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LEBENSRETTUNG

Nikola Kodžić spendete Leber an die 4-jährige Mila (GALERIE)

FOTO: KOSMO

LEBENSRETTUNG. Wenn ein Organ im menschlichen Körper versagt und herkömmliche Behandlungsmethoden keine Hoffnung auf Heilung bieten, ist eine Transplantation die einzige Lösung. Der Wettlauf gegen die Zeit ist schrecklich und häufig liegt die einzige Hoffnung in einem Spender. Glücklicherweise gibt es solche guten Menschen.

Österreich ist Mitglied von Eurotransplant und das Gesetz über Transplantationen ist so, dass der Erhalt eines neuen Organs sicher ist, wenn dafür die medizinische Indikation besteht. Natürlich kann die Bürokratie manchmal langsam sein oder man muss einfach länger auf ein passendes Organ warten. Leider ist das alles in den Ländern des Westbalkans viel schwerer, denn die Menschen haben sich viel weniger mit Organspenden auseinandergesetzt und haben aufgrund mangelnder Information auch mehr Angst.

Wenn die nächsten Angehörigen aus berechtigten Gründen kein Organ spenden können und kein Geld für eine Behandlung im Ausland vorhanden ist, ist der Patient zur Dialyse verurteilt, sofern es um die Nieren geht, oder zum schnellen Sterben, wenn es sich um die Leber oder um Haut handelt. Bei den Recherchen zu diesem Thema ist KOSMO jedoch auf strahlende Beispiele von Humanität und Menschlichkeit gestoßen.

Alle Transplantationspatienten, mit denen wir gesprochen haben, sind ebenso wie auch ihre Retter sehr jung, und dass das menschliche Engagement keine Grenzen kennt, zeigt auch die Tatsache, dass die Organspender und die Empfänger aus unseren Geschichten nicht miteinander verwandt waren.

Nikola Kodžić (25) und  Mila Ćorić (4)

Bei uns sagt man, dass Gott im Himmel, der Pate jedoch auf Erden ist. Die Familien Kodžić und Ćorić sind durch mehrere Patenschaften verbunden und es besteht bereits eine langjährige Freundschaft zwischen ihren Eltern. Einen Schritt weiter ging man vor drei Jahren, als Nikola, der Sohn von Maja und Perica Kodžić, aus eigenem Antrieb eine Leber für Mila, die damals einjährige Tochter von Sanela und Goran Ćorić, spendete. Beide Ehepaare haben drei Kinder.

„Mila ist unser jüngstes Kind. Sie wurde als gesundes Baby mit einer etwas ausgeprägteren physiologischen Gelbsucht geboren, die sich zurückbildete. Aber da sie die ganze Zeit hellen Stuhl und einen geblähten Bauch hatte, bin ich mit ihr zum Kinderarzt gegangen, der meinte, das sei normal wegen der Gelbsucht, die sie nach der Geburt hatte. Als Mila mit vier Monaten Fieber bekam, fuhren wir ins Krankenhaus, wo die Ärzte sofort den Verdacht hatten, dass etwas nicht in Ordnung war, was auch die Laborbefunde bestätigten“, erinnert sich Sanela Ćorić an den Anfang ihres Leidensweges.

BIOPSIE. Das vier Monate alte Baby hatte eine Leberzirrhose.

Mila wurde ins AKH überwiesen, wo festgestellt wurde, dass ihre Leber und Milz vergrößert waren, und die Biopsie ergab, dass das Baby eine Leberzirrhose hatte. Die Prognose der Ärzte war, dass sie vor dem vollendeten zweiten Lebensjahr eine Transplantation brauchen würde. Für die Eltern brach eine Welt zusammen.

„Uns wurde gesagt, dass wir zwei Möglichkeit hatten. Die erste war, dass unsere Tochter auf die Liste für Transplantationen gesetzt wurde, wobei eine Wartezeit von sechs bis neun Monaten bestehen würde. Die zweite Möglichkeit war, dass jemand aus der Familie ein kompatibler Spender sein könnte. Meine Frau wurde aufgrund unterschiedlicher Blutgruppen sofort ausgeschlossen und ebenso war es auch mit mir, weil die Laborbefunde nicht passten. Also begannen wir nach einem Spender zu suchen“, schaltet sich Milas Vater Goran ein.

Die Kodžićs und die Ćorićs verbinden mehrfache Patenschaften, die aus der Freundschaft ihrer Eltern hervorgegangen sind. (FOTO: KOSMO)

Leider befanden die Chirurgen, dass das kleine Mädchen kein hinreichend schwerer Fall war, um auf die Transplantationsliste zu kommen. Und dann betrat eines Tages Nikola Kodžić das Krankenzimmer, der damals Student war und auch viele andere Aktivitäten betrieb.

„Unter Tränen habe ich ihm erzählt, was passiert ist, und habe dabei mein Kind  mit seinem geschwollenen Bäuchlein und der veränderten Hautfarbe angeschaut. Er hörte mir aufmerksam zu und sagte mir dann ganz ruhig: ‚Weine nicht, Patin! Ich habe ihre Blutgruppe, ich werde ihr eine Leber geben.‘ Ich war geschockt, hörte auf zu weinen und erklärte ihm dann, dass der Spender mit Mila blutsverwandt sein müsse und dass er überhaupt nicht darüber nachzudenken bräuchte. Nikola sagte mir, er würde sich bei dem Arzt nach allem erkundigen und würde sich testen lassen“, erzählt Sanela bewegt.

Zu dieser Zeit lebte Nikola schon nicht mehr bei seinen Eltern, aber wann immer er sie besuchte, hörte er die Geschichten über den Kampf um das Leben der kleinen Mila und fühlte sich davon immer stärker berührt.

„Mama hat einmal erwähnt, welche Blutgruppe Mila hat, und hinzugefügt, dass ein Spender gesucht wurde. Ich glaube, dass in diesem Moment in meinem Kopf der Gedanke geboren wurde, dass ich das sein könnte, aber ich sagte nichts. Ich begann im Internet über Lebertransplantationen nachzulesen, denn mir war klar, dass ich helfen musste. Ich dachte, dass ich mein Studium und meine Arbeit unterbrechen würde, bis das beendet wäre, denn das war wesentlich weniger wichtig als das Leben unserer Mila. Ich hatte auch gelesen, dass diese Operation beim Spender selten Folgen hinterlässt, aber für sie war das die einzige Chance zu überleben.

Vor meinem Besuch im Krankenhaus hatte ich bereits entschieden, dass ich ihr die Chance geben wollte. Und auch, wenn ich fünf Jahre weniger leben werde als der Durchschnitt, zahlt sich das Opfer aus, denn sie wird mindestens zwanzig Jahre länger leben“, erzählt Nikola KOSMO voller Emotion. Es folgte eine Testung und ein Gespräch mit einem Psychologen, der überprüfte, ob Nikola sich der Schwere seiner Entscheidung bewusst war. Dann war die Ethikkommission an der Reihe, die untersuchte, ob bei Nikolas Entscheidung finanzielle oder andere Interessen im Spiel waren. Alle kamen zu dem Schluss, dass sein Beschluss Ausdruck einer echten Verbundenheit mit den Paten war, und so dachten auch die Eltern des mutigen jungen Mannes.

GLÜCK. Nikola Kodžić: Zum Glück ist alles gut ausgegangen. Der Teil meiner Leber, den Mila bekommen hat, passt perfekt zu ihrem Organismus. (FOTO: KOSMO)

„Alles war ein schrecklicher Alptraum. Natürlich war ich unglaublich stolz auf Nikola, aber ich konnte meine Angst doch nicht besiegen. Jeder Tag begann und endete mit dem Gedanken „Lieber Gott, ob das gut ausgehen wird?“ Ich wollte, dass wir so bald wie möglich einen Operationstermin bekamen, aber ich sprach mit meinem Mann nicht darüber, obwohl wir gleich dachten“, fügt Nikolas Mutter Marjana hinzu, während der Vater Perica noch erwähnt, dass sie nie daran gedacht hätten, ihm das auszureden und dass sie froh waren, dass er die Entscheidung alleine getroffen hat. Die Ärzte entschieden, dass die Operation in Hannover erfolgen sollte, weil Mila zu schwach und zu klein war und weil in Wien solche risikoreichen Transplantationen nicht durchgeführt werden. Als der Termin feststand, hatte Sanela Ćorić keine Angst mehr um ihre Tochter. Die Ärzte in Wien sagten ihr offen, dass die Kleine jeden Moment sterben könnte, daher wusste sie, dass die Operation ihre einzige Chance war.

„Ich konnte kein Auge zumachen, ich dachte nur an Nikola und weinte viel. In meinem Kopf gab es nur den einen Gedanken: Was, wenn ihm etwas passiert? Ich könnte nicht mit dem Wissen leben, dass einem gesunden Kind etwas Schlimmes passiert ist, weil es mein krankes Kind retten wollte. Die Untersuchungen in Hannover dauerten wochenlang, sowohl bei Mila als auch bei Nikola. Am Tag der Operation brachten sie am Morgen zuerst ihn in den Operationssaal und Patin Maja, mein Mann und ich blieben alleine bei Mila. Als sie auch sie holten, wurde uns freundlich mitgeteilt, dass mit Nikola alles nach Plan verlief“, erinnert sich die geprüfte Mutter an diesen schweren Tag. Als Nikola aus dem Operationssaal auf die Intensivstation verlegt wurde, waren die beiden ängstlichen Mütter bereits dort. Da sich das Warten um drei zusätzliche Stunden verlängert hatte, waren beide in schrecklicher Panik. Die Angst um Nikolas Leben lähmte sie.

„Ich glaube, erst als man uns endgültig sagte, dass mein Sohn auf die Abteilung verlegt wurde und dass alles in Ordnung sei, habe ich  wieder begonnen zu atmen. Wir gingen in das Zimmer und Nikola schlief noch, umgeben von Apparaten und Schläuchen. Irgendwann brachten sie dann auch Mila aus dem Operationssaal. Wir konnten nicht sprechen, wir beide hatten nur einen Gedanken im Kopf: Gott-sei-Dank, unsere Kinder leben! Das kann nur jemand verstehen, der selbst um das Leben seines Kindes gefürchtet hat“, erzählt Marjana Kodžić weinend.

Nikola erinnert sich, dass er die Stimme seiner Mutter wie aus der Ferne hörte, er erinnert sich an Schmerzen und Brechreiz und dass er die Augen nicht öffnen konnte. Durch seinen Kopf ging der Gedanke, dass Sanela seinetwegen litt, aber er konnte ihr nicht zeigen, wie schwer das Erwachen aus der Narkose war. Später erzählte ihm der Arzt, was auf dem Operationstisch passiert war.

EINE GROSSE KÄMPFERIN

SIE WAR GESUND. Sie hatte eine etwas ausgeprägtere physiologische Gelbsucht, die ganz zurückgegangen ist. Jetzt entdeckt Mila Ćorić die Welt, denn seit ihrer Geburt war sie ans Bett gefesselt. (FOTO: KOSMO)

Mila hat noch immer gesundheitliche Probleme, die nichts mit der Leber zu tun haben. Sie hat ein Geschwür bekommen und anschließend einen bösartigen Tumor im Magen, ihr Immunsystem ist schwach und jedes Bakterium und jeder Virus richten in ihrem Organismus ein Chaos an. Sie ist oft im Krankenhaus, wo sie als große Kämpferin der Liebling der Ärzte und Krankenschwestern ist.

„Während sie mich auf die Operation vorbereiteten, sagten sie mir, dass eine 0,5-prozentige Chance bestand, dass ich sterben könnte, dass dieser tragische Fall aber nur eintreten würde, wenn sie nach der Entnahme des Leberteils die Blutung nicht stillen könnten. Und wirklich wurde es schwierig, weil sich das wichtigste Blutgefäß in die Leber zurückzog und die Blutung zuerst nicht gestoppt werden konnte. Das war der Grund, warum ich einige Stunden länger im Operationssaal bleiben musste. Zum Glück ist alles gut ausgegangen und der Teil meiner Leber, den Mila bekommen hat, passte perfekt zu ihrem Organismus. Alle Blutgefäße passten zusammen, als wäre dieser Teil nur für sie dagewesen. Ich bin wirklich froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe, denn die Ärzte fragten sich nach der Operation, wie sie überhaupt gelebt hatte“, erzählt Nikola, der sich nur schwer überreden ließ, über seine gute Tat in der Zeitung zu berichten, bescheiden.

Nach der Operation begann Mila, die Welt zu entdecken, denn seit ihrer Geburt war sie ans Bett gefesselt. Leider hat sie noch immer gesundheitliche Probleme, die nichts mit der Leber zu tun haben. Sie hat ein Geschwür bekommen, dann einen bösartigen Tumor im Magen, ihr Immunsystem ist sehr schwach und jedes Bakterium und jeder Virus richtet in ihrem Organismus ein Chaos an. Sie ist oft im Krankenhaus, wo sie als große Kämpferin der Liebling der Ärzte und Schwestern ist. Hoffnung gibt die Prognose der Ärzte, dass sich ihr Zustand mit dem Größerwerden und der Stärkung des Immunsystems stabilisieren wird.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.