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INTERVIEW

Bilajbegović über Bosnien-Krieg: „Wie ‚leicht‘ man Nachbarn verfeinden konnte“

Haris Bilajbegović drehte zwei Dokumentarfilme über den Bosnien-Krieg. (FOTOS: zVg.)

Anfang der 70er-Jahre kamen Haris Bilajbegovićs Eltern als Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich. Er und seine Geschwister wurden in Österreich geboren, wo Haris später große Bekanntheit als Schauspieler, Stuntman, Autor und Regisseur erreichte. Unter anderem drehte er auch zwei Dokumentarfilme über den Krieg in Bosnien.

Vor Ihren zwei Filmen über die Geschehnisse während des Bosnien-Krieges waren Sie bereits groß im österreichischen und internationalen Filmbusiness tätig. Was hat Sie dazu bewogen, diese Art von Film zu machen?
Haris Bilajbegović: Als Kind verbrachte ich, während den Ferien und an schulfreien Tagen, viel Zeit bei meinen Großeltern im damaligen Jugoslawien heutigem Bosnien-Herzegowina. So wie viele andere hatten auch meine Großeltern einen Bauernhof und mit meinem jüngsten Onkel Elvir ging ich gerne Schafe hüten. Er war nicht nur mein Onkel, sondern auch mein Freund. Trotz seiner schweren Arbeit war Elvir immer gut aufgelegt und sang auch gerne. Mein größter Wunsch war es, dass uns Elvir mal in Österreich besuchen kommt. Ich erinnere mich, meine Großmutter sagte oft, ja, Elvir wird euch schon mal besuchen kommen. Doch leider kam es nie dazu. Der Krieg brach aus und auf der Brücke von Vrhpolje, Gemeinde Sanski Most (Bosnien-Herzegowina), wurde Elvir von seinen Eltern und vielen anderen Zivilisten, von bosnisch-serbischen Soldaten getrennt. 1992 war er 17 Jahre alt. Im September 2010 wurden seine Überreste in der Nähe dieser Brücke, in einem Massengrab, gefunden. Seine Mutter konnte den Verlust ihres Sohnes Elvir nicht verkraften und verstarb bereits 1997. Es gab wirklich keinen Tag, an den sie seinen Namen nicht erwähnte. In diesem Massengrab trug ein Leichnam den Overall meines Onkels Elvir. Mein Großvater identifizierte ihn. Wenige Tage später starb er, ich wage zu behaupten an gebrochenem Herzen. Aber er hatte wenigstens die Gewissheit, seinen Sohn wiedergefunden zu haben.

Wie kam es zur Realisierung beider Projekte?
Durch meine Arbeit als Darsteller und Stuntman ergab es sich, dass ich mit den Produktionen „illuminati filmproduktion“ und „Filmhaus Wien“ in Kontakt kam. Das Drehbuch gefiel ihnen, vor allem, weil ich als Hauptdarsteller meinen Großvater hatte und fast ausschließlich auf Zeitzeugen setzte. Unser erster Film „Most – The Bridge“ hätte ein Spielfilm werden sollen, leider hatten wir fast kein Budget (Gesamtbudget: ca. € 6.000.-). Deshalb entschieden wir uns es in Form eines Kurzfilms zu erzählen. Gedreht wurde in Bosnien-Herzegowina (Originalschauplatz). Ohne der Unterstützung meiner Familie, meiner Freunde, der Produktion „illuminati filmproduktion“ und vieler anderer wäre eine Umsetzung des ersten als auch des zweiten Films „Svjedok – Der Zeuge“ (Gesamtbudget: ca. € 4.000.-) nicht möglich gewesen.

Während Ihrer Recherche und den Dreharbeiten haben Sie mit Sicherheit viele Eindrücke und Informationen sammeln können. Was war für Sie die prägendste Erfahrung bei der Filmerstellung?
Ich würde sagen, es sind mehrere Erfahrungen gewesen, die mich geprägt haben. Aufgefallen ist mir, dass fast überall, so wie in den beiden Filmen „Most – The Bridge“ und „Svjedok – Der Zeuge“ gezeigt, die Vorgehensweise der feindlichen Soldaten in diesem Krieg fast überall gleich war. Durch die Interviews und die Recherchen wurde dies immer wieder bestätigt. Anders gesagt: Wie „leicht“ man jahrzehntelange Nachbarschaft verfeinden konnte. Auch wenn Familien sich seit Generationen kannten. Heute, nach so vielen Jahren, sind die Gräben noch immer so tief zwischen den Volksgruppen in Bosnien-Herzegowina.

So lange es Personen gibt, die das Massaker von Srebrenica verleugnen, wird es auch keinen Versuch geben, es als schwarzes Kapitel der Geschichte zu sehen

Haris Bilajbegović

Durch meinen zweiten Film „Svjedok – Der Zeuge“ lernte ich auch Rajif Begić kennen, der 1992 auch auf dieser Brücke als Zivilist war. So wie Rajif kämpfen vielen anderen Zeuginnen und Zeugen, seit vielen Jahrzehnten, für die Gerechtigkeit und sagen dafür immer wieder vor Gericht aus. Als er vor dem Den Haager Tribunal, gegen Ratko Mladić aussagte, durfte ich an dieser Verhandlung teilnehmen. Ratko Mladić war noch nicht im Verhandlungsaal, weil er, wie so oft, nicht vor die Richterinnen und Richter treten wollte. Als er den Raum betrat sah man einen alten, abgemagerten, kranken Mann der noch immer seiner Ideologie nacheiferte. Auch wenn er seit vielen Jahren im Gefängnis war. Das sollte uns jungen zu denken geben. Doch leider „übernehmen“ vielen junge Leute, die von diesem Krieg keine Ahnung haben oder nicht einmal auf der Welt waren als er stattgefunden hat, die negative Einstellung zu einer anderen Volksgruppe von ihren Eltern. 

Welche Botschaft wollten Sie mit Ihren Filmen über den Bosnienkrieg vermitteln und wie waren die Reaktionen sowohl vonseiten der Besucher als auch der Fachleute für Film?
Durch unsere beiden Filme „Most – The Bridge“ und „Svjedok – Der Zeuge“ möchten wir, dass die Opfer dieses Krieges nie in Vergessenheit geraten. Das sind wir den Opfern und natürlich auch deren Familien schuldig. Beide Filme sind auf „YouTube“ hochgeladen und die Reaktionen und Kommentare sprechen für sich. Die positive Zustimmung für unsere beiden Filme sind überwältigend, wie man auch unter den Videos herauslesen kann! Aber es gibt auch immer wieder Kommentare, die solche Kriegsverbrechen leider verherrlichen. Darüber denke ich oft nach, welche Leute dahinterstecken, die z. B. das Massaker von Srebrenica verleugnen. Ich muss sagen, ich bin froh, dass ich so viel Unterstützung gefunden habe, um diese beiden Filme umsetzen zu können. „Most – The Bridge“ und „Svjedok – Der Zeuge“ waren auf zahlreichen international und national bekannten Filmfestivals zu sehen. Beide Filme wurden mit über zwanzig Filmpreisen ausgezeichnet und „Svjedok – Der Zeuge“ war für den „Deutschen Menschenrechts-Filmpreis“ nominiert.

Kürzlich wurde Ratko Mladićs lebenslange Haft vom Nachfolgemechanismus des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (IRMCT) bestätigt. Hinterbliebene feierten dies als Sieg der Gerechtigkeit. Kann, Ihrer Meinung nach, Gerechtigkeit im Fall Srebrenica überhaupt erlangt werden? Bzw. was wäre dafür notwendig?
Wie bereits erwähnt, konnte ich an einer Verhandlung von Ratko Mladić teilnehmen. Von Reue war weit und breit keine Spur. Ratko Mladić war der meistgesuchte Kriegsverbrecher nach dem 2. Weltkrieg und jetzt ist er zu lebenslanger Haft wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtskräftig verurteilt worden. Diese Verurteilung war schon längst überfällig, wenn man weiß wie viele Familienangehörige jahrzehntelang darauf warten mussten. Für so viel Leid, das über diese Menschen gebracht wurde, seien es die Opfer selbst oder deren Angehörige und Freunde, kann es keine wirkliche Gerechtigkeit geben. 

Heuer jähren sich die Geschehnisse zum 26. Mal. Glauben Sie, dass die grausamen Verbrechen irgendwann einmal zu einem schwarzen Kapitel der Geschichte der Region werden, ohne Tag ein Tag aus das politische und gesellschaftliche Leben des Balkans zu prägen?
So lange es Personen gibt, die das Massaker von Srebrenica verleugnen, wird es auch keinen Versuch geben, es als schwarzes Kapitel der Geschichte zu sehen. Allen voran fallen mir da zwei Namen ein: Milorad Dodik oder der Bürgermeister von Srebrenica Mladen Grujičić. Mitten in Europa werden von 1992-1995 über 8.000 muslimische Männer systematisch ermordet und Milorad Dodik bezeichnet einen Völkermord als „fabrizierten Mythos“.

Die beiden Dokumentarfilme von Bilajbegović findet ihr auf der zweiten Seite!