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INTERVIEW

,,Der Wiener Schmäh wird nicht verstanden!“

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FOTO: KOSMO

Mit schelmischem Lächeln eröffnet Wiens Bürgermeister Michael Ludwig unser Gespräch. Pandemie und Wirtschaftskrise prägten seine fünf Amtsjahre. Doch er entzifferte nicht nur die Stadt, sondern auch den „Wiener Schmäh“. In unserem Gespräch beleuchtet er Erfolge, Herausforderungen und den Einsatz für bezahlbaren Wohnraum in der lebenswertesten Stadt. Klare Frage: Sind die Wiener wirklich so „grantig“?

KOSMO: Seit Ihrer Wahl zum Bürgermeister vor etwa fünf Jahren haben Sie die Stadt durch die Herausforderungen einer globalen Pandemie und einer Wirtschaftskrise geführt. Welches Ereignis oder welche Initiative würden Sie als Ihren prägendsten Erfolg bezeichnen und welchen Moment oder welche Entscheidung betrachten Sie rückblickend als Fehler?
Michale Ludwig: Die Corona-Pandemie stellte zweifellos eine immense Herausforderung dar, der wir jedoch erfolgreich begegnet sind. Trotz persönlicher Angriffe von politischen Gegnern und Medien, bei denen oft unbegründete Behauptungen verbreitet wurden, blieb die Gesundheit der Menschen für mich stets im Vordergrund.

Es war enttäuschend zu sehen, wie Parteipolitik selbst in Krisenzeiten oft dominierte. Besonders vor der Wien-Wahl nutzten einige Parteien die Krise, um der Stadt und ihren Bürgern zu schaden. In solchen Krisen, wie auch in der aktuellen Wirtschaftskrise, sollten über parteiliche Grenzen hinweg Lösungen gesucht werden.

Die Wohnbeihilfe soll ausgebaut werden. Was sind die konkreten Pläne?
Aufgrund der Preissteigerung und Inflation sind die Mietpreise gestiegen, die oft an den Verbraucherpreisindex gebunden sind. Als Reaktion darauf haben wir unsere Strategie überdacht und uns darauf konzentriert, mehr geförderte und bezahlbare Wohnungen zu bauen. Durch Änderungen in der Bauordnung müssen nun zwei Drittel aller neu gebauten Wohnungen gefördert werden. Wien hat bereits den höchsten Anteil an solchen Wohnungen in Europa, wobei 62 Prozent der Bewohner in geförderten Wohnungen leben.

Unser Ziel ist es, dass auch Menschen mit mittlerem Einkommen in der Stadt zu fairen Preisen wohnen können. Drei internationale Rankings haben Wien kürzlich als lebenswerteste Stadt bestätigt. Neben der Wohnraumförderung haben wir auch individuelle Unterstützungen wie die Wohnbeihilfe erweitert und einen Wohnbonus eingeführt. Unabhängig vom Mietverhältnis haben Gemeindebaumieter zusätzlich eine halbe Monatsmiete gutgeschrieben bekommen, um sie weiter zu unterstützen.

Warum haben Sie sich gegen die Einführung der Mietpreisbremse für die Gemeindewohnungen entschieden? Z.B. Michael Klien vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) meinte damals, dass es eine sinnvolle und treffsichere Maßnahme.
Ich unterstütze definitiv eine Mietpreisbremse und habe dies auch von der Bundesregierung verlangt. Diese Maßnahme hätte geholfen, die Inflation zu kontrollieren und wäre sowohl im Gemeindebau, im Genossenschaftsbereich als auch im privaten Sektor sinnvoll gewesen. Diese Ansicht teile ich mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut. Leider hat sich die Bundesregierung bis zum Sommer gegen eine solche bundesweite gesetzliche Mietpreisbremse gestemmt, deshalb haben wir uns in Wien in einem ersten Schritt entschieden, allen Gemeindebaumietern eine Ermäßigung von einer halben Monatsmiete zu gewähren.

Mein Ziel ist es aber, denjenigen zu helfen, die finanziell am meisten darauf angewiesen sind. Nicht alle Gemeindebaumietenden sind finanziell benachteiligt, und umgekehrt sind nicht alle im privaten Sektor finanziell gut gestellt. Daher war es mir wichtig, unabhängig von der Art der Wohnung zusätzlich diejenigen zu unterstützen, die es am meisten benötigen, basierend auf einem Einkommensgrenzwert. Es sollte nicht davon abhängen, wer der Vermieter ist, sondern ob der Mieter Unterstützung benötigt. Es geht darum, allen zu helfen. Niemand sollte benachteiligt werden, nur weil er oder sie in einem privaten Haus wohnt. Deshalb der Wiener Wohnbonus.

Der Wiener Wohnbonus wurde 2023 eingeführt. Können Sie uns mehr über dieses Programm erzählen? Wird es weitere Boni geben?
Seit Beginn der Energiekrise und der steigenden Inflation haben wir als Stadt Unterstützung zugesagt. Wir waren die Ersten, die Energiehilfe leisteten und haben im letzten Jahr einige Haushalte mit bis zu 1000 Euro bei den Energiekosten unterstützt. Beim Wohnbonus haben wir gezielt diejenigen unterstützt, die es am dringendsten brauchen. Bislang wurden 560.000 Anträge positiv bearbeitet und insgesamt 112 Millionen Euro ausgezahlt. Jeder bezugsberechtigte Haushalt erhielt 200 Euro als Ausgleich für die steigenden Mieten. Solange die Belastungen aufgrund der stark ansteigenden Inflation zunehmen, werden wir weiterhin Unterstützung leisten.

Gleichzeitig verhandeln wir derzeit die Neuverteilung der gemeinsamen Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Aufgrund von Bundesentscheidungen wie etwa der Steuerreform haben die Bundesländer und Gemeinden geringere Einnahmen und somit deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Und das obwohl Aufgabenbereiche wie Gesundheit, Pflege und Maßnahmen gegen den Klimawandel, die in der Zuständigkeit der Länder und Gemeinden liegen, weiter anwachsen werden. Das hat zuletzt auch das Wirtschaftsforschungsinstitut hat aufgezeigt und bestätigt.. Daher fordern wir eine gerechtere Verteilung der gemeinsamen Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.

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„Mein Ziel ist es aber, denjenigen zu helfen, die finanziell am meisten darauf angewiesen sind,“ so der Bürgermeister Ludwig FOTO: KOSMO

Die Zahl der Einbürgerungen in Österreich ist im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Wie bewerten Sie diesen Rückgang und welche Maßnahmen plant die Stadt, um den Prozess der Einbürgerung zu fördern?
Die Anzahl der Einbürgerungsanträge in Wien variiert je nach den gesetzlichen Änderungen auf Bundesebene. Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung, Nachkommen von NS-Vertriebenen einzubürgern, was zu einem deutlichen Anstieg der Anträge geführt hat. Die Stadt Wien setzt Bundesgesetze um. Die wirtschaftlichen Hürden bei der Einbürgerung betrachten wir jedoch kritisch. Derzeit müssen Antragsteller nach Abzug aller Fixkosten rund 1.100 Euro verdienen, was für einige Berufsgruppen schwer erreichbar ist. Es wäre gerechter, diese wirtschaftlichen Anforderungen zu senken.

Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, Personen, die fünf Jahre in Österreich gemeldet sind und 36 Versicherungsmonate nachweisen können, die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Dies würde ihnen auch das Wahlrecht verleihen. Es wurden bereits Vorschläge in diese Richtung gemacht, jedoch liegt die letzte Entscheidung beim Bundesgesetzgeber.

Österreichs Bundesländer wollen mehr Geld und drohen mit Verfassungsklage

Die MA 35 wird oft wegen ihrer langen Verfahren kritisiert. Wie kann man die jetzige Situation verbessern?

Die Abteilung arbeitet im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung und ist dafür verantwortlich, komplexe Bundesgesetze umzusetzen. Viele Antragsteller empfinden den Prozess als kompliziert, insbesondere aufgrund der erforderlichen Dokumente und Bestätigungen. Die Verfügbarkeit dieser Dokumente variiert je nach Herkunftsland.

Eine Vereinfachung der Antragszusammenstellung würde hierbei hilfreich sein. Um den Bearbeitungsprozess zu beschleunigen, wurden trotz eines generellen Einstellungsstopps 50 zusätzliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingestellt. Nach ihrer Schulung wird erwartet, dass dies zu einer schnelleren Bearbeitung führt. Der Leiter der Abteilung plant außerdem Reformen, um die Verfahren zu beschleunigen und die Kommunikation mit den Antragstellern zu verbessern.

Sehen Sie in Wien spezifische Unsicherheitszonen, in denen verstärkte Maßnahmen erforderlich sind, um die Bevölkerung vor Kriminalität zu schützen?
Wir sind stolz darauf, eine der sichersten Großstädte weltweit zu sein, und streben an, dies auch in Zukunft beizubehalten. Trotz der Herausforderungen der Corona-Jahre und einer wachsenden Bevölkerung verzeichnen wir weniger kriminelle Delikte als vor einem Jahrzehnt. Als Millionenmetropole und eine der größten Städte in der EU gibt es in Wien keine No-Go-Zonen. Dennoch wurden an einigen Orten besondere Maßnahmen ergriffen, wie das Alkoholverbot am Praterstern, um Ansammlungen alkoholisierter Menschen zu vermeiden. An anderen Standorten, wie dem Reumannplatz, wurde bei Bedarf Videoüberwachung eingesetzt. Trotz gelegentlicher Herausforderungen, insbesondere an Verkehrsknotenpunkten, bleibt Wien insgesamt eine sichere Stadt ohne die in anderen Metropolen üblichen No-Go-Zonen.

Welche Initiativen ergreift die Stadtregierung, um die Sicherheit in Wien zu gewährleisten?
Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es in Wien keine spezifischen Gebiete, in denen sozial benachteiligte Gruppen konzentriert leben. Für mich ist die Bekämpfung von Kriminalität nicht allein Aufgabe der Polizei, sondern erfordert auch wirtschaftliche und soziale Maßnahmen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Wiener Polizei ist mir dabei besonders wichtig. Wir setzen uns für eine erhöhte Polizeipräsenz auf den Straßen ein und unterstützen die Rekrutierung neuer Polizeikräfte. Zu diesem Zweck haben wir etwa auch einen Bus eingesetzt, der durch die Bezirke fährt, um Interessenten für den Polizeidienst zu gewinnen. Um die Polizei zu entlasten, hat die Stadt Wien Aufgaben wie das Pass-, Melde- und Fundwesen sowie die Parkraumbewirtschaftung übernommen, wodurch die Polizei sich verstärkt auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren kann.

Wien ist die unfreundlichste Stadt der Welt. Sind Wiener und Wienerinnen wirklich so grantig?
Ich glaube, dass der spezielle Wiener Schmäh nicht ganz verstanden wird. Manchmal ist er etwas doppeldeutig und kann vielleicht unfreundlicher wirken, als es gemeint ist. Der Begriff „Grant“, der für Wien typisch ist, könnte aus der Zeit stammen, als spanische Edelleute – die „Granden“ – im 16. und 17. Jahrhundert nach Wien kamen und wegen des Wetters unzufrieden waren. Die Wienerinnen und Wiener sind freundlich und immer hilfsbereit!