Obwohl das Leben sie nicht mit Samthandschuhen angefasst hat, sagt sie noch immer, dass es schön ist. Seit Jahren verrichtet sie Männerarbeit, hat sich dabei aber ihre zarte Seele bewahrt und versorgt ihre Familie mit Hingabe. Dies ist ihre Lebensgeschichte.
Wir haben Verica Stojić (49) in ihrem schönen, großen Einfamilienhaus getroffen, umgeben von einem Garten, der von den Spiel- und Sportgeräten ihrer Enkel beherrscht wird. Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass in diesem Haus neben den Familienmitgliedern auch die Liebe wohnt. Die Heldin unserer Geschichte stammt aus der Gegend von Negotin (Serbien). Sie war erst drei Jahre alt, als sie mit ihren Eltern, die von einer besseren Zukunft träumten, nach Wien kam. Leider hielt das Familienglück nicht lange an und das Mädchen kehrte nach Serbien zurück und absolvierte dort die Schule. Mit 18 Jahren kam sie wieder nach Wien, diesmal jedoch als verheiratete Frau und bereit, gemeinsam mit ihrem Ehemann Dragan fleißig zu arbeiten und sich etwas aufzubauen. „Ich hatte ein unbeschränktes Visum, daher habe ich auch gleich als Zimmermädchen in einem Hotel Arbeit gefunden. Ich hatte keine Probleme mit der Sprache, denn ich hatte in der Schule Deutsch gelernt. Bald bekam ich auch die österreichische Staatsbürgerschaft und konnte damit auch meinem Mann die Aufenthalts- und Arbeitspapiere sichern. Damals war es nicht schwer, Arbeit zu finden. Wichtig war nur, dass man arbeiten wollte. Und wir waren jung und fleißig, uns war nichts zu schwer. Mein Mann arbeitete als Busfahrer und ich blieb in der Hotellerie. Obwohl ich nur die achtjährige Schule abgeschlossen hatte, kam ich gut zurecht. Ich behaupte nicht, dass alles leicht war, aber in diesem Alter sieht man alles durch die rosarote Brille, vor allem, wenn man den Wunsch hat, etwas zu erreichen“, erinnert sich Verica an ihren Anfang in Wien.
Schon bald bekam das Ehepaar Stojić die Söhne Silver (31) und Brandon (27). Damit war ihr Glück vollkommen und ihr Wunsch, zu arbeiten und für ihre Kinder etwas aufzubauen, wurde noch stärker.
„Unsere Kinder waren gesund und brav, sie gingen in den Kindergarten, während wir arbeiteten. Irgendwann bekamen wir eine hinreichend große Hausbesorgerwohnung, und so betreuten wir neben unseren regulären Jobs auch noch bis zu drei Gebäude einschließlich Winterdienst. Ob sie es glauben oder nicht, diese Wohnung haben wir noch immer und die Kinder kümmern sich um das Haus. Mein Mann hat mir bei allem geholfen, wir haben an einem Strang gezogen, und nach der Arbeit sind wir zum Musikhören in Kaffeehäuser gegangen und haben mit unseren Freunden getanzt“, erzählt unsere Gesprächspartnerin von den guten alten Zeiten.
Die Stojićs waren sich in allem einig, blickten nach vorne und planten für ihre Kinder die Zukunft. Sie arbeiteten mit Freude, um ihren Söhnen ein leichteres Leben zu bieten.
„Vor 15 Jahren haben wir ein altes Haus in Strasshof gekauft, dass wir langsam renoviert und erweitert haben. Wir sind am Wochenende hierhergekommen und haben alles, was möglich war, selber gemacht. Nur für die Facharbeiten haben wir Firmen beauftragt. Wir hatten keine Eile, denn wir glaubten, wir hätten alle Zeit der Welt. Vor 13 Jahren entschieden mein Mann und ich, uns beruflich selbständig zu machen, denn er konnte aufgrund von Rückenproblemen nicht mehr Bus fahren. Daher gründeten wir mit einem einzigen LKW eine Transportfirma. Nach einiger Zeit bekamen wir einen großen Auftrag, der 24 Stunden Arbeit erforderte. Da wir jedoch nicht genügend Fahrer finden konnten, habe ich mich entschieden, mit dem LKW-Fahren anzufangen. Mein Mann konnte nicht glauben, dass ich das kann, aber ich war hartnäckig. Er zeigte mir die wichtigsten Dinge und ich gebe zu, dass ich die ersten drei Monate in der Nacht gefahren bin, ohne einen Führerschein für diese Kategorie zu haben. Die Arbeiter auf den Baustellen habe ich mit Dosenbier bestochen und daher haben sie mir gerne geholfen. So habe ich die nötige Erfahrung erworben und die Prüfung ausgezeichnet bestanden. Danach arbeitete ich auch weiterhin nachts, denn da war damals weniger Verkehr und weniger Stress, und am Tag fuhr mein Mann denselben LKW“, erzählt Frau Stojić von ihrer ungewöhnlichen Arbeit.
In dieser Zeit war es nicht üblich, dass eine Frau am Steuer eines 32-Tonners saß, daher gab es von den männlichen Kollegen einigen Spott und Gelächter, aber das überhörte Verica einfach. Als sie erkannten, dass sie ihre Arbeit gut und professionell machte, das aber auch von anderen erwartete, wurde sie von allen mit Hochachtung behandelt. Leider entschied das Schicksal, als gerade alles schön und gut war, den Stojićs auch die dunkle Seite des Lebens zu zeigen.
„Da wir nicht genügend Fahrer finden konnten, aber ich beschlossen mit dem LKW-Fahren anzufangen.“
„Wir erhielten hervorragende Aufträge, das hatten wir der Qualität unserer Arbeit und unserer Pünktlichkeit zu verdanken. Die Firma entwickelte sich, unseren Kindern ging es gut, für Brandon hatten wir eine wunderbare Hochzeit organisiert und wir waren gesund. Unser Familienleben verlief bis vor fünf Jahren sehr schön. Dann verunglückte mein Mann Dragan in Serbien sehr tragisch unter ungeklärten Umständen. Für die Kinder und mich war das ein furchtbarer Schock, von dem wir uns nie ganz erholt haben. Ich war entsetzt, ich wusste nicht, was ich weiter tun sollte, denn jetzt war es meine Verantwortung, die Familie zu versorgen, aber auch die Firma zu führen, in der wir zu dieser Zeit acht LKWs hatten. Zu Beginn war ich wie betäubt und sehr unglücklich. Aber ich wusste, dass ich für mich selbst und für unsere Söhne stark sein musste. In den ersten Wochen nach der Tragödie, die uns getroffen hatte, dachte ich, es sei das Beste, unser selbständiges Unternehmen aufzugeben, irgendeine Arbeit zu suchen und wie so viele andere Frauen irgendwo für einen vernünftigen Lohn arbeiten zu gehen. Aber als ich genauer nachdachte, begriff ich, dass das ein Nachteil wäre, denn die Firma lief gut und für unsere Söhne war es besser, eine sichere Arbeit im Familienunternehmen zu haben“, entschied sich diese starke Frau, obwohl es ihr sehr schwer fiel.
Einen Monat später kehrte Verica zur Arbeit zurück, denn das war ihre Flucht vor dem Unglück, das sie getroffen hatte. Sie arbeitete von früh bis spät, selbst an den Wochenenden.
„Ich habe unheimlich viele Stunden am Steuer des LKWs verbracht. Die Kinder sagten mir, ich sollte mich einmal ausruhen, aber als sie sahen, dass ich nicht anders konnte, halfen sie mir sehr bei der Führung der Firma: Silver übernahm die Verwaltung, während Brandon zu den Baustellen fuhr und sich um den Ankauf von Treibstoff und eine ganze Reihe anderer Dinge kümmerte. Ich muss sagen, dass ich in der Arbeit nie Privilegien verlangt habe, weil ich die einzige Frau unter Männern bin. Ich konnte sie mit meiner Arbeit überzeugen und mir ihren Respekt verdienen. Einmal passierte es, dass auf einer großen Baustelle eine Frau die Bauleiterin war, was in dieser Branche nicht gerade alltäglich ist. Sie war begeistert, als sie mich in dem LKW sah, und sagte mir, dass sie sich freue, dass sie nicht die einzige Dame in dieser typischen Männerwelt war. Natürlich habe ich ihr Vertrauen gerechtfertigt“, erzählt Verica Stojić ohne Selbstmitleid von der Zeit, als die doppelte Arbeit auf ihren Schultern lastete, und beteuert, dass es ihr leichter fällt, einen riesigen LKW zu lenken als ein Auto.
32 Tonnen beträgt das Gesamtgewicht des LKWs, hinter dessen Steuer Verica sitzt.
Aber vor zwei Jahren begann Frau Stojić, sich ungewöhnlich müde zu fühlen. Sie war kränklich, immer schläfrig und mit jedem Tag wurde alles schwerer.
„Ich dachte, dass jetzt der Stress der durchlebten Schocks einsetzte, und war überzeugt, dass das nicht lange anhalten würde. Allerdings passierte es mir, dass ich, während der LKW beladen wurde, aus heiterem Himmel einschlief. Mein Kopf sank einfach auf das Steuer und ich schlief. Der Ton der Sirene weckte mich auf und ich machte weiter. Ich war vollkommen kraftlos, das war mir vorher nie passiert. Auf Drängen meiner Kinder ging ich dann doch zu einer Kontrolle. Meine damalige Ärztin sagte mir, dass mein Immunsystem mit Sicherheit geschwächt sei, und gab mir einige Infusionen, von denen es mir ein paar Tage besser ging, aber dann kehrte die Müdigkeit zurück. Ich arbeitete unter großen Schwierigkeiten und funktionierte so gerade noch zwei-drei Monate. Dann gab mir die Ärztin eine Eiseninfusion, von der auf meiner Haut Flecken auftraten. So wurde ich zu einem Hautarzt überwiesen, da der Verdacht auf Allergien bestand. Allerdings sagte man mir dort, dass ich kein Fall für diese Ordination sei und dass ich sofort ein Blutbild machen lassen sollte. Daraufhin wechselte ich den Hausarzt, aber ich hatte keine Angst“, beschreibt Verica mit schwankender Stimme den Tag, an dem ihr die Ärztin, die die Blutwerte vorliegen hatte, sagte, sie solle sofort ins Krankenhaus gehen und weitere Untersuchungen machen lassen.
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