blloku.

Der Stand beim Parku i madh i Tiranës hat zu, als ich vorbeikomme. Es ist Sonntagvormittag.

(FOTO: Balkan Stories)

Auch in den Außenviertel stößt man auf Wiener Wurst-Stände.

„Der Besitzer war in seiner Jugend in Wien. Die Würstel hat er offenbar nicht vergessen“, erzählt Ardian.

Er lässt die Würstel sogar aus Wien importieren.

Sie kommen von der Traditionsfleischerei Radatz, einem der größten Lieferanten für Fleischwaren in Österreich.

(FOTO: Balkan Stories)

Der Siegeszug der Käsekrainer am Balkan

„Ja, wir haben mehrere Kunden in der Region“, bestätigt Radatz gegenüber Balkan Stories auf Nachfrage.

Vor allem Käsekrainer haben vor einigen Jahren einen Siegeszug am Fastfood-Sektor am Balkan angetreten.

In Serbien und in Montenegro kriegt man sie mittlerweile auch in Kleinstädten. (Mehr demnächst auf Balkan Stories.)

Aus lokaler Produktion oder als Import. Radatz spielt hier eine führende Rolle – und ist mitverantwortlich für die Popularität der österreichischen Würstelstandkultur am Balkan.

„Wir haben einen Mitarbeiter, der sich um diese Länder kümmert“, heißt es von Radatz. „Er hat natürlich Wurzeln in der Region.“

Was der Firma zusätzlich hilft, ist, dass sie auch Käsekrainer aus Rindfleisch herstellt.

Das erschließt auch mehrheitlich muslimische Gebiete im ehemaligen Jugoslawien.

In Albanien spielen religiöse Speisevorschriften bei Muslimen eine geringere Rolle als weiter im Norden, und auch als im Kosovo.

Dass österreichische Wurstkultur am Balkan so beliebt ist, überrascht wenig.

Grillwürste sind hier nicht unbekannt, allerdings gibt es sie nicht in der Geschmacksvielfalt, wie sie österreichische Rezepte bieten.

Das Angebot aus dem Norden wird hier als Bereicherung von Bestehendem wahrgenommen.

Das unterscheidet es wesentlich vom Burger.

Der wird einfach als vergleichsweise wenig gewürzte Variante der Pljeskavica gesehen.

Das erschwert es internationalen Ketten, in der Region Fuß zu fassen.

McDonalds etwa ist in Albanien nicht präsent. Einzig Burger King hat einige Filialen.

In Bosnien ging der Franchisenehmer von McDonalds Ende 2022 pleite. Er hatte ganze vier Filialen im Land.

Burger King versucht, die kleine Lücke zu schließen, die die Pleite hinterlassen hat.

Warum die Käsekrainer hier ein Statussymbol ist

In Albanien wird die Grillwurst interessanterweise offenbar auch als Statussymbol gesehen, anders als im ehemaligen Jugoslawien.

Eine Käsekrainer gilt dem Vernehmen nach als westliches Essen, und bei Wiener Wurst kostet sie 5,50 Euro – so viel wie bei günstigeren Würstelständen in Wien.

(FOTO: Balkan Stories)

Das ist für albanische Verhältnisse ein ziemlich hoher Preis.

Das ist nicht nur Abcashen.

Die Wurstlieferungen aus Wien sind eine logistische Herausforderung.

So groß ist der Markt auch wieder nicht, dass man das über Logistikzentren im Land abwickeln könnte.

Das ist teuer.

Dass die Menschen im ehemaligen Jugoslawien und in Albanien Wiener Würste sehr unterschiedlich wahrnehmen, erklärt sich aus der sehr unterschiedlichen Geschichte der Regionen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Hier ein abgeschlossenes, paranoides sozialistisches System, dessen Einwohner praktisch nirgendwohin reisen durften.

Dort ein offenes System mit Reisefreiheit und mehreren Auswanderungswellen, die auch zu einem regelmäßigen kulturellen und kulinarischen Austausch führten.

Ist für die meisten Menschen im ehemaligen Jugoslawien Österreich so etwas wie ein balkanisches Europa oder ein Noch-Nicht-Deutschland und Nicht-Mehr-Jugoslawien, ist es für Albaner Westen.

Die Wurst kann nichts dafür

Das erklärt vielleicht auch, warum sich um das Viertel Blloku in Albanien mehrere Stände von Wiener Wurst finden.

Das Viertel war in sozialistischer Zeit abgeriegelt.

Hier wohnte die Funktionärselite. Die hatte Zugang zu westlichen Konsumgütern.

Bis heute ist der Blloku so etwas wie ein Symbol für Luxus und Qualitätswaren.

Unter letzteres fallen die Würstel von Radatz zweifelsohne.

Die Existenz der Kette Wiener Wurst bleibt nicht kritiklos in Tirana.

Die Kioskszene in der albanischen Hauptstadt ist seit gut zwei Jahrzehnten ein Politikum.

Und wie bei jedem Politikum hierzulande verbindet sich das mit den Zänken und materiellen Interessen der politischen Klasse und der wirtschaftlichen Elite. Das zeigt etwa dieser Kommentar.

So ist auch ein Wiener Würstelstand im Stadtzentrum von Tirana nicht völlig unschuldig.

Das kleine Glück, das er bieten kann, ist es schon.

Die Wurst kann nichts dafür.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.