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KOSMO CLASSICS

Café „Jet-set”: So feierte die Jugo-Jugend in den 90er in Wien

Zoran Trajković im Gespräch mit KOSMO (FOTO: KOSMO)

Waren die Beziehungen der Gäste im Café anders als heute?
Wir sind damals in ein Café gegangen, um zu reden, Spaß zu haben und zu lachen. Wir waren sehr aufeinander bezogen. Heute schauen meistens alle am Tisch auf ihr Handy. Sie nehmen ihre Umgebung gar nicht wahr und sind einander vollkommen entfremdet.

Wie war das Verhältnis zwischen Mädchen und Burschen?
Es herrschte mehr Aufmerksamkeit und eine beschützende Haltung, denn die Jugendlichen waren eher patriarchalisch erzogen. Es wäre nie vorgekommen, dass jemand einem Mädchen eine illegale Substanz ins Getränk gemischt hätte oder sie auf irgendeine Weise beleidigt oder missbraucht. Allerdings waren auch die Mädchen anders.

Hat jeder sein Getränk selber gezahlt?
Also bitte! Einer zahlte die ganze Runde, die nächste zahlte jemand anders und so weiter. Einer zahlte überhaupt alles, was getrunken wurde, und das nächste Mal war jemand anders aus der Gruppe an der Reihe. Wenn Mädchen ins Lokal kamen, zahlten sie ihre Getränke, aber später haben Burschen, die an anderen Tischen saßen, sie eingeladen. Ich habe das auch gerne gemacht. Aber wenn eine größere Gruppe von Burschen und Mädchen kam, haben die Mädchen nichts gezahlt. Das wäre undenkbar gewesen.

Es herrschte mehr Aufmerksamkeit und eine beschützende Haltung, denn die Jugendlichen waren eher patriarchalisch erzogen.

Zoran Trajković

Hatten die jungen Menschen denn überhaupt Geld zum Ausgehen?
Sie haben etwas verdient und die Eltern haben sie auch unterstützt. Damals war es normal, dass ein Bursche am Wochenende 500 Schilling zum Ausgehen bekam. Heute ist das alles anders, die Jungen lernen, früher selbständig zu sein und man achtet mehr aufs Geld.

Gab es in Ihrem Lokal Drogen?
Nein, aber vielleicht habe ich es bloß nicht bemerkt. Einige Mal ist ein Gast gekommen, bei dem ich nach einem Gang zur Toilette ein verändertes Verhalten beobachtet habe. Dann habe ich ihn gebeten, sich ein anderes Lokal zu suchen. Die meisten von uns waren Sportler, wir sind in gesunden Familien aufgewachsen und lebten in gesunden Verhältnissen. So ist dieses Laster an uns vorbeigegangen.

Wie sind Sie mit betrunkenen Gästen umgegangen?
In einem Lokal wird Alkohol getrunken und manchmal erwischt jemand zu viel. Aber wir kannten uns alle gut und haben es mit vereinten Kräften geschafft, zu verhindern, dass jemand ausfällig wurde. Wenn jemand aus unserem Kreis mehr getrunken hat, wurde er vielleicht ein bisschen alberner, aber er hat mit niemandem gestritten. Wenn aber jemand, der kein Stammgast war, versucht hat, einen Streit zu provozieren, haben meine Freunde und ich das auf diplomatische Weise gelöst.

Haben die jungen Leute damals länger bei ihren Eltern gelebt?
Normalerweise ja, obwohl eigentlich alle kleine Wohnungen hatten. Wir wollten den elterlichen Schoß nicht verlassen und niemand erwartete das von uns. In dieser Zeit hatten wir noch den Schilling und alles war billiger – von den Lebensmitteln bis zu den Wohnungen. Manche Kosten hatten wir gar nicht, denn es gab noch nicht so viel Technik wie heute, man lebte bescheidener. Ich habe mir meine erste Wohnung erst mit vollen 30 Jahren genommen.

Wir sind auf dem Weg, unsere normale Kommunikation zu verlieren. Statt seine Gefühle mit Worten auszudrücken, benutzt man Sticker.

Zoran Trajković

Meinen Sie, dass die Erfindung des Internets, der Handys und der Computer zur Entfremdung der Menschen beigetragen hat?
Absolut! Es ist gut, dass wir heute besser und schneller informiert und verbunden sind, aber die Menschen treffen sich mehr in den sozialen Netzwerken als im realen Leben. Wir sind auf dem Weg, unsere normale Kommunikation zu verlieren. Statt zu reden, schreibt man heute Nachrichten, verwendet Abkürzungen. Statt seine Gefühle mit Worten auszudrücken, benutzt man Sticker. Ich habe mit anderen Kindern im Park gespielt und meine Eltern brauchten keine Angst zu haben, dass mir etwas passiert. Wir hatten eine sicherere und gesündere Kindheit und Jugend. Ich trauere dieser Zeit sehr hinterher. Sie wird nie wiederkommen und meine Kinder werden sie nie kennenlernen, egal wie sehr meine Frau und ich uns bemühen, ihnen in der Erziehung die elementaren Werte des Lebens mitzugeben.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.