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Serbische Roma helfen WienerInnen: „Ja, auch wir haben eine Seele“

Humanitäre_Aktion_Roma
FOTO: zVg

Eine Gruppe serbischer Roma und Sinti aus Wien hat die letzten Wochen eine beachtliche Hilfsaktion für existenziell bedrohte Menschen in Wien auf die Beine gestellt.

Von der Idee getragen, Menschen zu helfen, die durch das Coronavirus in eine finanziell problematische Situation gekommen sind, fing eine Gruppe von 20 Menschen mit der Aktion im dritten Bezirk an. Man sammelte Lebensmittel, veröffentlichte Aufrufe in den sozialen Netzwerken und rief darin zur Menschlichkeit und Mithilfe auf. Nachdem man nach dem gleichen Modell auch im 20. Wiener Gemeindebezirk sammelte, tat man das Gleiche auch im 15. Bezirk. Insgesamt wirkten in den zwei Wochen am Ende 140 Menschen in der Aktion mit und halfen somit dabei, die Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf sozial schwache Familien abzufedern. Wir sprachen mit einigen Menschen aus der serbischen Roma-Community, die sich an der Sache oft nicht nur beteiligt haben, sondern ihre Zeit und Energie dafür aufgeopfert haben.

Lebensmittel gesammelt
Die Aktion ging von Saša Mitrović, einem Autoverkäufer, aus. „Ich muss vor allem unseren Freunden Žare und Don Diego (Spitzname) danken, die die Aktion im 3. und im 20. Bezirk auf die Beine gestellt haben. Wir haben das Ganze fortgesetzt im 15. Bezirk weil uns unser Freund Brana Petrović, Inhaber des Lokals Matrix, seine Räumlichkeiten zur Verüfung gestellt hat. Die rechtliche Absicherung erfolgte durch den Verein Kolonia, hier haben wir die meiste Zeit verbracht und unsere privaten Pflichten vergessen. Wir haben von den SpenderInnen alles bekommen: Kartoffel, Zwiebel, Öl, Zucker, Mehl, Reis, Nudeln, Fisch, Milch, Dosenfutter, Wurst und Fleisch, Säfte, Zuckerln, Windeln, Feuchttüchter, usw. Man hat uns auch Geld angeboten, aber wir haben das abgelehnt. Wir wollten nicht, dass irgendjemand irgendwelche Zweifel an unserem Vorhaben hat und uns dann beschuldigt“, sagt Mitrović. 

Saša Mitrović ist Initiator der Aktion, die vielen sozial schwachen Wiener Familien in der schlimmsten Phase der Coronavirus-Krise geholfen hat.

Er erklärt uns, dass alle TeilnehmerInnen der Aktion Roma aus Serbien sind, genauso wie die SpenderInnen. Unabhängig davon, schaute man bei der Verteilung nicht auf die Nationalität. Im Gegenteil. „Es kamen sehr viele Leute aus unserer Community, die ohne Job sind, aber auch diejenigen, die hier kurz waren und nicht mehr nach Hause nach Serbien konnten aufgrund der Grenzschließung. Unter den ersten war eine Frau, die in Tränen zu uns kam, die sich auf den Weg nach Serbien machten, aber im Niemandsland zwischen Österreich und Ungarn fünf Tage aufgehalten wurde. Sie sind zurück gekomme nach Wien, aber ohne Mittel zum Leben. Aber es gab auch Menschen aus Rumänien, Bulgaren, Türken, Tschetschenen, aber auch Österreichern, denen wir geholfen haben. Beim Alter gab es auch Unterschiede – von Jugendlichen bis zu Pensionisten. Wir fragten immer nach, wie viele Familienmitglieder im Haushalt sind, was gebraucht wird“, erinnert sich Mitrović. Viele waren auch zu Tränen gerührt und konnten es nicht wahrhaben, dass jemand ihnen helfen will. 

„Ich stellte Lebensmittel zu“
Als er von der Aktion erfuhr, schloss sich der Juwelier Saša Antonijević gleich als Spender an. Er fuhr Lebensmittel und Lunchpakete zu allen drei Sammelpunkten in Wien. „Ich war der erste Spender. Ich ging in den Supermarkt und kaufte Lebensmittel, die nicht so schnell ablaufen. An allen drei Sammelpunkten in den verschiedenen Bezirken waren Leute bereit, ihre Lokalitäten und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Für mich war gleich klar, dass ich da mitmache. Wir haben uns einen gewissen Wohlstand und Standard erkämpft und wissen gleichzeitig, dass es Leute gibt, die mit Mühe und Not überleben – vor allem jetzt, nachdem viele von ihnen auch noch arbeitslos geworden sind. Ich habe eine Familie, wir leben gut, aber wer weiß was morgen ist. Deswegen beteilige ich mich und deswegen ist mein Herz erfüllt, wenn ich all die lachenden Menschen sehe. Wenn es wieder ein Projekt gibt, bin ich wieder dabei“.

Der Juwelier Saša Antonijević zweifelte nicht lange: „Es war klar, dass ich da dabei sein muss“.

Dabei war auch Zlatko Nikolić, ein Kellner der aufgrund seines Jobs alleine sehr viele Menschen kennt und dazu beigetragen hat, die Aktion in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. „Mein Hobby ist Grafikdesign und ich bin mit vielen Menschen auf Facebook befreundet. Das erleichterte mir vieles. ich war mit Žare im dritten Bezirk, machte dann im 20. Bezirk weiter und es war klar, dass ich weiter mache. Viele glaubten mir in Wien nicht, dass es hier so arme Menschen gibt. Und die Leute, die ohne Arbeit sind, weinten teilweise als sie uns von ihrem Leid erzählten. Traurigerweise gab es einige, die uns überheblich und arrogant anschauten, teilweise unser Engagement belächelten. Einmal reagierte ich wütend und traurig zugleich und sagte. ‚Leute, auch wir Roma haben eine Seele, auch wir sind Menschen, auch wir wollen helfen‘. Der Kampf gegen die Klischees ist immer schwierig. Die Leute ist es schwer davon zu überzeugen, dass man etwas nicht aus Eigennutz macht oder ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Zlatko Nikolić nutzte auch seine Grafikkenntnisse, aber auch seine zahlreichen Bekanntschaften als Kellner, um den Menschen zu helfen.

Einer der dafür sorgte, dass Lebensmittel auch nach Hause geliefert werden, ist Dejan Todorović, zugleich Inhaber eines Taxiunternehmens. „Wir alle wissen, wie es ist, wenn man nichts hat. Unsere Eltern kamen hierher als Gastarbeiter und führten ein schweres Leben in Armut. Uns geht es jetzt gut, wir leben schön, aber wir haben gelernt, dass wir nicht arrogant oder überheblich sein dürfen. Für mich war es selbstverständlich, mich hier zu beteiligen. Ich macht ein Video, welches 16.000 Views bekam. Gleichzeitig einigten wir Taxifahren uns, den Leuten, die krank sind und nicht das Haus verlassen können, die Lebensmittel nach Hause zu fahren. 

„Wir alle wissen, wie es ist, wenn man nichts hat. Unsere Eltern kamen hierher als Gastarbeiter und führten ein schweres Leben in Armut“, sagt Dejan Todorović, der älteren Menschen Lebensmittel zustellte.

Unter den Taxifahrern, die den Menschen die Lebensmittel nach Hause brachten, war auch Dejan Pavlović. „Es gab einige rührende und bewegende Begegnungen. Eine Frau kam und weinte vor dem lokal und sagte mir: ‚Ich brauche Milch, für mein Baby’. Als ich sah, dass wir schon die ganze Milch hergegeben haben, war ich auch verzweifelt. Ich nahm mein Geldbörsel, nahm 50 Euro daraus und gab es ihr. Ich konnte ihre Tränen nicht mitansehen. Ich werde viele für mein Leben lang nicht vergessen. Ich bereue keine Sekunde und keinen Cent, mit dem ich die Aktion unterstützt habe. Und ich hoffe, dass wenn es wieder etwas gibt, noch mehr Leute kommen und sich beteiligen“.

Dejan Pavlović: „Ich bereue keine Sekunde und keinen Cent, mit dem ich die Aktion unterstützt habe.“
Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.