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GESUNDHEIT

Der Weg der Medikamente: Von der Idee bis zur Apotheke

(FOTO: zVg.)

Von der Idee, die im Kopf eines Wissenschaftlers entsteht, bis zum Verkauf eines effizienten Medikaments in der Apotheke vergehen in der Regel zehn bis fünfzehn Jahre. Diese Zeit ist ausgefüllt mit aufwendigen Forschungen, Nachweisen und Hoffnungen, dass die Heilung von Menschen damit unterstützt wird.

Wer von uns fragt sich schon bei der Einnahme seiner Medikation, wer dieses Medikament eigentlich entwickelt hat und wie die Forschung verlaufen ist? Vermutlich ist es für uns so normal, es zur Verfügung zu haben, dass wir gar nicht darüber nachdenken. Aber das Magazin KOSMO hat Dr. Slaven Stekovic, einen Molekularbiologen aus Banja Luka, nach den Antworten auf viele Fragen zur Entstehung von Medikamenten gefragt. Der junge Wissenschaftler wurde an den Universitäten von Graz und Cambridge ausgebildet und ist heute CSO von Multiomic Health Limited in London und lehrt als Dozent an der TU Wien und an der Università degli studi di Sassari (Italien). Er lebt in Wien und arbeitet mit seinem Team, das in London, Boston, München und Istanbul insgesamt 15 Mitglieder zählt, an zwei Medikamenten für Nierenerkrankungen.

KOSMO: Wie beginnt die Entwicklung eines neuen Medikaments?

Dr Slaven Stekovic: „Der Beginn des wissenschaftlichen Wegs zur Entwicklung eines Medikaments besteht fast ausschließlich in Überlegungen, bei denen Molekularbiologen, Mediziner, Psychologen und andere Wissenschaftler Menschen mit einer bestimmten Erkrankung beobachten und die Besonderheiten herausarbeiten, die bei dieser Patientengruppe auftreten. Wenn man feststellt, so wie es vor einhundert Jahren der Fall war, dass bei Menschen mit Diabetes gehäuft Herzerkrankungen, Gewebsnekrosen, Retinophathien usw. auftreten, dann beginnt man mit der Erforschung der Ursachen dieser Störungen.

Zum Beispiel versucht man mit einer künstlichen, d.h. gezielten Erhöhung des Zuckerspiegels im Blut denselben Effekt zu erzielen und überprüft dann beim Absinken des Zuckerwerts, ob die Wirkungen weiterbestehen. Damit wird die sogenannte Kausalität bzw. das Ursache-Wirkungs-Verhältnis zwischen dem, was im Anfangsstadium beobachtet wurde, und dem, was die negative Auswirkung auf die Erkrankung, d.h. auf unsere Gesundheit bedingt, beobachtet. In den meisten Fällen werden diese Beobachtungen an größeren Menschengruppen durchgeführt. So hat mein Kollege Univ.-Prof. Stefan Kiechl aus Innsbruck in Bruneck eine Gruppe von zehntausend Menschen beobachtet.  Er trug ihre medizinischen Befunde zusammen, verzeichnete, woran sie litten und starben und welche Krankheiten ihre Kinder entwickelten. So stellte er unter anderem fest, wie sich die Ernährung auf die Gesundheit auswirkt. Solche Untersuchungen dauern bis zu zehn Jahre.

Wann beginnt die experimentelle Phase?

„Auf der Basis ihrer Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen beginnen die Wissenschaftler mit einfacheren Forschungssystemen. Meistens sind das Zellen, die aus dem menschlichen Körper isoliert werden und die im Labor unsterblich werden können. Die Biologen haben Techniken, mit denen unendliche Zellteilungen hervorgerufen werden können, so wie das bei Krebszellen der Fall ist. Natürlich sind diese Zellen nicht mit einem Blutkreislauf verbunden, sind von hormonellen und organischen Prozessen unbeeinflusst und zeigen daher auch nicht solche Variationen wie in unserem Körper.

„Der ganze Prozess dauert bis zu 15 Jahren und kostet, abhängig von der medizinischen Disziplin, für die geforscht wird, zwischen zwei und sechs Millionen Dollar“, so Slaven. (FOTO: zVg.)

Damit beginnt die Phase der Experimente, in der die Phänomene, die an den Menschen beobachtet wurden, simuliert werden. Modulationen, d.h. Veränderungen der Zellprozesse, werden mit verschiedenen Substanzen hervorgerufen, von denen wir wissen, dass sie eine Wirkung haben, z.B. mit Medikamenten, die bereits auf dem Markt sind und die aus Pflanzen oder aus verschiedenen Giften (Schlangen, Spinnen) isoliert wurden usw. Indem wir die Situation im menschlichen Körper simulieren, suchen wir einen Weg zur Korrektur der Probleme. Alle Resultate werden mehrfach überprüft, damit wir sicher sein können, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Und von da aus geht es vermutlich zu einem höheren Forschungsniveau?

„Der nächste Schritt ist der Übergang zu mehrzelligen Systemen, das sind meistens irgendwelche Arten von Würmern, Fruchtfliegen, Mäusen, Ratten und eine Fischsorte. Je kleiner der Organismus ist, desto günstiger sind die Forschungen, und Geld ist oft ein limitierender Faktor. Wenn Dinge an kleinen Organismen nachgewiesen werden können, geht es an größere Lebewesen wie Hunde, Schweine oder Schafe, abhängig davon, mit welchem Bereich der Medizin wir uns beschäftigen, um die letzten Ergebnisse zu sammeln, bevor wir beginnen, das Medikament an Menschen zu testen.

„Je kleiner der Organismus ist, desto günstiger sind die Forschungen, und Geld ist oft ein limitierender Faktor“, so dieser Wissenschaftler.

Zuvor werden noch eventuelle Nebenwirkungen genau untersucht und an den Ratten oder Fischen wird das toxische Potential der erzeugten Substanz überprüft. Im nächsten Schritt wird die gesamte Dokumentation an eine der beiden wichtigsten internationalen Organisationen gesendet, wo darüber entschieden wird, ob eine Testung der Substanz an Menschen überhaupt Sinn hat. Die wichtigste Fragen ist: Ist sie sicher und effizient genug? Wenn sie schlechter ist als ein bereits auf dem Markt erhältliches Medikament, dann wird normalerweise nicht weiter getestet.“

Was geschieht, wenn entschieden wird, weiter zu testen?

„Wenn die erzeugte Substanz die genannte Überprüfung besteht, beginnen drei Phasen klinischer Testungen. Aufgrund präziser mathematischer Formeln werden alle Parameter berechnet, um eine Toxizität und Nebenwirkungen des Präparats möglichst weitgehend auszuschließen. Die erste Phase erfolgt an einer kleineren Gruppe gesunder Menschen, die sich freiwillig bereiterklären und für ihre Teilnahme an der Studie eine finanzielle Erstattung erhalten. All das erfolgt unter Aufsicht einer Ethikkommission. In der zweiten Phase der klinischen Erprobung wird die Effizienz getestet. Sie wird an mehreren Patienten durchgeführt, die an der Erkrankung leiden, gegen die das Medikament entwickelt wurde.

Ziel ist es zu sehen, ob das Präparat, an dem man arbeitet, die Krankheit wirklich positiv beeinflussen kann. Diese Phase ist der riskanteste Teil im Prozess der Medikamentenentwicklung, denn meistens geht es genau hier schief, wenn festgestellt wird, dass das Präparat nicht effizient genug ist. Denn das, was wir in den vorherigen Phasen der Erprobung festgestellt haben, zeigt hier oft, dass es nicht so wirkt, wie wir erwartet haben. Das passiert bei etwa einem Drittel der Projekte, aber bis dahin hat die Forschung bereits Dutzende Millionen Dollar gekostet und etwa zwei Jahre in Anspruch genommen.

Slaven Stekovic ist auch der Autor mehrerer Bücher, das neueste „Jung bleiben, alt werden“ wurde im Jahr 2024 veröffentlicht. (FOTO: zVg.)

In der dritten Phase der klinischen Erprobung geht es um den Vergleich des neuen Präparats mit der besten existierenden Therapie, denn wenn es nicht besser ist, hat es keinen Sinn, das neue Medikament zu produzieren. An dieser Phase nimmt eine viel größere Zahl von Patienten teil, von einigen Hundert bis zu einigen Tausend Menschen. Hier zeigt sich, ob und wie das Medikament wirkt, ob die Krankheit nach dem Absetzen der Therapie zurückkehrt, wie es im Vergleich zu bestehenden Medikamenten wirkt… Wie aufwendig das ist, zeigt auch die Tatsache, dass nur 10 von 10.000 Projekten bis zur klinischen Testung kommen und dass nur eines dieser zehn Präparate es bis ins Ziel schafft, nämlich bis zum Erhalt der Arzneimittelzulassung. Der ganze Prozess dauert bis zu 15 Jahren und kostet, abhängig von der medizinischen Disziplin, für die geforscht wird, zwischen zwei und sechs Millionen Dollar.“

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.