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REPORTAGE

Geschlechtsangleichung: Ein langer und steiniger Weg zur Transition

Dr Ðorđević: „Wir haben gezeigt, dass wir Gebärmutter und Hoden transplantieren können.”

Dr Đorđević ist ein weltweit anerkannter Spezialist für Kinderchirurgie und Urologie. Er ist Experte für die Behandlung von Anomalien des Urogenitalsystems bei Patienten jeden Alters und weltweit führender Experte für geschlechtsangleichende Operationen. Er hat Aus- und Fortbildungen in vielen Ländern der Welt durchlaufen und spricht häufig als Gastvortragender an Universitäten in ganz Amerika und Europa. Für seine Leistungen im Bereich der Urologie wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er ist Autor und Co-Autor von mehr als 80 Arbeiten im Bereich der Urologie und Mitbegründer des Belgrader Zentrums für rekonstruktive Genitalchirurgie, „Belgrade Center for Genital Reconstructive Surgery”. Aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen erhielt Đorđević ein spezielles Aufenthaltsvisum für Amerika und brachte Serbien im Bereich der rekonstruktiven Chirurgie an die Weltspitze.

KOSMO: Zu Ihnen kommen Patienten aus der ganzen Welt, denn Sie sind der führende Spezialist in Ihrem Bereich. Wie viele Operationen führen Sie jährlich durch und wie viele haben Sie bisher insgesamt ausgeführt?
Prof. dr Miroslav Đorđević: Das Belgrader Zentrum für transsexuelle Medizin behandelt jährlich etwa 200 Patienten, von denen sich ca. 120 einer chirurgischen Transition von einem zum anderen Geschlecht unterziehen.

Aus welchem Teil der Welt kommen die meisten Ihrer Patienten?
Da gibt es keine genaue Statistik und die Zahlen variieren, aber die meisten kommen aus Ex-Jugoslawien, gefolgt von den europäischen Ländern, Israel, Amerika und Fernost.

Sie arbeiten in einem Land, das für seine Homophobie bekannt ist. Wie wird Ihre Arbeit von der serbischen Öffentlichkeit gesehen und haben Sie sich schon einmal bedroht gefühlt, zum Beispiel von radikalen Gruppen?
Das war vielleicht vor zehn oder mehr Jahren der Fall. Heute ändert sich das alles, und ich kann sagen, zum Besseren. Es gibt immer mehr transsexuelle Personen, die sich öffentlich und in verschiedenen Settings als Berater betätigen, um all jene zu unterstützen, die Angst haben, Hilfe zu suchen.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Patienten, die zu Ihnen kommen, immer jünger werden. Hängt das mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen, weil gegenüber dem Thema der Transsexualität mehr Offenheit besteht und sich Transpersonen daher schon in jüngerem Alter outen können?
Auf jeden Fall. Dank der modernen Kommunikationsmittel, einer größeren Offenheit und einem besseren Informationsfluss senkt die Altersgrenze, an der Transpersonen sich ihres Körpers bewusst werden und dem Beispiel anderer folgen. Sie suchen sich schon in der frühen Adoleszenz Hilfe. Großen Einfluss hat auch die Unterstützung der Familie, so bekommen die Jugendlichen heute leichter Antworten auf ihre Fragen und auch die Möglichkeit, sich Genitalien machen zu lassen, die zu ihren Gefühlen passen.

Wissen Sie, wie die Situation der LGBTQ-Gemeinschaft in Serbien derzeit ist und wo Serbien im Vergleich mit anderen Ländern der Welt steht?
Ich kann sagen, dass wir im Vergleich zu den europäischen Ländern ziemlich gut dastehen. Wir haben alle Aspekte des Problems erkannt und haben es geschafft, für unsere transsexuellen Personen fast kostenlose Behandlungsmöglichkeiten einzurichten. Das trägt mit Sicherheit auch viel zum Ansehen unseres Landes bei, aber vor allem zu einer besseren Situation für die Transgender-Community.

Übernimmt die Krankenversicherung die medizinischen Kosten der Geschlechtsanpassung?
Bei Personen, die in Serbien versichert sind, übernimmt die Krankenversicherung zwei Drittel der Kosten. Wir bemühen uns darum und hoffen auf die Bereitschaft der zuständigen staatlichen Behörden, dass die Behandlung von transsexuellen Personen in Serbien bald ganz von der Krankenkasse finanziert wird, ohne irgendeine Selbstbeteiligung der Transgender-Versicherten.

Änderungen des Geschlechts umfassen auch mentale und hormonelle Anpassungen.

Sind es häufiger Frauen oder Männer, die eine Geschlechtsanpassung vornehmen lassen?
Das ist im Moment unklar. Vor zehn und mehr Jahren haben wir Statistiken vorgestellt, nach denen die Zahlen in etwa gleich oder ähnlich waren. Damals war es offiziell so, dass unter 30.000 Neugeborenen eine Transgenderperson war. Heute wissen wir, dass eines von 3.000 Babys transsexuell ist. Bestätigte Statistiken darüber, in welche Richtung das Geschlecht geändert wird, gibt es noch nicht. Aber das ist auch nicht so wichtig wie die Tatsache, dass wir unabhängig von der Richtung der Transition über Methoden verfügen, allen auf gleichermaßen zu helfen.

Wie viele Operationen werden im Durchschnitt gebraucht, um das Geschlecht vollständig anzupassen?
Von männlich zu weiblich meistens nur eine Operation. Von weiblich zu männlich zwischen einer und drei Operationen. Da sind zusätzliche Eingriffe zur Behandlung eventueller Komplikationen nicht eingerechnet.

Verläuft dieser Prozess in anderen Staaten (z. B. Österreich) gleich und was macht Serbien neben Ihrer Kompetenz zum Weltführer in diesem Bereich?
Der Prozess ist in allen Ländern, die die Standards unserer Weltorganisation („Standards of Care” der World Professional Association for Transsexual Health) anerkennen, derselbe.

Eine Geschlechtsangleichung ist ein langer Prozess, der nicht nur physische Veränderungen umfasst, sondern auch mentale und hormonelle Anpassungen. Wie sieht der ganze Prozess aus und welche Phasen der Patient durchläuft?
Der erste Schritt ist eine Therapie durch Psychologen oder Psychiater, die über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr untersuchen, ob ein Problem der Gechlechtsidentität vorliegt. Der nächste Schritt ist, tatsächlich mit den Hormonen des gewünschten Geschlechts zu leben. Dieser Prozess dauert ebenfalls mindestens ein Jahr. Wenn auch danach noch feststeht, dass die Person transsexuell ist, wird mit der unumkehrbaren Transition durch Aufbau der gewünschten Genitalien begonnen.

„Das Wichtigste ist, dass sie einen guten Therapeuten und Arzt wählen und auf diese Weise fehlerhafte Behandlungen vermeiden.“

Prof. dr Miroslav Đorđević

Aufgrund einer fehlerhaften oder ungenügenden psychiatrischen Begutachtung kommt es vor, dass sich Patienten für die rekonstruktive Chirurgie entscheiden und sich anschließend doch ihr ursprüngliches Geschlecht zurückwünschen. Kann man das rückgängig machen?
Leider gibt es immer Menschen, die die Transition nachträglich bereuen und sie rückgängig machen wollen. Unser Zentrum ist vielleicht das einzige der Welt, das diese Möglichkeit in einer Reihe operativer Eingriffe anbietet. Aber wir müssen zugeben, dass die Genitalien, die wir wiederherstellen, nicht annähernd denen gleichen, die aufgrund der falschen Begutachtung bei der Transition entfernt wurden. Darum ist mein Rat auch, dass sich mit diesem Thema und diesem Problem nur Experten beschäftigen, die eine entsprechende Ausbildung dafür haben und bereits über hinreichend Erfahrung verfügen.

Worauf sollten Personen, die eine Geschlechtsanpassung wollen, Ihrer Meinung nach vor und nach den Operationen achten?
Das Wichtigste ist, dass sie einen guten Therapeuten und Arzt wählen und auf diese Weise fehlerhafte Behandlungen vermeiden. Sehr oft beginnen transsexuelle Menschen ihre Transition nicht mit Fachleuten und verlieren auf diese Weise Zeit oder treffen falsche Entscheidungen, die weitreichende Folgen haben können.

Wie wird die Zeugungsfähigkeit durch die Geschlechtsanpassung beeinträchtigt, bzw. kann man nach einer Anpassung der Genitalien schwanger werden?
Die Frage der Elternschaft transsexueller Personen ist eine der Hauptfragen der Bioethik. Auf jeden Fall haben diese Menschen das Recht auf Glück und Elternschaft. Das ist durch die Konservierung von Geschlechtszellen vor Beginn der hormonellen Transitionen möglich, die in einer späteren Lebensphase eingesetzt werden können.

Eine Ihrer bekanntesten Operationen war die erste Hodentransplantation der Welt und Sie planen auch eine Penistransplantation. Wie lange haben die Vorbereitungen für diese Operationen gedauert oder dauern sie noch immer an?
Das sind langfristige Projekte, in denen wir zuerst an toten Körpern Techniken entwickeln und Möglichkeiten erproben. Die Transplantation von Genitalien ist mein Lebensprojekt, denn ich kann mich nicht mit der Tatsache abfinden, dass die entfernten Genitalien nach der Transition von einem zum anderen Geschlecht auf dem Müll landen. Darum arbeite ich daran, Möglichkeiten zur Transplantation dieser Organe zu finden und der Welt dafür die Augen zu öffnen, damit wir gemeinsam um jedes Organ kämpfen, das gesund und funktionsfähig ist. Wir haben bereits gezeigt, dass wir Gebärmütter und Hoden problemlos transplantieren können. Der nächste Schritt ist die Transplantation eines Penis, an der ich bereits seit sieben Jahren arbeite und die wir hoffentlich bald durchführen können.

Welche Ihrer Operationen war bisher die schwerste bzw. herausforderndste?
Eine große Herausforderung war die Behandlung vieler schwerer angeborener Anomalien bei Kindern, denen wir zu mehr Normalität verhelfen wollten. Herausfordernd waren auch viele Patienten mit verschiedenen Anomalien, die in anderen Zentren und in anderen Ländern schlecht behandelt worden waren. Und natürlich die Operationen, die wir aufgrund unserer Erfahrung konzipiert und mit außerordentlichem Erfolg durchgeführt haben.