Überall sonst kommt es seit Kriegsende zu etwas, das man als kalte ethnische Säuberung beschreiben kann.
Irgendeinem Nachbarn gefällt dein Vorname nicht, oder die Tatsache, dass du Bajram feierst, oder dass du Schweinefleisch isst. Er wird dir zu verstehen geben, wer in dieser Gemeinde das Sagen hat, und, dass du als Bosnjake, Kroate oder Serbe nicht dazugehörst.
Oft schauen die Behörden weg. Und die meisten anderen Nachbarn ebenso.
„Ich konnte in meiner Heimatstadt nicht mehr leben“, erzählt Zoran. „Für mich als orthodoxer Bosnier war dort kein Platz mehr, und für meine Familie auch nicht.“
Er ging nach Brčko.
Banja Luka, der Regierungssitz der Republika Srpska, kam für Zoran nie in Betracht. Die dortigen Machthaber sind für ihn vom gleichen Schlag wie die, die zuließen, dass er sich in seiner Heimat nicht mehr wohlfühlt.
Auch nach Sarajevo zog es ihn nicht. „Ich bin gern dort“, sagt Zoran, „aber die Stadt ist mir einfach zu groß.“
Dass es Brcko wurde, liegt wahrscheinlich nicht nur daran, dass die Stadt sich als einzige in Bosnien jeglicher ethnischer bzw. religiöser Zuordnung entzieht.
Im bosnischen Zwischenreich gibt es auch bessere wirtschaftliche Perspektiven für seine Einwohner als in den meisten anderen Regionen.
Das hat sehr viel mit dem Status der Stadt und ihres Umlandes zu tun.
Es gibt hier alles doppelt.
Die Federacija hat hier ihre Post, die Republika Srpska ebenso. Die Lotterie der Federacija hat hier eine Außenstelle, die der Republika Srpska darf nicht fehlen.
BHT hat hier ein großes Büro samt Kundenzentrale. MTel darf nicht fehlen.
Dazu kommen so viele politische Jobs wie in wahrscheinlich keiner anderen 40.000 Einwohner-Stadt Europas.
Jede politische Partei, die in Bosnien auf teilstaatlicher Ebene kandidiert, hat hier zumindest ein kleines Büro. Auch die größten nationalistischen Parteien, die SDA, die SNSD und die HDZ (BiH), dazu etliche kleinere nationalistische Parteien und die paar vergleichsweise normalen Parteien, die es im Land gibt, wie die SDP und die Nasa stranka.
Man findet hier sogar Wahlplakate für Umlandgemeinden, die in der angrenzenden Republika Srpska liegen.
Das ist gleichsam Bosnien unterm Mikroskop.
Dass Brčko eine selbstverwaltete Region zwischen den Teilstaaten ist, beschert der Stadt darüber hinaus Niederlassungen der EU und anderer internationaler Organisationen.
Diese Konzentration an mehrheitlich gut bezahlten öffentlichen oder quasi öffentlichen Stellen wirkt nicht nur für Außenstehende bizarr – und sichert Brčko gleichzeitig einiges an Kaufkraft und Wohlstand.
Das zeigt sich im Stadtbild. So schön renoviert sind nur wenige Stadtzentren in Bosnien.
Dass es den Menschen hier vergleichsweise gut geht, ist sicher auch ein Mitgrund, warum hier vergleichsweise wenige ethnisch bzw. religiös aufgeladene Spannungen zwischen Vertretern der Bevölkerungsgruppen gibt.
Zeitweise stellte hier sogar die kroatische klerikalnationalistische HDZ den Bürgermeister, ohne, dass es größeren Schaden angerichtet hätte.
So bleibt Brcko Bosniens letzte wirklich gemischte Stadt.
Hier leben jeweils etwas mehr als 40 Prozent Serben und Bosnjaken, der Rest sind in der Regel Kroaten, dazu kommen Angehörige kleinerer Minderheiten.
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