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INTERVIEW

Balkanurlaub: „Geimpft oder getestet kann man unbesorgt reisen”

(FOTO: Igor Ripak)

Die Corona-Krise hielt die gesamte Welt über eineinhalb Jahre in Atem. Nun geht es laut Bundesregierung mit großen Schritten in Richtung Normalität. Worin sich dieses Jahr vom letzten unterscheidet, wie lange uns die 3G-Regel erhalten bleibt und ob wir uns früher oder später alle impfen lassen müssen, fragten wir Bundeskanzler Sebastian Kurz.

KOSMO: Kürzlich sagten Sie im Nationalrat, dass das Schlimmste vorbei sei. Die Pandemie hat jedoch nicht nur eine Gesundheits- sondern auch einer Wirtschaftskrise verursacht. In welchen Bereichen wird uns das Virus am längsten beschäftigen?
Sebastian Kurz: Ich bin in allen Bereichen sehr optimistisch, denn wir haben definitiv das Schlimmste hinter uns. Wir haben mit der Impfung, den Masken und Tests andere Hilfsmittel als zu Beginn der Krise. Die wirtschaftliche Entwicklung ist besser als erwartet. Wir haben für dieses Jahr ein prognostiziertes Wachstum von rund 4 Prozent. Die Wirtschaftsforscher haben laufend ihre Prognosen nach oben korrigiert. Die Arbeitslosigkeit geht massiv zurück und ich bin überzeugt davon, dass wir 2022 wieder Vorkrisenniveau erreichen können. Es deuten alle Parameter in die richtige Richtung.

Vor kurzem wurden die Corona-Hilfen verlängert. Glauben Sie, dass das nochmal notwendig ist?
Ich glaube, dass wir mit dem Zugang „Koste es was es wolle” den richtigen Zugang für die Krise gewählt haben. Massiv in Kurzarbeit und auch Unternehmenshilfen zu investieren, war extrem belastend für unser Budget, aber es war notwendig, um Arbeitsplätze zu retten. Genauso wie der Zugang in der Krise wichtig ist, ist es jetzt auch wichtig Schritt für Schritt zur Normalität zurückzukehren.

Psychologen warnen vor Langzeitfolgen der Krise. Welche Anstrengungen müssen im Bereich mentale Gesundheit der Bevölkerung unternommen werden?
Gewisse Dinge kann man weder ungeschehen machen, noch wegleugnen. Das eine Pandemie mit massiven Eingriffen in die Grund- bzw. Freiheitsrechte und mit sehr viel Verzicht natürlich dazu führt, dass die Situation in einigen Familien sehr angespannt, dass es für viele Eltern und Kinder extrem belastend und schwierig war, das kann niemand ändern und auch niemand ungeschehen machen. Das Wichtigste ist, dass wir jetzt wieder möglichst schnell zur Normalität zurückkehren, dass neben dem regulären Schulbetrieb die außerschulische Jugendarbeit, das Freibad, das Kino und bei den älteren Jugendlichen das Ausgehen am Abend in die Clubs wieder möglich wird. Das ist auch der beste Garant für die psychische Gesundheit, denn was uns alle getroffen hat, waren die Kontaktbeschränkungen und der Verzicht auf alltägliche Aktivitäten.

„Als Geimpfter bin ich nicht nur selber geschützt, sondern auch kaum Überträger des Virus. Daher war es für mich von Anfang an klar, mich impfen zu lassen“, so Sebastian Kurz. (FOTO: Igor Ripak)

Die Frage „Impfen oder nicht?“ beschäftigt die Bevölkerung mittlerweile seit Monaten. Ist es überhaupt notwendig, alle zu einer Impfung zu bewegen?
Herdenimmunität wird immer wieder diskutiert. Es gibt keine belastbaren Zahlen ab welchem Prozentsatz genau Herdenimmunität besteht und ob es sie überhaupt zu 100 Prozent geben kann. Klar ist, je mehr geimpft sind, desto besser sind wir als Gesellschaft auf eine nächste Welle vorbereitet und jeder einzelne, der geimpft ist, ist individuell geschützt. Insbesondere älteren Menschen und Risikogruppen kann ich das nur raten, denn die Pandemie ist nicht vorbei. Auch wenn wir zur Normalität zurückkehren können, wird es das Virus weiterhin geben. Wer nicht geimpft ist hat einfach eine sehr hohe Gefahr, dass er sich irgendwann ansteckt. Das kann dann unproblematisch verlaufen. Ich kenne viele, die einen ganz leichten Verlauf hatten, aber auch einige – gar nicht so alte – bei denen ich mir das nie gedacht hätte, die im Spital lagen. Das muss man ja nicht unbedingt haben, wenn man es vermeiden kann.

3-G-REGEL
„Wie lange dieses Sicherheitsnetz noch notwendig ist, werden wir im Juli entscheiden.”

Steht die Abschaffung der 3G-Regel, die sich viele wünschen, in Aussicht?
Das werden wir wirklich im Juli bewerten müssen, da will ich jetzt noch nicht mutmaßen. Versprochen war, im Sommer geht es zurück zur Normalität und genau das findet statt. Das was jetzt noch nicht möglich war, nämlich in der Nacht auszugehen, feiern oder tanzen zu gehen, Geburtstage, Hochzeiten oder andere Feste zu feiern – All das ist ab ersten Juli möglich. Auch die Masken in der Gastronomie werden wegfallen. Das heißt wir kehren zur Normalität zurück. Viele Dinge, die Spaß machen und noch nicht möglich waren, sind ab ersten Juli wieder möglich und das ist auch gut so. Darüber, wie lange das derzeitige Sicherheitsnetz in der Form von 3G noch notwendig ist, werden wir im Juli entscheiden.

Kürzlich fand in Wien die Westbalkan-Konferenz statt. Was sind die Pläne Österreichs bzw. der EU für die Region?
Die EU wird erst vollständig sein, wenn alle Staaten des Westbalkans beigetreten sind. Wir sind mit dem Westbalkan menschlich, wirtschaftlich, politisch und kulturell sehr eng verbunden. Die Staaten des Westbalkans können sich auch auf unsere volle Unterstützung bei ihrem Weg in die EU sowie beim Kampf gegen die Pandemie verlassen. Das haben wir beim Westbalkan-Gipfel ebenfalls betont. Im letzten Jahr hat sich die EU bedauerlicherweise zu wenig mit der EU-Annäherung dieser so wichtigen Nachbarregion beschäftigt. Österreich wird auch ab August eine Million Impfdosen für die Staaten des Westbalkans zur Verfügung stellen, damit die Pandemie auch am Westbalkan so schnell wie möglich besiegt werden kann. Beim Gipfel haben sich alle Staaten zum gemeinsamen Kampf gegen illegale Migration bekannt. Das ist gerade vor dem kommenden Sommer sehr wichtig.

Apropos Westbalkan. Wie sieht es hinsichtlich der Reisefreiheit aus?
Ich weiß von vielen Verwandten und Bekannten, dass sie schon sehnsüchtig darauf warten, wieder ihre Verwandten am Balkan besuchen zu können und ich kann klar sagen, dass das wieder Schritt für Schritt ermöglicht wird. Österreich hat die Reisewarnung für Balkanländer bereits aufgehoben, und diese Vorgehensweise wird vom Rest der EU-Länder erwartet. Die Reisefreiheit muss wiederhergestellt werden. Wir setzen uns auch dafür ein, dass die europäischen Regelungen und der Grüne Pass auch auf andere Regionen, wie z.B. den Westbalkan, ausgeweitet werden, damit auch hier die Standards dieselben sind. Meine Bitte an alle Österreicher, die gerne am Balkan Urlaub machen, an alle Menschen vom Westbalkan, die gerne zu uns kommen, um bei uns Urlaub zu machen und an alle die hier Leben und Wurzeln am Balkan haben, ist, dass sich alle an die Sicherheitsstandards halten. Also sich impfen zu lassen, oder sich zumindest regelmäßig testen zu lassen. Wer mitmacht, kann unbesorgt im Sommer reisen und eine gute Zeit verbringen, ohne dass es eine Bedrohung darstellt.

„Die Staaten des Westbalkans können sich auch auf unsere volle Unterstützung bei ihrem Weg in die EU verlassen.”

Bundeskanzler Sebastian Kurz

In Österreich und der EU stehen alle Zeichen auf Neustart. Sie und einige Ihre Kollegen jedoch gegen weitere Wirtschaftshilfen aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Warum?
Sehr viel Geld wird für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in die Hand genommen, nämlich konkret 750 Milliarden Euro auf europäischer Ebene. Dieses Geld muss erst mal gut in Zukunftsfelder, wie Digitalisierung, aber auch in Bereiche wie in den Kampf gegen den Klimawandel, investiert werden. Dazu stehen wir. Ich glaube, bevor man ständig über noch mehr Geld spekuliert, sollten wir einmal das investieren was wir uns vorgenommen haben und sollten den Menschen die Freiheit zurückgeben. Wir müssen dahin zurückkehren, dass Unternehmen betriebswirtschaftlich erfolgreich sein können, ohne staatliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.

Der Sommer 2021 wird aller Voraussicht nach relativ normal. Virologen blicken jedoch besorgt in den Herbst…
Ich glaube, dass weitere Wellen sehr realistisch sind, da das Virus saisonal ist. Das heißt, dass im Herbst die Zahlen wahrscheinlich wieder zunehmen werden und darüber hinaus sind nicht alle geimpft. Rund ein Drittel der Bevölkerung möchte sich nicht impfen lassen, dadurch ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu weiteren Wellen kommt. Die gute Nachricht ist aber, dass es derzeit noch keine Mutation gibt, auch nicht die Delta-Veriante, die nicht von der Impfung abgedeckt ist. Das heißt, jeder, der sich vollständig, also mit zwei Stichen impfen lässt, ist auch geschützt und je mehr Menschen in unserer Gesellschaft geschützt sind, desto größer die Chance, dass erneute Wellen für uns als Gesellschaft nicht mehr solch ein Problem darstellt wie im letzten Jahr.

Autor: Dejan Sudar