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INTERVIEW

„Max wird anders benotet als Mehmed“

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Ihr Buch sorgte für viel Diskussionen: Mit "Generation Haram" traf Melisa Erkurt den Puls der Zeit. Foto: Mario Ilić/KOSMO

Ihr Buch „Generation Haram“ beschäftigt sich mit den Verlierern des Bildungssystems.

Wir trafen die Journalistin und ehemalige Lehrerin Melisa Erkurt zum Interview.

In deinem Buch kommst Du zur Conclusio, dass Kinder mit Migrationshintergrund vom Bildungssystem strukturell diskriminiert werden. Woran lässt sich das festhalten?
Kinder mit Migrationshintergrund wachsen mit einem Stempel auf. Noch größer ist dieser, wenn sie aus einer Arbeiterfamilie kommen. Die meisten schaffen es selten an höhere Schulen und gewisse Schultypen sind für Kinder mit Migrationshintergrund gar nicht vorgesehen. Einige Studien zeigen, dass Mehmed anders als Max benotet wird. Wir haben ein strukturelles Problem im Bildungssystem.



Dein Buch rückt die schulischen Probleme migrantischer Jugendlicher ins gesellschaftliche Bewusstsein. Doch: Was muss letztendlich passieren?
Dieses Bildungssystem wurde federführend von autochtonen Akademikern gemacht. Was fehlt ist die Diversität und der Blickwinkel auf die verschiedenen Realitäten verschiedener SchülerInnen. Ebenso ist klar, dass dieses Bildungssystem nicht gemacht wurde, um soziale Ungleichheiten zu verändern. Von unten brauchen wir eine neue Struktur: ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr sowie eine Ganztagsschule mit attraktiven Angeboten.

„Lehrerinnen brauchen mehr interkulturelle kompetenz, um missverständnissen im klassenzimmer vorzubeugen.“

– Melisa Erkurt, Journalistin und Buchautorin

Vor allem LehrerInnen sind laut deinem Buch gefordert. Was braucht es in der LehrerInnen-Ausbildung, um die Herausforderungen der „Generation haram“ anzunehmen?
LehrerInnnen brauchen vor allem mehr interkulturelle Kompetenz, um Missverständnissen und Stereotypen im Klassenzimmer vorzubeugen. Auch ein positiverer Umgang mit der Mehrsprachigkeit und Vielfalt ihrer SchülerInnen sollte gegeben sein. Ebenso ein wenig repräsentiertes Thema im Klassenzimmer ist das Phänomen Social Media, vor allem im Bezug auf Radikalisierung. Es braucht Lehrer, die die Welt der Schüler verstehen, aber auch die Inhalte in den Medien und sozialen Netzwerken, mit denen sie konfrontiert sind.

Du hast studiert, wurdest Journalistin und Lehrerin. Was würdest du den betroffenen Jugendlichen mit auf dem Weg geben?
Es ist wichtig, dass sie wissen, dass nicht sie das Problem sind. Das Problem ist das Bildungssystem. Was sie allerdings lernen müssen, ist sich und ihre Welt zu artikulieren. Sie brauchen Werkzeuge, wie sie es hier schaffen – in Österreich ist das oft ein sehr gutes Deutsch und ein selbstbewusstes Auftreten.

Dein Titel „Generation haram“ weckt einerseits starke Aufmerksamkeit für das Thema. Andererseits rückt er vor allem muslimische Jugendliche in den Fokus. Ist das überhaupt gut für die Debatte, wenn sich diese immer wieder um diese dreht?
Wenn in den Medien, aber auch in Experten-Debatten über Problemschüler berichtet wird, ist immer wieder die Rede von muslimischen Jugendlichen. Dass sie nicht die Verursacher des Problems sind, sondern das System selbst, wird dabei verschwiegen. Die „Generation haram“ steht vor den größten Hürden im Bildungssystem. Wo sehen sich die Alis und Muhammeds außer in den oe24-Schlagzeilen?

Letztens bist Du in einer Diskussion mit Bildungsminister Heinz Faßmann gewesen. Er gab dir in mehrere Punkten Recht. Hat dich das überrascht?
Ich hatte den Eindruck, dass er genau weiß, wovon ich rede. Die Frage ist allerdings wieso nichts passiert, wenn man über die Probleme des Bildungssystems Bescheid weiß.